Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

DOI Artikel:
Netto, Curt: Aus Japan
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0168

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Aus Japan, von <L. Netto

125


„Gürtel" gefallen ist, kann im Nu die gesamte viel-
gliedrige Schale als Ganzes abgestreift werden und als
„Schleier" bleibt nur die innere anderthalbfache Körper-
umwicklung zurück.

Der Schnitt des männlichen Gewandes ist nur in
Kleinigkeiten von dem weiblichen verschieden; zum Ge-
sellschaftsanzug des Mannes gehören aber noch ein Paar
„Hakama", Hosen, die so weit sind, daß sie den Ein-
druck eines europäischen Weiberrockes machen, weshalb
auch vice versa der noch nicht mit westlicher Kultur
Vertraute in dem Glauben steht, die europäischen Damen
wandelten in japanischen Männerhosen umher.

Die einzelnen Stände, sowie die verschiedenen Ge-
legenheiten bedingen natürlich zahlreiche Nüancierungen in
der Tracht, sie alle variieren aber dasselbe Thema.

Zur alten Galatracht der Männer gehörte das
„Kami-shimo", eine Art Flügelhaube für die Schultern;
eine besondere Hoftracht machte die Hosen um zwei Fuß
zu lang, eine Einrichtung, die dem Träger zwar die An-
schaffung von Strippen ersparte, das Gehen aber nicht
gerade erleichterte. Die lang nachschleifenden Enden ver-
anlaßten den Eindruck, als ob er an monströs ausge-
bildeten langen Beinen litte und stets auf den Knieen
rutschte, um sich im Niveau der übrigen Menschheit zu
halten.

Die Tracht der Hofdamen zeichnet sich vor der der
gewöhnlichen Sterblichen nicht vorteilhaft aus, namentlich
läßt die Haartour an Gefälligkeit zu wünschen übrig.
Die Haare werden am Kopf flach wie ein Kuchendeckel
frisiert und endigen in ein Schwänzchen, so daß der Ver-
gleich mit einer Kaulquappe nahe liegt; am geschmackvollsten,
wenn auch etwas auffallend, kleiden sich die Geishas.
Zur Vervollständigung der weiblichen Toilette gehört
üoch ein kleines Moschusbeutelchen, eine gestickte Tasche
ütr Geld und für circa ein Dutzend papierene Taschen-
fdcher, die in dem Beutel getragen wird, Pfeife und
nächer.

Während die Männer der oberen Klassen, namentlich
me Beamten, in den größeren Städten wenigstens, bereits
Fielst in europäischem Anzug auf der Straße erscheinen,
bilden japanische Damen in westlicher Hülle Ausnahmen
— glücklicher Weise — denn den zierlichen Figuren mit
im Verhältnis zum Oberkörper etwas kurzen Beinen
steht das elegante, faltenreiche japanische Gewand be-
deutend besser.

Bei der Auswahl, der Zusammenstellung der Toilette
befolgt man Grundsätze, die völlig unserem Geschmack
entsprechen, so daß das Ensemble selbst vor dem kritischen
Auge europäischer Damen Gnade findet, ja in demselben
Bewunderung erregt; wieweit dieser günstige Eindruck dem
Umstande zuzuschreiben ist, daß die große Schleife des
„Obi" die anscheinende Vergrößerung eines Körperteiles
bewirkt, den die augenblickliche Mode des Westens mit
einer ähnlichen Auszeichnung beehrt, wollen wir nicht
entscheiden; jedenfalls ist hier der Zweck der Verzierung
nicht der des Aufbauschens, sondern des Verbergens, denn
breite Hüften u. s. w. gelten nicht für vornehm.

Der Bewunderer weiblicher Schönheiten findet das
Feld seiner Studien im Vergleich mit Europa hier in-
sofern bedeutend eingeengt, als ihm nicht die Wahl
zwischen sanften Blonden, schelmischen Braunen und
feurigen Schwarzen, zwischen grauen, meergrünen, ver-
gißmeinnichtfarbigen, dunkelblauen und dunklen Augen

schwer fällt. Die Haare sind alle von Natur dunkel-
braun bis schwarz und erscheinen durch das angewandte
Ol tiefschwarz, bei den Augen bleibt ihm die Auswahl
unter mehr oder weniger geschlitzten, mehr oder weniger
geneigt stehenden und mehr oder weniger braunen. Man
findet ja wohl bisweilen unter Verhältnissen, die Ver-
mischung mit fremdem Blut ausschließen, namentlich bei
den Fischern und Tauchern einzelne mit lichten Augen
von unbestimmter Farbe oder sonst Leute mit glanzlosem,
anscheinend verkümmertem, rotbraunem Haar, das sind
aber seltene Ausnahmen.

Geschlitzte, geneigt stehende Augen mit hochge-
schwungenen, feingeschnittenen Brauen gelten, ebenso wie
zarte, nicht zu robust entwickelte Gestalt, für Zeichen vor-
nehmer Abkunft und deshalb für schön. Auch der längere
Zeit an den Gestaden Japans weilende Fremdling läßt
sich wohl von seinen ererbten ästhetischen Vorurteilen be-
kehren; wie dem auch sein niag, jedenfalls bilden die
Augen, ob gerade oder schief, groß oder geschlitzt, mit
ihrem feuchten, dunklen Glanz, dem schelmischen und doch
bescheidenen Ausdruck einen der bestechendsten Reize der
Japanerin. Nach hiesigen Schönheitsregeln soll die Stirn
nicht zu hoch sein und womöglich durch die Haarwurzeln
derartig begrenzt werden, daß sie der Gestalt des Fujiyamas
ähnelt, die Nase lang und sanft gebogen, der Mund klein,
die Lippen, das Gesicht schmal. Auf Körperformen legt
man kein Gewicht, auf die lichte Farbe der Haut um so
mehr, und dies ist auch der Grund, weshalb Europäerinnen,
trotz der blauen Augen und der lichten Haare, bewundert
werden.

Nacken, Hals, Schultern, Büste, Arme sind oft
tadellos modelliert, die Hände auch der Frauen aus dem
Volke zeichnen sich durch feine Gliederung, spitz zulaufende
Finger und Kleinheit aus. Als Schönheitsfehler kann
man die etwas zu kurzen Beine, die Einwärtsstellung
der Füße, die außerdem zwar klein, aber oft etwas platt
sind, und einen nicht gerade seltenen, unbedeutenden
Prognathismus bezeichnen. Die Augen treten weniger
von der Gesichtsfläche zurück, und wenn sie auch nicht
hervorstehen, so machen sie, besonders bei Kindern, leicht
den Eindruck von ins Gesicht geschnittenen Knopflöchern.
Der Nasensattel zwischen den beiden Augen erscheint
infolgedessen flach, zumal die Nase sich allmählich ohne
scharfen Winkel in die Stirn verläuft. Wenn das Gesicht
dadurch an Ausdruck verliert, so bewahrt es sich anderer-
seits etwas Kindliches.

Unter den Männern finden sich intelligente Gesichter
häufig, schön geschnittene selten. Der Fremdling, dessen
Physiognomiegedächtnis zuhause durch die Verschiedenheit
in der Farbe von Haaren und Augen, im Schnitt der
Bärte, des Anzugs u. s. w. unterstützt wurde, findet es
hier anfangs schwer, die Gesichter zu merken, und namentlich
im Sommer, wo auch der Vornehme der Hitze wegen im
Hause nur mit einem leichten baumwollenen Gewand be-
kleidet ist, kann es ihm leicht passieren, daß er bei einem
Besuch den Besitzer des Hauses, den er am Eingang
trifft, kurz auffordert, ihn zu melden, während er den
herbeieilenden Diener durch freundliches Händeschütteln
oder höfliche Verbeugung in Erstaunen setzt.

Bart wurde früher nicht getragen, jetzt befleißigen
sich die Beamten und Offiziere eines Schnurrbartes, meist
jedoch, ohne auf das Resultat ihrer Bemühungen be-
sonders stolz fein zu können. An Backen und Kinn

lb"
 
Annotationen