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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Weihnachtsbücherschau
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Weihnachts-Bücherschau. vom Herausgeber

von Oberländer illustrierte Heft, dessen zoologische Streifzüge die
Lachmuskeln umsomehr in Bewegung setzen, als hier der Dichter
des Zeichners vollkommen würdig ist.

^ Sind die verdienstvollsten Menschenfreunde die, welche uns
zu lachen machen, so haben Oberländer und Bormann jedenfalls
mehr Ansprüche auf ein Monument, als sämtliche Erfinder von
Kleinkinderbewahranstalten, Ferienkolonien, Kindermehl, Rumsord-
schen Suppen, Fleischextrakt und Pepton, da sie unserer Verdauung
weit mehr aufgeholfen haben, als diese.

Spitzweg-Mappe. München, Braun L Schneider.
In eleganter Mappe 50 Mk. Diese Sammlung von zwölf der
reizendsten Produktionen des vielbetrauerten Meisters ward vom
Neffen desselben als ein Denkmal dieses ebenso liebenswürdigen
als hochbegabten Künstlers betrachtet und behandelt. Die ein-
zelnen Bilder sind darum mit größter Sorgfalt aus einem un-
geheuren Material ausgewählt, von Albert jr. überdies in Photo-
gravüre so unübertrefflich wiedergegeben worden, daß sie sich da-
durch zu einem geradezu einzigen Zeugniß der ungemeinen Fort-
schritte dieser Technik bei uns gestaltet haben. Wenn Referent
daher als der älteste noch lebende Freund des Meisters sie mit
einer Einleitung versah, welche Lebenslauf und künstlerische Be-
deutung desselben kurz zu schildern unternahm, so sind die Werke
selber jedenfalls viel beredtere Zeugen von beiden geworden.
Sie zeigen uns den spezifisch süddeutschen Humoristen in all
seiner tiefen Gemütlichkeit und jenem bald drollig schalkhaften,
bald barock phantastischen Wesen, das ihn zu einem so einzigen
Sittenschilderer der Periode von Anfang bis zur Mitte unseres
Jahrhunderts in Bayern macht. Hat er hier viele Aehnlichkeit
mit Ludwig Richter, so zeigen uns die vortrefflichen Blätter zu-
gleich, wie er diesem, wenigstens nach der spezifisch malerischen
Seite hin, entschieden überlegen war, eben weil er sich auf einen
viel kleineren Kreis zu beschränken und dadurch gerade seine Oel-
bilder zu Perlen deutscher Kunst zu machen verstand. — Es
konnte daher den vielen Verehrern des Künstlers gewiß keine
angenehmere Erinnerung an ihn geboten werden. Nachdem aber
seine zahlreichen Werke einmal in der ganzen Welt zerstreut
worden, gibt diese Publikation auch anderen Gelegenheit, sich an
denselben hier zu erfreuen, wo sie alle seine verschiedenen Rich-
tungen vertreten und zu einem höchst fesselnden Ganzen vereinigt
finden.

Raffael, vonMarco Min ghetti. Breslau, Schottländer.
Brosch. Mk. 7.50, geb. Mk. 9.50. Selten haben wir ein Buch
mit größerer Enttäuschung aus der Hand gelegt, als dies viel-
besprochene Werk des italienischen Staatsmannes. Denn über
das, was Rafael zum größten aller Maler macht, erfährt man
eigentlich gar nichts in demselben. So z. B. nicht ein Wort
über die ungeheure Veränderung der Weltanschauung, die sich in
des Meisters Werken, von der fast kindlichen Unschuld im Spo-
salizio oder selbst noch den slorentinischen Madonnen bis zu dem
erhabenen, aber düsteren Ernst in der „Apostelgeschichte" aus-
spricht. Welche fast demokratische Gesinnung offenbart diese und
welche durchdringende Menschenkenntnis; das Porträt Leo X.!
Davon spricht Minghetti nicht, weil er es nicht sieht, überhaupt
offenbar kein Kenner ist. Er gesteht das auch mit liebenswür-
diger Bescheidenheit ein. Dagegen ersetzt er manche Hypothesen
über die Jugend des Künstlers durch andere wahrscheinlichere
und gibt allerhand Interessantes über Raffaels Zeit und Umge-
bung, wenn auch da immer auf der Oberfläche bleibend. Große
Bedeutung kann das Buch daher neben den Werken Passavants,
Cavalcaselles und vor allem neben dem Springers kaum bea».
sprachen; dazu müßte es jedenfalls auch dreimal länger sein, da
es jetzt über eine Skizze kaum hinausgeht. — Nichtsdestoweniger
ist es für das größere Publikum, das sich über den äußeren
Lebensgang und die anerkannten Werke des Malers zuverlässig
unterrichten möchte, immerhin brauchbar, wenn wir auch keinen
sonderlich hohen Begriff von der heutigen Geschichtschreibung
einer so geistvollen Nation dadurch bekommen. Offenbar hat
dieselbe ihre Klugheit und sehr realistische Gesinnung noch nicht
aus das Bilderlesen augewendet, sondern sich, wie Cavalcaselle
und Lermolieff-Morelli ganz gleichmäßig zeigen, immer nur mit
der Form, also mit der künstlerischen Sprache beschäftigt, ohne
sich viel darum zu bekümmern, was damit gesagt wird.

Ant. Springer. Bilder aus der neueren
Kunstgeschichte. 2. Auflage. Bonn, A. Marcus. 2 Bde.
Mk. 12. Es ist ein Gefühl der Beschämung, daS einen beschleicht,
wenn man sieht, daß diese großenteils nach Form und Inhalt
gleich meisterhaften Abhandlungen eines unserer bedeutendsten

Kunsthistoriker zwanzig Jahre warten mußten, bis sie eine neue
Auflage erleben konnten, lind doch behandeln sie die Hanpt-
epochen der neueren Kunstgeschichte und ihrer Träger, stehen also
in einem organischen inneren Zusammenhänge miteinander, wie
sie dem Leser in vollendeter künstlerischer Form eine Fülle von
Belehrung und Anregung bieten! Was hat man in dieser Zeit
für Zeug über Kunst geschrieben, das zehnmal mehr Leser fand
und immer wieder neu aufgelegt werden konnte! Wir thun uns
so viel auf unsere Bildung zu gute, lesen aber weit mehr schlechte
als gute Bücher und merken es nicht einmal! — Das heißt,
wir suchen im wissenschaftlichen Werk nur immer Stoff, That-
sacheu, das sie verbindende Band von Ursache und Wirkung, die
Kenntnis; ihrer inneren Gesetze, sie interessieren uns viel weniger,
und guten oder schlechten Stil wissen vollends die wenigsten,
trotz ihrer vielgerühmten klassischen Erziehung zu unterscheiden.
Oder vielmehr wegen derselben, da bei uns die meisten über die
Grammatik gar nie hinauskommen. Das noch so glänzend ge-
schriebene Buch bekommt deshalb in Deutschland keine hundert
Abnehmer mehr, in Frankreich vielleicht hundert Auflagen. —
Dies vorausgeschickt, muß man zugeben, daß die einzelnen
Abhandlungen unseres Werkes selbstverständlich von sehr verschie-
denem Wert sind, wertlos ist aber keine einzige, anregend alle,
wenn inan auch nicht wenig verwundert sein wird, die „über die
Wege und Ziele der gegenwärtigen Kunst" mit einer Verherr-
lichung von Carstens, Thorwaldsen und Schinkel eingeleitet zu
finden, die freilich vor zwanzig Jahren geschrieben ward, und die
wir unsererseits nicht besser zu widerlegen wüßten, als mit den
eigenen Worten des Verfassers, wenn er bald darauf sagt: Es
gehört zu den geheimnisvollen Zügen des Volksgeistes, daß selbst
ein minder gut geratenes Original eine größere Anziehungskraft
auf die weiteren Kreise ausübt, als die beste Kopie eines Werkes,
welches in einer vergangenen Anschauungsweise wurzelt. Das
Volk entdeckt in jenem einen verwandten, unmittelbar anklingen-
den Charakter, sühlt sich in ihm gleichsam als Mit-
schöpfer, während es in diesem nur formale Vorzüge zu
schätzen im stände ist, ihm gegenüber fremd und kalt bleibt. Man
kann den Klassizismus gewiß nicht glänzender widerlegen, als
hier geschieht. Denn wirklich klassische Kunstwerke können ohne
die lebendige Mitarbeit der ganzen Nation überhaupt nicht ent-
stehen, und daß dies bei Ludwig Richter, Schwind, Rethel, Menzel
und Knaus, Defregger und Max oder Hans Makart der Fall
war, das unterscheidet eben deren Kunstwerke so gründlich von
denen jener Klassizisteu. — Wie eine wahrhaft lebendige Kunst
entstehe, hat Springer dann niit beneidenswerter Meisterschaft in
„Rembrandt und leine Genossen" geschildert, wohl der Krone des
Ganzen. Man wundert sich da nur, daß ihm die Ähnlichkeit
jener Periode mit unserer heutigen deutschen Kunst nicht auffiel?
Wenn aber der innige Zusammenhang mit ihrem Volke, mit
seinem Charakter, Neigungen und Geschmack es war, der jener
Schule ihre grenzenlose Lebenskraft gab, so sind es gerade diese
Eigenschaften, welche Carstens und Thorwaldsen, wie Schinkel
gleich vollständig fehlen, lind da wundert man sich noch, daß
sie schon heute vergessen sind! Ist Springer bei dieser Abhand-
lung unübertrefflich, so verschlägt es da auch gar nichts, daß man
die Charakteristik der Eigenart Rembrandts als Kolorist etwas
schärfer wünschen möchte. Denn hier beginnt eben der Unterschied
zwischen „Kunstkenner und Kunsthistoriker", den der Verfasser in
der letzten seiner Abhandlungen sehr fein auseinandersetzt. Wenn
wir nun der Meinung sind, daß ein Künstler es immer noch
leichter zum erster«; bringen könne, als ein Mann der Wissen-
schaft, so dürste uns die Erfahrung recht geben, da wir wenigstens
meinen, daß ein Semper über Werke der Architektur, ein Rauch
über solche der Skulptur, wie Makart oder Menzel über solche
der Malerei immer noch ein feineres Urteil gehabt haben, als
die meisten Kunstgelehrten. Aber selbst mittelmäßige, ausübende
Künstler haben wenigstens die genauere Kenntnis der Technik,
also der Sprache der Kunst voraus, wenn sie sich zu Kunstkennern
ausbilden wollen. Sie genießen also desselben Vorteils, den ein
Pariser vor jedem Ausländer voraus hat, wenn es sich um fran-
zösisch sprechen handelt. Thatsächlich wird denn auch der Ruf

der Künstler zuerst immer durch die Künstler selber festgestellt._

Ganz anders verhält es sich dagegen mit der Kunstgeschichte, da
diese geschrieben und nicht gemalt wird; da dürfte der Gelehrte
immer im Vorteil bleiben. Ebenso bei der bloßen Feststellung
der Autorschaft eines Werkes, wo übrigens die Kunsthändler oft
beide Teile übertreffen.

Fortsetzung folgt
 
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