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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Seydlitz, Reinhard von: Wo die Sonne scheint, [3]: ziellose Reisebriefe eines Malers; im Zeichen der Triere
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0426

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S22

N)o die Könne scheint

England in allen Häfen der Welt daran erinnert, daß
es die Wogen beherrscht, lag in kleiner Entfernung einiger
eleganter Privatyachten, darunter der, welche Kaiserin
Elisabeth von Österreich bewohnte, vor Anker und machte
sich an einem windstillen Abend das Vergnügen, die
Umgebung, die Stadt, die Berge, das Meer, ja selbst
den wolkenbedeckten Himmel mit überaus starkem elektrischen
Licht zu übergießen. Da gab's Nüancen! Alle Gesetze
gewöhnlicher Beleuchtung aus den Kopf gestellt! Nacht
und künstlicher Tag balgten sich in toller Laune in allen
Elementen umher; ganze Landstriche und wieder einzelne
Punkte tauchten im blendenden Sonnenglanz auf und
verschwanden blitzschnell, gelbgrün flammte der Meeres-
spiegel, hell auch der meilenweit entfernte Schnee in
Epirus, leuchtend strahlten Wall und Bastionen, die
Fischerboote und ihre aufgeschreckten Insassen; und bei
alledem doch keine rohen Kaleidoskopeffekte wie bei einem
brutal blendenden Feuerwerk, alles nur wie verirrte
flüchtige Fetzen eines plötzlich erloschenen Tages, der von
Berg zu Berg, von Welle zu Welle hüpft, ehe die Nacht
ihn wieder verschlingt.

Einen andern interessanten Effekt erzielen alle eng-
lischen Schiffe, sobald sie sich der Rhede Korfus nahen;
ich will ihn als kulturelle Merkwürdigkeit dem Interesse
einer Hausfrau nicht vorenthalten: sofort nach Erscheinen
des Flaggensignals am Semaphor steigen nämlich — die
Eier rapid im Preise, woraus ersichtlich ist, wie nahrhaft
die Stellung britischer Admirale sein mag. Auch mögen
wohl die goldnen Zeiten für Hühnerbesitzer hier vorüber
sein, wie für Korfu überhaupt, seit die Engländer es ab-
getreten haben. Weit von der Stadt in einem ärmlichen
Dorfe fand ich über dem „Kafenion" die Inschrift: »ttouee
beer cottee«, welche etwas dunkle Wortstellung auf einstigen
englischen Verkehr deutete. Hoch an der schmutzigen Wand
des einzigen Raumes war eine bunte Lithographie angebacht,
die eine antik gewandete Dame von etwa knapp fünf
Kopflängen darstellte, und darunter standen die mystischen
Worte in lateinischen Lettern: »Limdoius, Limboius«,
alles weitere Geschreibsel verschwand unter dem Nahmen.
Vielleicht weiß ein Leser — aber er muß schon fünfzig
Sprachen kennen —, welchem Idiom diese rührende In-
schrift entlehnt ist. — Gegenüber eine Ansicht der Stadt
Stockholm; Hühner, Hunde, abgetriebene Pferde und einige
Zigarettenvertilger im Fez — so war das von Fliegen
durchschwirrte, ärmliche Gesamtbild, das nur noch der
von Korfu an durch den ganzen Orient gehende sonder-
bare Duft, der aus Apothekengeruch und Schweincstall-
parfüm gemischt zu sein scheint und Menschen wie Tieren,
Wohnung wie Speisen anhastet, harmonisch vervoll-
ständigte. Die Insulaner aber, weder durch ihn noch
durch mich gestört, tranken lustig ihren „Heurigen", eine
dicke schwarze Tinte, unter gewaltigem Geschrei weiter;
die Ursache ihrer besondern Erregung war eine zum fol-
genden Morgen angesetzte Hinrichtung; wegen der Popu-
larität des Opfers, eines nach unfern barbarischen Be-
griffen ganz gemeinen Mörders, hatte die Regierung, die
für den Abend Unruhen fürchtete, die Truppen konsignirt
und besonders den Hafen stark besetzen lassen, wo ein
griechischer Dampfer die schön in Holzkisten verpackte
Guillotine aus Athen brachte, da Korfu sich dieses nütz-
lichen Möbels nicht erfreut. Inzwischen erhitzten sich die
Phäakenschädel immer mehr und es war mir eine Wohl-
that, dieses steife und stille Volk endlich einmal lebendig

werden zu sehen. Ich blieb und beobachtete, bis die
untergehende Sonne den Streit beendete und „Dunkel
die Pfade umhüllte", wie Homer so treffend charakterisiert.
Oben im Abendhimmel leuchtete ein feiner Streifen Mond
neben einem purpurviolett umglühten Kirchturm und unten
in der engen finstern Gasse glühten wenige rote Öl-
lämpchen in den Buden der Fischbrater; Zeus und die
andern Götter bekamen wieder den „lieblichen Fettdampf"
zu riechen, von dem auch Homer zu erzählen weiß. —
Plötzlich krachte eine Kanone von der Festung, und indem
sich ihr Donner hierhin und dorthin verlor, schmetterten
die Fanfaren des Zapfenstreichs, — eine halbe Stunde
früher als sonst.

Als ich von der Abendmahlzeit kam, um mich ins
Theater zu begeben, spähte ich vergebens nach der er-
warteten Revolution aus; die Korfioten hatten inzwischen
auch zu Abend gespeist, und da überließ es jeder Satt-
gewordcne dem Nachbar, hinauszugehen und öffentlich,
angesichts des Militärs, gegen den Tod eines Verbrechers
zu protestieren. So blieb alles beim Frieden; und als
die nächste Sonne sich erhoben, war schon alles geschehen,
und Korfu zeigte sein Alltagsgesicht.

Wenn ich den Verurteilten um etwas bedauerte, so
war es, daß er diesen Morgen das goldne Licht des
Tages nicht mehr über seinem schönen Vaterlande auf-
gehen sehen konnte, und ich begriff auf einmal die
rührende Klage des Odysseesängers, wenn er von einem
Toten singt, der das heitre Licht des Tages nicht mehr
sieht; man muß aber den Himmel und die Sonne, die
Luft und das Meer von Hellas kennen, um ihn zu ver-
stehen. In den Physiognomien des Volkes spiegelte sich
etwas von der Malaria der Resignation: es wäre doch
schön gewesen, so ein kleiner Lärm mit ein paar Stichen,
Hieben und Schüssen; und nun hatte die nötige Energie
gefehlt, oder es waren einige schwarze Oliven und etwas
Käse zuviel gegessen worden .... oder der dunkle Wein
war zu gut gewesen; und nun war's verpaßt!

Ich aber machte einen großen Umweg, um der Ver-
steigerung alter Friesdecken zu entgehen, von denen ich
fürchtete, sie könnten aus einem Quarantänelazaret stam-
men, und wandte mich dem südlichen Vorgebirge zu, um
im Palmenhaine der königlichen Villa, die dort neben und
auf den Trümmern der antiken Residenz König Alkinoos'
steht, die unfreundlichen Eindrücke des letzten Tages zu
vergessen. Dort blickt man von drei Seiten durch das
Laub ins Meer hinab, das nie von Segeln entblößte
ionische Meer, dort atmet man den starken Duft der
Blüte japanischer Mispeln, untermischt mit dem auch den
italienischen Gärten eigentümlichen Geruch des Taxus und
der Lorbeerarten, dort überfliegt das Auge die nordwärts
gelegene Stadt und die ganze sruchtreiche Mczzaria, das
Mittclland Korfus, bunte Landhäuser und dichte Wälder
uralter Olivenbäume, deren Stämme aus phantastisch ver-
schlungenen Netzen zu bestehen scheinen. Terrassen führen
auf allen Seiten auf und ab, zuletzt weiterhin an einer
landesüblichen Miniaturkirche vorüber, zu den Säulen-
resteu eines antiken Quellenhciligtnms, um das der uymphen-
bewohnte Schilf in haushohen grünen Riesengarben cm-
porstrebt.

Von hier nach Westen über den vielgestaltigen, von
reizenden malerischen Baracken, Kirchen, Klöstern und alten
Mauerresten bevölkerten Hügelrücken hinweg geht's in
wenigen Minuten zu einer Stätte, wo die Lage der cinsti-
 
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