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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Lang, Heinrich: Der Vorabend einer Schlacht: (31. August 1870); aus den Erinnerungen eines Schlachtenbummlers
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0059
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Der Vorabend einer Schlacht, von Heinrich Lang

Kaffee und schwerem Brot ein Nachtessen „cinzubildcn",
und da ich meiner Einbildungskraft ebensoviel zntrante,
trat ich ein, hoffend, auch mir werde solch' holdes Glück
lächeln. Aber »rion cku tont«, der alte Nesrain, diesmal
ans deutsch von dem Hausherrn, einem Münsterländer,
mir achselznckend und herzlich bedauernd wiederholt, war
der erste Erfolg meiner Frage an das Schicksal. Der
Mann erzählte von den letzten Tagen, voni Rückzug und
Aufenthalt der französischen Truppen, von ihrer großen
Disziplinlosigkeit und beklagte sich dabei auch bitter über
seine hiesigen französischen Mitbürger, unter denen er nun
schon seit 30 Jahren als solider Schreincrmcistcr in Friede
und Eintracht gelebt, die ihn aber jetzt, seit sich das
Kriegsglück von der »grancke Nation« abgewendct, mit
allem möglichen Tort und Schikanen verfolgten und ihm
alles gebrannte Herzeleid anthäten. Wenn er nur wüßte,
wie er's wett machen und den anderen auch etwas auf-
kerbcn könnte! Ich sprach ihm salbungsvoll zu, es wäre
doch viel christlicher, wenn er, statt sich an den bösen
französischen cito)wns zu rächen, mir, dem armen hungrigen
und müden deutschen Landsmann, einen Unterschlupf und
ein Stück Brot nebst einem Schluck Wein verschaffte, und
siehe da, der Geist kam über ihn, das Wunder begann sich
zu offenbaren. „Lieber Herr", sprach er mit leuchtendem
Blicke, der zugleich patriotische Befriedigung und die Gc-
nngthnnng süßer Rache ansdrücken konnte, „ich werde Ihnen
alles das verschaffen, wenn Sie mir versprechen, mich nicht
zu verraten", zog mich hinter das Fenster und zeigte mir
ziemlich weit vorne gegen den Platz hin ein einzeln-
stehendes, kleines, altertümliches Hans ans einer Art von
Rampe oder Terrasse, auf welche einige Stufen hinanf-
ührten. Es trug die „rote Kreuz" Fahne und schien
vollkommen verlassen; Thüren, Fensterläden, Dachluken —
alles zu, kein Lichtstrahl, nichts, was Bewohner hätte ahnen
lassen können. „Da klopfen Sie an, aber hartnäckig und
kräftig — es wohnen ein paar alte, böse Weiber darin;
sie sind da, das Haus ist der Plünderung entgangen, und
wenn sie hinein kommen, finden Sie Bett, Speise und Trank
und zwar alles vortrefflich, aber" — dabei legte er den
Finger an den Mund, um meine Diskretion bei den alten
Hexen flehend. Ich dankte dem erbosten Schreiner und
ging flugs ans Werk, seine Rache und zugleich das Wunder
vollziehen zu helfen. Mit den Fäusten und den Stiefelab-
sätzen bearbeitete ich, nachdem anständiges Pochen natürlich
resnltatlos geblieben war, Hausthür und Fensterläden ans
Leibeskräften; schon fürchtete ich, der Münsterländer habe
mich zum besten gehabt, als wirklich die Thür vorsichtig
geöffnet wurde. Wie ein gelernter Stromer preßte ich
schnell einen Fuß zwischen Thüre und Pfosten, das rasche
Schließen zu verhindern, und war im nächsten Augenblick
auch drinnen, einer freilich keineswegs holden, noch weniger
einladenden Weiblichkeit gegenüber, denn obwohl ohne
Zähne, hatte sie doch Haare drauf und suchte energisch
die ihr zugemutcte Gastfreundschaft zu verweigern. Ter
Flut von nichts weniger als schmeichelhaften Phrasen
setzte ich größte Artigkeit und Ruhe entgegen, wies ans
mein rotes Kreuz, welches ja auch ihr Haus auszeichne,
und als ein minder Hexenhaftes Wesen hinzu kam, dem ich
versicherte, die beiden verehrten und liebenswürdigen
Damen würden unter meinen! Schutz auf vollständige
Sicherheit ihres Eigentums und ihrer Personen (letzteres
hätte ich wohl mit einem Eid beschworen) rechnen können,
hatten wir schon den Boden der absoluten Negation mit

demjenigen freier Unterhandlung vertauscht. Unter steten
Versicherungen, ihr Hans sei nur für Kranke oder Ver-
wundete bestimmt, und sic seien von allem entblößt, was
Einquartierung etwa beanspruchen könne, schlürften sie
doch mit mir in ein großes, recht behaglich aussehendes
Parterrezimmer mit einem mächtigen Kamin, sauberen
Möbeln, einer eleganten Lampe und einer Thür, welche
wiederum mit einen! roten Kreuz geziert war. Dieselbe
öffnend erblickte ich in einem ganz allerliebsten Zimmer
zwei herrliche, frische, unberührte Betten; der erste Teil
des „Wunders" hatte sich schon vollzogen. O heiliger
Richard Wagner! Ich mußte dich den beiden Hexen
gegenüber wieder zitieren: „Zum Kampf mit Euch kam
ich nicht her; seid mir versöhnt — und laßt mich weiter
ziehen/' aber erst morgen früh!

Es scheint, meine Freude und mein Bestreben, mög-
lichst liebenswürdig zu sein, verursachten meinen beiden
Wirtinnen doch ein menschliches Rühren, denn sie boten
mir soupe mai§re und uns omelette an. »One omelette«,
sagte Ach ganz erstaunt. Ja, wo Eier sind, könnten am
Ende auch Hühner sein, und als ich gutmütig drängend
ihnen unsere vielen Entbehrungen, Gefahren und Molestcn
so plastisch und nachdrücklich als möglich geschildert, er-
weichte sich zusehends ihr harter Sinn, und wohl auch
unter dem Eindruck, den die gestrige Flncht der Franzosen
auf sie gemacht haben mochte, zeigte sich sogar eine Regung
mitleidiger Teilnahme, indem mich die eine fragte, ob ich
daheim noch die Mutter habe. Jetzt war's gewonnen,
wir kamen ins Plauschen, und während ich der minder
hexenhaften „Maria" von der Heimat erzählte, hörte ich
schon an dem Klappern und Hantieren nebenan, daß die
brave Schwester „Martha" mich mit einem Souper ver-
sorgen würde. Diese Sicherheit machte mich sehr glücklich;
was war daher natürlicher, als daß mich das zweite Bett
im Nebenzimmer auf den glücklichen Gedanken brachte,
noch einen zweiten glücklich zu machen. Unter deni Vor-
wand einer dienstlichen Obliegenheit verließ ich daher diese
selten angenehme Hexenküche, um einen Kameraden abzu-
fangen, der gewiß weniger Aussicht hatte, als ich, und
der Zufall führte mir Vetter Richard in die Hände, der
eben hereingeritten kam und bei Excellenz Hartmann etwas
zu melden hatte. Auf meine Mitteilung meinte er zwar,
da er selbst ein Zimmer in des Kommandierenden Quartier
habe, sei doch ein Bedürftigerer leicht zu finden; allein
ich machte ihn aufmerksam, daß ich vernommen, es wäre
auch ein preußischer Stab hereingekomme» und richtig —
sein Zimmer war weg. Ich wartete seine dienstliche Abferti-
gung ab; nach kurzer Zeit erschien er mit ein paar sehr
appetitlichen Flaschen unter den Armen, und wir bezogen
selbander das Hexenhäuschen, welches sich ganz vorzüglich
auließ. Das „Wunder" bestand aus Radieschen mit
Butter, soupe mniZre, Omeletten, Hühnern mit Salat,
Käse und Trauben, dazu Richards eminenter Burgunder
und üne clmmpnAne zu einem vortrefflichen Hexen-Kaffee,
letzterer noch gewürzt durch eine ganz amüsante Unter-
haltung mit unseren Wirtinnen, die uns gar nicht genug
ausfragcn konnten und sich sehr zu wundern schienen, daß
es bei uns zu Hause auch anständige Menschen, Städte,
Häuser, ja sogar Wohnungen und Zimmer gleich den ihrigen
gäbe. Der Hauptgenuß aber, auf den wir uns am meisten
freuten, kam erst jetzt: die Betten! Gerechter Gott, wie
waren wir verwildert! Die ganze Herrlichkeit wurde Stück
für Stück betrachtet, befühlt, sogar berochen! Der schöne,
 
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