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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

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Proelß, Johannes: Der Wettbewerb für das Brüder Grimm-Denkmal in Hanau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0193

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von Io haII

Kunsthistoriker Geheimrat Hermann Grimm, hatte als
Mitglied des letztem sich für eine einfache Bildnisgruppe
auf schmucklosem Postament ausgesprochen. In Hanau
hatte man dagegen von vornherein ein Denkmal geplant,
dessen architektorischer Unterbau durch plastischen Ausschmnck
der nationalen Bedeutung der Grimms zu künstlerischem
Ausdruck verhelfen sollte. Nützlichkeitsgründe hatten dazu
den Wunsch der Stadtvertretung gefügt, daß dieser
monumentale Unterbau den Charakter eines Brunnens
erhalten sollte. Rat und Gemeindevertretung hatten als
Platz für das Denkmal die Mitte des großen Neustädter
Marktplatzes bewilligt, wo bisher ein Brunnen von nur
nützlichen Eigenschaften seine Stelle hatte. Gleichsam zum
Ersatz für ihn wollte man dem Unterbau des Monuments
die Pflichten dieses alten Brunnens übertragen. Wenn
dieser Wunsch den idealen Anforderungen an das Gesamt-
denkmal widersprochen hätte und aus diesem Grunde der
Widerspruch gegen denselben in Berlin erhoben worden
wäre, so könnte man den letzteren gewiß nur billigen.
Aber wenn der „Quell aus verborgenen Tiefen" schon
für das Lied ein treffend und schönes Gleichnis ist:

„Wie der Quell aus verborgenen Tiefen

So des Sängers Lied aus dem Innern schallt..." —

so ist er es für die aus den Trümmern der Vergangen-
heit von den Brüdern Grimm aufs neue hervorgelockte
quellfrische Märchenpoesie und Sagenwelt gewiß erst
recht. War doch diesen echt deutschen Denkern mit den
gemütvollen Träumerangen gleichsam ein Aaronstab eigen,
mit dem sie die uralten ursprünglichen Quellen der
deutschen Volkspoesie und der edelsten Eigenschaften der
deutschen Volksseele zu neuem Leben hervorzauberten.
Wahrlich, das heimliche Rauschen von Quellwasser zu
Füßen der Bildnisgruppe, welche uns die Brüder in
trauter Gemeinsamkeit geistigen Forschend und Denkens
darstellen soll, ist eine tief im Wesen des letzteren
begründete, dazu poetisch schöne Vorstellung. Ihre Ab-
lehnung der Brunnenidee hatten aber die Berliner
Autoritäten mit dem Argumente begründet, daß dem
neuerdings hervorgetretenen Bestreben, den Schwerpunkt
des Kunstwerks immer mehr auf die dekorative Aus-
stattung zu verlegen, entgegengetreten werden müsse.
Mit dem gleichen Rechte könnte man, weil in neuerer
Zeit das Schwimmen, Reiten, Rudern immer mehr in
Sport ausartet, überhaupt das Schwimmen, Reiten und
Rudern verbieten. Weil Ausschreitungen zu befürchten
sind, eine Sache ganz zu verhindern, das ist die
Logik der Ausnahmegesetze, die im politischen Leben schon
unhaltbar sind, im freien Bereiche der Kunst aber den
Grundbedingungen alles gesunden Wachstums zuwider-
laufen. Daß jene Überschätzung des dekorativen Elements
ein Fehler des Zeitgeschmacks und vieler unser Bild-
künstler ist, wer wollte es leugnen! Aber deshalb das
dekorative Element gleich ganz von der monumentalen
Plastik ausschließen wollen, das heißt, den Puritanern
von Cromwellscher Observanz nachahmen, die kurzer Hand
die Theater gewaltsam schlossen, weil es Stücke von
unsittlichem Charakter gibt; nur daß sie das Puritanertum
vom sittlichen auf das ästhetische Gebiet übertragen.

In dieser Beziehung ist denn das immerhin sehr
beachtenswerte Resultat des Wettbewerbs besonders lehrreich.
Dasjenige Modell, welches allgemein als die genialste
Leistung auf der Ausstellung ansprach, das von Eberlein
(Berlin), ist zugleich dasjenige, an welchem die Bildnis-

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gruppe den lebendigsten, ausdruckvollsten und an Charak-
teristik reichsten Eindruck macht und doch zugleich auch
der plastische Ausschmuck des Brunnenuuterbaues als
Produkt einer frei und quellend schaffenden Erfindungskraft
voller Schwung und Grazie auf Auge und Seele wirkt.
Daß auch in diesem Entwürfe sich die Brunnenidee mit
der Denkmalsidee nicht ganz verschmolzen zeigt, schließt
nicht aus, daß bei einer allgemeinen Konkurrenz auch ein
in dieser Hinsicht vollbefriedigender Denkmalsentwurf
ins Leben hätte treten können. Wäre die Berliner
Kommission in dem Streite siegreich geblieben, so hätte
jedenfalls auch das Eberleinsche Modell in seiner jetzigen
harmonievollen, von Leben durchpulsten Erscheinung nicht
entstehen können. Das Hanauer Comits aber gewann
auch hier die Zustimmung Goßlers und so stellte denn
das Ausschreiben den eingeladenen Künstlern frei: das
Postament mit der Brüdergruppe ohne weiteren Ausschmuck
zu lassen, den Unterbau mit weiteren Figuren zu zieren
oder ihm eine architektonische Grundlage in Form eines
mehr oder weniger plastisch ausgestatteten Brunnens zu
geben. Alle Arten finden sich nun auch unter den aus-
gestellten Modellen vertreten. Unter den brunnenlosen
spricht das von Eberle (München) durch feine Charak-
teristik, erhabene Stimmung und schlichte Schönheit am
meisten an. Den praktischen Bezügen der Brunnenidee
trägt bei lebensvoller Gestaltung der Statuengruppe das
eine der zwei Wieseschen Modelle am meisten
Rechnung. Unter denen, die dem Unterbau zum Nachteil
der Bildnisgruppe einen dominierenden Charakter gegeben,
hat Echtermeyer (Braunschweig) es verstanden, in
phantasievoller und poetischer Weise der nationalen Bedeu-
tung der Grimms allegorische Gestaltung zu geben. Sonst
haben noch Kaupert (Frankfurt) und Henze (Dresden)
Tüchtiges und Achtungswertes geliefert, während die
Modelle von den Berlinern Bärwald und Bergmeyer
und dem Kasselaner Hassenpflug die Kritik in hohem
Maße herausfordern. Ein Entwurf, der die herrliche
Aufgabe in ihrer vollen Bedeutung und in fehlerfreier
Form zu reinster Befriedigung gelöst zeigte, befindet sich
aber nicht unter den eingelieferten Modellen.

Nachschrift. Am 17. hat nun die Jury ihr Urteil
gefällt. Danach hat Professor Wiese den ersten, Eberlein
den zweiten, Eberle den dritten Preis erhalten. In der
Jury bildeten die Majorität fünf Delegirte der preußischen
Regierung, die Geheimräte und Professoren Ende, Museums-
direktor Jordan, Maler Becker, Bildhauer Schaper und
Wolf. Das Grimm-Komitee hat außer zwei seiner Hanauer
Mitglieder die Bildhauer Professor Volz-Karlsruhe und
König-Wien in die Jury entsandt. Nachdem Professor
Wiese, der vor einigen Jahren von Berlin aus an die
Spitze der Hanauer Akademie gestellt wurde, seiner Zeit
von der Berliner Landeskommission auch als Derjenige
bezeichnet worden war, dem man versuchsweise den Auf-
trag eines Entwurfs vor jeder Konkurrenz zuerteilen
sollte, ist ihm nun der erste Preis zugefallen. Redlicher
Fleiß und entwickeltes Kunstgefühl ist dem Schöpfer dieses
Modells nicht abzusprechen; auch ist seine Bildnisgruppe
ausgezeichnet durch kräftige Charakteristik; leider aber ist
das Ganze keiner genialen, sondern einer prosaisch-
nüchternen Auffassung der großen Aufgabe entsprungen.*)

*) Die hauptsächlichsten Kunstentwürfe hoffen wir im
nächsten Hefte bildlich vorführen zu können. Die Red.

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