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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Pietsch, Ludwig: Louis Gallait und die Berliner Kunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0217

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Louis Gallait und die Berliner Uunst

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er sein derartiges Hauptwerk, das zugleich auch rein künstlerisch den Gipfel seines Schaffens auf deni Ge-
biete der Geschichtsmalerei bezeichnet. In demselben Jahr hatte Rosenfelder in Berlin, ein talentvoller
Schüler Professor Hensels, ein großes Gemälde aus der Lokalgeschichte Danzigs: die Befreiung des von dem
polnischen Bischof gefangen gesetzten lutherischen Predigers, des Tanziger Reformators Pankratius Klein, durch
die aufständische Volksmenge, vollendet. Beide Gemälde erschienen auf der großen akademischen Kunstausstellung
jenes Jahres und fanden eine enthusiastische Aufnahme. Sie dankten dieselbe indeß keineswegs nur ihren
künstlerischen Vorzügen, sondern mindestens ebenso der Tendenz,, welche das liberale Berliner Publikum mit
Recht oder Unrecht in ihnen witterte.

Eine ähnliche Unzufriedenheit mit dem Bestehenden, verbunden mit der unruhigen Erwartung eines
herannahenden neuen und besseren Zustandes, wie sie damals auf politischem und sozialem Gebiete herrschte,
ließen sich in jener Zeit auch auf dem rein künstlerischen beobachten. Man war irre geworden an der Jahr-
zehnte hindurch in Deutschland geglaubten hohen Vollkommenheit und Überlegenheit der damaligen deutschen
Kunst über die aller anderen kunstübenden Nationen; die durch Friedrich Wilhelm IV. versuchte Verpflanzung
der neudentschen Münchner Kunst, der dort durch König Ludwig großgezogenen idealistischen Monumental-
malerei auf den dafür so wenig empfänglichen Berliner Boden erkannte man hier mit Recht als ein todt-
geborenes hoffnungsloses Unternehmen. Der ehemalige Enthusiasmus für die trauernden Fürsten- und Königs-
paare, für die Kreuzfahrer- und Sarazenen-, Ritter-, Mönchs-, Knappen- und Edelfräulein-Romantik der
Düsseldorfer Schule war einer kritischen und skeptischen Stimmung gegen diese Werke und ihre gepriesenen
Meister gewichen. Die wenigen hervorragenden Maler Berlins, welche ähnlichen Richtungen huldigten, oder-
religiöse „Historienbilder" konventionell-akademischen Stils malten, Karl Begas, Wach, Hensel, begannen den
Boden im Publikum mehr und mehr unter den Füßen zu verlieren. Die vorgeschritteneren, deren frischer
Blick für das Leben und die Natur durch Schultraditionen und Autoritätsglauben nie getrübt und befangen
worden war, Eduard Magnus, der ausgezeichnete Bildnismaler, und Franz Krüger, der treue Schilderer der
Menschen und Tiere, wie der militärischen Schauspiele und sonstigen Haupt- und Staatsaktionen im damaligen
Berlin, wußten besser als alle andern, daß jenseits der französischen und belgischen Grenzen auch Maler
wohnten, die das Handwerk ihrer Kunst sogar noch hehr viel besser verstünden, als unsere berühmtesten malenden
Landsleute, ja diesen an männlichem Geist, an -Ernst des Malerstudiums, an Kraft der Versenkung in die
geschichtliche Vergangenheit, an Vertrautheit mit den alten großen Meistern, an Koloritsinn und an Verständnis
sogar noch überlegen seien. Nach Berlin gelangten Proben von dem Schassen dieser französischen und belgischen
Maler, und sehr ausnahmsweise Kunstreiscn nach deren Heimat, um sich dort durch eigene Anschauung zu
unterrichten, inwieweit die tadelnden und verdammenden wie die lobpreisenden Stimmen über deren Werke
berechtigt und begründet seien, gehörten für unsere Maler und Kunstfreunde damals noch zu den seltensten
Unternehmungen. Im allgemeinen blieb der Deutschen Kenntnis von moderner französischer Malerei ans die
sehr ungenügende beschränkt, welche aus den wenigen gelegentlich in den Kunsthandlungen ausliegenden
Schwarzkunstblättern und Stichen nach Ferron Vernet und Paul Telaroche geschöpft werden konnten. Von der
neueren belgischen Historienmalerei aber wußte und kannte man so gut wie nichts. Ans der akademischen
Kunstausstellung zu Berlin im Herbst 1840 war ein Bild von Paul Telaroche, Mazarin auf dem Krankenbett
stein Schwarzkunststich ist viel verbreitet) und eine Farbeuskizze eines der neuen belgischen Meister, Nieaise de
Kehser, zu dessen großem Bilde „Die Schlacht bei Worringen" erschienen. Die fortgeschrittenste äußerste
Linke der Berliner Kunstkritik, welche Isidor Klein (unter dem Namen Lucius), der spätere kraftgenialische
Dramatiker und gelehrte Verfasser der Geschichte des Dramas, vertrat, überschlug sich im Entzücken vor diesen
Erzeugnissen französischer und belgischer Kunst, welche Berlin „gewürdigt" worden wäre, zu Gesicht zu be-
kommen. Seine Besprechung war ein überschwenglich enthusiastischer Hymnus znm Preise der modernen Malerei
unserer westlichen Nachbarn, gewürzt durch höhnische und leidenschaftliche Ausfälle gegen die Berliner und
Düsseldorfer Kunstgrößen.

Während der Ausstellung von 1842 las man in den rheinischen Zeitungen lange Artikel über drei
Gemälde belgischer Meister, die in Köln ausgestellt wären, „Die Abdankung Karls V." von Louis Gallait,
„Das Kompromiß der Edeln" von F. de Biefve und „Der Pavillon des Rubens" von Nieaise de Kehser.
Besonders von den beiden ersteren, die in kolossalem Maßstabe (25 Fuß zu 17 Fuß) gehalten sein sollten,
werden Wunderdinge berichtet. Hier wären zwei Werke echter Geschichtsmalerei geschaffen von einer Größe
und Wahrhaftigkeit der historischen Auffassung und Schilderung und von einer Macht der Technik und farbigen
Wirkung, die ohnegleichen in der Kunst unsers Jahrhunderts seien. Alles was deutsche und französische Meister-
in dessen Verlauf gemalt hätten, würde durch diese Gemälde überstrahlt. Das dritte wurde als ein liebens-
würdiges, mit hoher künstlerischer Vollendung und Eleganz durchgeführtes historisches Genrebild, eine Dar-
stellung ans dem glanzvollen, wohlerfüllten Leben des Rubens, geschildert.

Diese Berichte ließen uns, d. h. einem kleinen Kreise von jungen schon damals stark litterarisch an-
gehauchten Akademikern und Atelierschülern, die auf des Tübingers Bischer Lehre von der neuen Geschichts-
 
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