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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Heilbut, Emil: Über die Kunst in England, [2]: Royal Academa of Arts
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0040

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22

Über die Aunst in England

Hogarth der einzige Engländer von Bedeutung für die
Kunst ist, ist sie auch nicht: Willst du Dichter recht vcr-
steh'n, mußt halt in Dichters Lande geh'n. Unsere
Kenner thateu's bis jetzt noch nicht, nach unseren be-
scheidenen Kräften werden nun wir versuchen, mit unfern
Augen zu sehen und getreulich zu berichten. Wir werden
die einzelnen Bilder mit möglichster Voraussetzungslosig-
keit an uns vorbei passieren lassen, und aus diesen Ein-
drücken uns ein Bild der Richtungen aufbauen.

* -t-

*

Das Hauptbild des Hauptsaals ist Samson, wie er
in England, Simson, wie er bei uns genannt wird, welcher
den Engländern noch besonders populär durch das Ora-
torium unseres oder ihres Händel geworden. Samson
wird auf diesem Gemälde des Hauptsaales — es steht
nicht dabei zum wievieltenmale in der Kunstgeschichte —
von den Philistern gebunden, während Delila frohlockend
daneben steht, die abgeschnittenen Haare des Mannes in
der Rechten. Die Engländer sagen, dieses Bild habe
etwas Geniales im Schwung der Komposition, aber die
Ausführung lasse manches zu wünschen übrig. Und ich
sage, dieses Bild hat gar keine Genialität im Schwung
der Komposition, aber die Ausführung ist von einer
tüchtigen Hand. Ich werde mir die Ehre geben, gleich
bei diesem ersten Bilde den Leser anzuhalten, denn schon
hier vermögen wir einen Einblick in einen Zweig eng-
lischer Kunst, in englische Beurteilung und Quellen eng-
lischen Produzierens zu gewinnen.

Das Bild ist von einem Jung - Engländer, der, ein
talentvoller Mensch, nicht schnell genug der Heimat und
heimatlichen Malerei den Rücken wenden, nicht anbctend
genug vor der französischen Malerei niederknieen konnte.
Er geht nach Paris, studiert unter Cabanel, malt lebens-
große Akte, erwirbt Technik, kommt zurück und malt ein
langweiliges Bild. Erste Epoche. Er stürzt sich wieder
in die Pariser Fluten, sieht bewundernd das dramatische
Etwas in den mylhologischen oder altgeschichtlichen Bildern
seiner Akademiker (ein dramatisches Etwas, welches mit
wirklich Dramatischem soviel zu thun hat, wie ein lärmen-
der Schauspieler mit dem Leben) und steigt auf den Kothurn
und malt nun gleichfalls ein dramatisches Bild, eben
seinen Samson. Großes Anstaunen dieses dramatischen
Elements, dieses gallischen Feuers im stillen England, . .
und mißbilligende Kritik der breiten, meisterlichen Pinsel-
handhabung — des einzigen, was an dem Werk wirklich
völlig zu loben ist — im sorgfältigen England. Was
Vorzug der englischen Kunst ist, Wahrhaftigkeit, Ehrlich-
keit, Schlichtheit und Intimität, ist fortgefallen, ist durch
ein recht gut nachgefühltes frenides Element ersetzt und
man bewundert, mit der Häufigkeit dieser akademischen
Vorzüge nuvertrant in England, das Scheindramatische,
welches man sonst bei seinen englischen Künstlern zu sehen
nicht gewohnt ist; und was das Auszeichnende der französischen
Malerei großen Stils ist, die Bravour und Größe der
Zeichnung, die breite Behandlung, die auch dieses Ge-
mälde zu seinen! Vorteil zeigt, versteht man nicht, weiß
man nicht zu würdigen, wünscht man durch kleinlichere
Behandlung abgeschirächt. So zeigt sich, welche Ver-
wirrung der Begriffe, welches Fehlgreifen der Kritik in
diesem so eminent national-abgeschlossenen Lande daun er-
zeugt wird, wenn fremde Produkte, mögen sie auch
von Kindern des Landes hcrrühren, in ihr Gesichts-

feld treten. Fehler werden als Vortrefflichkeiten angesehen
und Vorzüge als Mängel gedeutet, und einen jungen
Maler, der fleißige zahme Studien gemacht hat, hält man
für genial und seine Technik, welche gediegen und geschickt
ist, für nachlässig.

Der Samson Solomon I. Solomons ist nichts-
destoweniger ein bedeutendes Stück Malerei, ohne Zweifel
eins der besten Stücke der gesamten Ausstellung, würde
auf jeder Ausstellung ein rechter Erfolg sein und ver-
dient so in jedem Falle die auszeichnende Behandlung,
welche ihm hier zu teil wird. Und wir haben in Deutschland
nicht viele Maler, welche an Können diesem Zöglinge
Frankreichs gewachsen wären.

In demselben Saal ist dann noch ein reizendes
Porträt des Fräulein Turan von ihrem berühmten
Carolus-Duran zu verzeichnen. Ich bin der Dame nicht
vorgestellt und weiß daher nicht zu sagen, ob er ihr
Papa oder ob er ihr Bruder ist, jedenfalls haben die Bande
der Blutsverwandtschaft den Maler bestimmt, etwas ganz be-
sonders Liebenswürdiges mit seiner Palette, die es sonst
so eilig hat, hervorzubringen. Ein echt französisches
junges Mädchen; bewegt und träumerisch, nachdenkend
und leicht; keck, graziös, die Frisur hoch und in einer
sehr raffinierten Einfachheit des Anzugs und der Falten.
Das Bild ist gewagt in den Farbenproblemeu und das
Gewagte ist gelungen; es ist eine chevalereske und rei-
zende Schöpfung.

Ich werde mich nicht aushalten, alle lesenden Mäd-
chen noch alle knorrigen Schiffer zu registrieren, noch alle
Babies in großen Hüten und die Porträts von Hunden.
Auch in den Genrebildern übergehe ich vieles mit wohl-
gemeintem Schweigen, man wird wahrscheinlich Engländer
sein müssen, um an diesen Szenen großer Heiterkeit unter
Stallknechten oder sentimentalen Ergriffenseins von einer
Ballade im Freien Anteil zu nehmen, und auch die
Zcremonienbilder über irgend welche Grundsteine, die die
Königin Viktoria legt und bei denen ein ganzes Regiment
Porträts znm Schrecken der Maler mit zu liefern ist —
sind, ich will nicht sagen schlechter als anderswo, aber
ebenso schlecht als bei uns. Der Kern der Ausstellung
und ihre Vorzüglichkeit liegt vielmehr in den Porträts,
und in zweiter Linie in den Landschaften.

*

Herkomer hat ein recht tüchtiges Bildniß eines Par-
lamentsmitgliedes und Oberstlientenants gesandt und von
Millais, der alt geworden ist, ist ein schwaches Porträt
des Grafen Roseberry zu verzeichnen, — es ist traurig,
wie Millais seinen Ruhm so mit eigener Hand zerflücken
mag, indem er noch malt. Es würde besser um sein künst-
lerisches Ansehen stehen, wenn man allein die Bilder aus
seiner guten Zeit erblickte, in welchen er besser ist als irgend
ein Proträtist in Frankreich oder Deutschland. Freilich,
wollte er jetzt ans das Malen Verzicht leisten, so würde
er auf Einnahmen Verzicht leisten, die kleinen Vermögen
gleichkommen. Man zahlt ihm jetzt das Porträt mit 63,000
bis 84,000 M. ünd cs wäre daher schon immerhin ein
Idealismus, wenn nian fordern wollte, er solle ans solche
Anträge mit nein antworten. Einstimmig ist die Ver-
urteilung seiner neuesten Arbeiten und doch ist es das
Nobelste, wenn pia» sich malen läßt, sich dann von Millais,
der am teuersten ist, malen zu lassen. Als eine solche
Ehre schätzt man es Millais gesessen zu haben, daß man
 
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