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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Brandes, Otto: Der Pariser Salon 1888, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0361

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28-4

Der Pariser Salon 1888

der eifrigsten Mitglieder der Patriotenliga, könne nur
von Ruhm und Sieg träumen, und so deutet er diesen
Traum durch einen Zug schemenhaft gehaltener, in der
Luft über den Schläsern hinschwebender, Sieg jubelnder
Gestalten an. Es ist bekannt, daß Tetaille seinem Namen
durch besondere Beobachtung und Wiedergabe aller
militärischen „Details" alle Ehre macht. Da ist kein
Gamaschenknopf anders als er vorgeschrieben gemalt, und
die Einzelheiten — z. B. an den Gewehren der langen
Pyramidenreihcn — sind mit einer geradezu verblüffenden
Gewissenhaftigkeit wiedergegeben. Uber diesem Bilde lagert
eine seltsame Stimmung von Patriotischem Glauben an die
Zukunft, der das Gesicht mehr als eines der zahlreichen
französischen Beschauer in Heller Hoffnungsfreude auf-
leuchten macht. Von dieser Art Bildern ist für die Be-
lebung der Revanche-Idee viel mehr zu fürchten als von
jenen, die die Rache dadurch galvanisieren wollen, daß sie
dem Volke immer wieder die ihnen 1870 zu teil ge-
wordenen Demütigungen Vorführern

Dem religiösen Leben wird der Salon nur noch da
gerecht, wo es sich um das religiöse Leben der Frau
oder der Kinder handelt, oder wo dasselbe zu einer
humorvollen Behandlung Anlaß gibt.

Ein wahres Kleinod des Salons ist Jules Bretons
„Prozession". Aus einer Waldschlucht auftauchend, schreiten
paarweise weißgekleidete junge Mädchen über einen freien
Waldplatz, ihnen voran ein Kind im rosa Kleide mit
einem Blumenkranz um die Stirn, der folgenden Prozession
Rosenblätter streuend. Alle sind Dorfkinder, die jungen
Mädchen zeigen cs auf Schritt und Tritt in den un-
gewohnten weißen Roben, sie zeigen es au ihren Händen
und Füßen und der köstlichen Naivität ihres Wesens und
ihres Gesichtes. Nur eine hat baumwollene Weiße Hand-
schuhe an, wahrscheinlich die Bürgermeister- oder Schul-
meistertochter, aber was für Handschuhe, über welchen
Händen! Das ist eine geradezu meisterhafte Beobachtung,
verbunden mit einer Empfindungstiefe, die nur das Privi-
legium ganz großer Künstler ist.

Auch das andre Bild Bretons „Der Stern des
Hirten", ein junges, vom Felde heimkchrendes Mädchen,
ist eine Arbeit voller Reiz und Poesie.

Ein Meister in der Beherrschung von Sonnen-
cffektcn ist Eliot. Sein „Begräbnis eines jungen
Mädchens" mit dem Motto: „Der Himmel lächelt, das
Feld blüht, der Tod hält seine Ernte", ist eine eigenartige
Schöpfung. Die Figuren der leidtragenden jungen
Mädchen mit den weißen Schleiern, von dem hellsten
Licht umströmt, eine blumcnstreuende Alte mit einem
Kinde, unter Bäumen, deren Blätterdach die leuchtenden
Sonnenstrahlen brechend, auf dem Boden ein tänzelndes
Licht erzeugen, sind geradezu virtuose Leistungen und
niemand geringerer als der Maler Brispot sagte mir
neulich bewundernd: Das Bild ist vielleicht nicht das
beste, aber das kühnste und interessanteste des Salons.
Ein Porträt desselben Meisters erinnert an Manet.

Henri Brispot bringt in diesen Salon — und er
bedarf derselben recht sehr — die heitere Note. Seine
Hochzeitsgesellschaft, die nicht aufbrechen kann, weil
„Mutter" sich vergeblich abmüht, den Knopf an dem
„Vätern" ungewohnten Handschuh zuznknöpfen, ist von
köstlichem Humor, die Verzweiflung des Bräutigams und
der Braut überwältigend komisch. Auch Aime Perrets
„Goldene Hochzeit" in wecher die Bauerntypen, nament-

lich der jungen Welt, scharf beobachtet und auf d.e
Charakteristik der Jubilarin besondrer Fleiß verwandt ist,
ist ein erfreulicher Gegenstand, deren es, wie gesagt, nicht
viele in dem diesjährigen Salon gibt. Marec, der
vor zwei Jahren mit der großen Medaille prämiiert wurde,
versucht es mit seinem Bilde „Hier ist man besser aufge-
hoben als gegenüber" humorvoll zu sein. Eine aus
Männern, Frauen und Kindern bestehende Gesellschaft
ist nach einer Beerdigung in ein dem Kirchhofe gegenüber-
liegendes Restaurant, durch dessen Fenster man den An-
blick auf denselben hat, eingckehrt und schwingt hier den
Trauerhumpen. Dieser Humor ist aber nicht echt, ihm
liegt ein Pessimismus, eine Bitterkeit zu Grunde, die eher
schaudern macht als erfreut. Daß das Bild, wenn auch
ein wenig in einer etwas dunklen Note gehalten, mit
außerordentlichem Talente gemalt und darin ein intensives
Streben nach Wahrheit entfaltet ist, brauche ich nicht von
dem Schöpfer eines Werkes, wie das Gemälde „Nach der
Löhnung" besonders zu erwähnen.

Ich weiß nicht, ob ich Girards „Erste Kom-
munion" zu den Bildern mit religiös-sozialem Gegen-
stände oder zu den Landschaftsbildern oder gar zu den
Genrebildern rechnen soll. Ich weiß nur, daß eine Helle
Frühjahrsluft auf den Blumenbeeten liegt, daß die mit
ihrer gut konservierten Mutter voranschreitende junge
Christin der verkörperte Frühling selbst zu sein scheint,
daß der nachfolgende mit dem Zuknöpfen seines Hand-
schuhs emsig beschäftigte »Lollegieu« in Uniform, der
Bruder der Kommunikautin, in seiner die ganze Wichtig-
keit des Vorgangs atmenden kleinen Persönlichkeit aus-
gezeichnet beobachtet und über das Bild eine Fülle von
Licht und Luft ausgcbreitet ist, die es sofort zu einem
Lieblinge der Salonbesucher gemacht hat. Dasselbe gilt
von Girards stimmungsvollem Bilde »In terrnsse,« Es
ist Herbst. Einsam steht eine Dame in Schwarz, die
„letzten Kinder der verwaisten Flur" in Händen auf einer
von hohen Bäumen überspannten Terrasse und läßt
gedankenvoll den Blick über die Landschaft gleiten, ein
Bild sanfter, poetischer Melancholie.

Der Geistliche als Melomane, diesen Gegenstand
haben Knehl und der Franzose Dawant mit großer
Virtuosität gemalt. Letzterer, der vor keiner Kühn-
heit in der Farbe und Fülle von Figuren zurückschrcckt,
hat uns in seinem Kinderchor in einer italienischen Kirche
eine treffliche Studie in Rot geliefert. Die roten Gewän-
der der singenden Knaben heben sich prachtvoll auf dem
grauen Grunde der Architektur und den eichenen, reich
geschnitzten Kirchenstühlen ab. Die einzelnen Figuren
sind scharf in ihrer Thätigkeit charakterisiert, und der
junge Abbe in schwarzer Soutane ist ganz an seine
Direktionsarbeit hingcgeben.

Kuehls orgelspiclcndcr Geistlicher ist wie seine
kartenspielendcn Bauern eine fein beobachtete und mit
seltener Kraft und Ausdrucksfähigkcit wiedcrgegcbene
Arbeit voller Luft und Licht. Auch will mir scheine»,
daß Knehl sich dieses Mal befleißigt, weniger schwarz
zu sein.

Das Porträt ist natürlich in großer Zahl vertreten.
Namentlich versuchen sich die Damen, und ich füge hinzu
mit Erfolg, darin. Geradezu verblüffend haben in diesem
Jahre die Portäts von Bonnat gewirkt. Sein Kardinal
De Lavigerie in der schwarzen Soutane mit der roten
Sanit-Calottc der roten Moireeschärpe und dem roten
 
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