Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

DOI Artikel:
Lang, Heinrich: In Weißenburg am Nachmittag des 4. August 1870: aus den Erinnerungen eines Schlachtenbummlers
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0024

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

tO In lveißenburg am Nachmittage des 4.

jammernden, verbissenen und verblüfften, aber stets „de-
klamierenden" Einwohner waren trotz der großen Gut-
mütigkeit und Disziplin unserer Soldaten in einer Auf-
regung, welche schließlich in einer soeben mit Sturm ge-
nommenen Stadt doch sehr erklärlich ist.

Mein d. h. unser Zimmer im „Schwanen" mußte
noch ausgesucht werden, und dann verfügte ich mich ins
Stabsquartier, welches im Gasthof »ä l'ange cl'or«
etabliert war.

Es dunkelte bereits stark, als ich eintrat. Im
Hausflur, Hof, den Gängen, auf den Treppen und in
der Küche ein sehr begreifliches Durcheinander — in letz-
terer ebenso begreiflich der ganz hoffnungslose Versuch,
einen kleinen Abendimbiß zu erhaschen. Die Wirtin
zeigte mir mit vollkommen verständlicher Geste das letzte
Stück Kalbsbraten, das soeben für einen unserer Herren
zurecht gerichtet werden sollte und klagte dabei über die
unwürdige Verwendung ihres Hauses als Gefängnis,
indem die französischen Offiziere in einem Lokal an ihrem
Tanzsaale eingesperrt seien. In den Speise- und Restau-
rationsräumen zu ebener Erde waren alle Tische dicht
besetzt von unseren Offizieren, untermischt mit etlichen
französischen Militärärzten^

Neben Vetter Richard fand ich noch ein freies
Plätzchen und hatte als Nachbarn einen unserer fidelsten
Offiziere, Oberlieutenant Truksa vom topographischen
Bureau (später unser ständiger Quartiermacher) und seinen
Kollegen Graf v. Hohenstein, sowie zwei französische
Ärzte, von denen mir der eine, ein älterer feiner Mann,
seine Verwunderung über unsere Infanteriewaffe ans-
drückte. Er habe in der Krim und in Italien, in Mexiko
und China ein ähnliches wirksames Jnfanteriefcner nicht
erlebt als heute morgen von unserer ersten attackierenden
Truppe. Das war das zehnte Jägcrbataillon mit dem
neuen Werdergewehr! Wir hüteten uns wohl, ihm zu
sagen, daß mit dieser allerdings vorzüglichen Waffe nur
einige unserer Bataillone *) ausgerüstet seien. Mein Lkizzen-
buch wanderte indessen von Hand zu Hand, und ich mußte
alles erklären, wie, wo, wann :c., und so kam auch der

») Beim 2. Korps daS 5. und 10. Jäger - Batnillon.
Die Wagen für Werder-Munition waren auch besonders ge-
kennzeichnet.

August Z870. Von Heinrich Lang

vorhin erwähnte tättowierte Turko daran, den ich detail-
liert schilderte. Zufälligerweise war gerade mein Vetter
jener Herr von uns, für den ich etwas neidisch vorhin
hatte den „letzten Braten" zurichtcn sehen — jetzt wurde
er ihm serviert — aber, ohne es zu wollen oder zu
ahnen, hatte meine wohl etwas zu drastische Beschreibung
ihm allen Appetit so gründlich verdorben, daß er ver-
drießlich die Platte von sich wegschob. Mein armer
Vetter that mir leid — aber der Kalbsbraten auch, wenn
er stehen blieb, und so verspeiste ich ihn denn, nicht ohne
mit Dank und Rührung des armen Turkos zu gedenken,
dem ich auf diese Weise die einzige heute noch vorhan-
dene irdische Labung verdankte. Möge ihm dafür die
schönste Huri in Mohammeds Paradiese beschieden sein!
Friede seiner Asche!

Plötzlich schmetterte draußen eine fröhliche Musik.
Alles spitzt die Ohren — ah, es ist die Retraite der
Jäger, unser bekanntes liebes „Herr Hauptmann, Herr
Hauptmann, die Jäger haben schon wieder kein Geld".
General v. Hartmann hatte dem braven 10. Jäger-
Bataillon als Auszeichnung gewährt, daß es mit der
vollen Musik vor dem Stabsquartier mit der lustigen
Fanfare den Tag beenden dürfe, nachdem es ihn heute
morgen mit blutigem Ernst begonnen. Den anwesenden
Franzosen (welche ja bekanntlich die größten Freunde von
Hornmusik sind) gefiel das flotte Stück außerordentlich,
und einer von ihnen wandte sich fragend an mich:
^lonsieur c'est ravissant! UrokalilemerN In >lurseillase
allemancke?«

Wie Hauptmann Harrach gehofft, trafen wir uns
heute beim Befehlholen wirklich in Weißenburg; im
Tanzsaal des Hotels, in der Nähe der gefangenen Offi-
ziere, vollzog sich heute der gehcimnißvolle militärische
Akt, und dann suchten wir unsere Quartiere, für mich
von der ganzen Schlacht das Strapazantcste, das heißt
nicht das Suchen, sondern das „Aushalten" des Quar-
tiers. Wir wurden von den französischen Urbewohnern
des Zimmers und der Betten heute Nacht mit eminentem
Erfolge bekämpft und mußten uns trotz verschiedener
Positionswechsel von den Betten auf Stühle, Lopha,
sogar Fußboden schließlich für besiegt erklären und
ergaben uns.

Aus G. v. Lochmanus Skizzenbuch
 
Annotationen