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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

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Proelß, Johannes: Modelle, [1]: ein Novellenkranz
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Lin Novellenkranz.

von Johannes Prölß 225

ein neues Blatt in unfern Skizzenbüchern an fangen", unter-
brach das Schweigen der Vater, welcher, nun gleichfalls von
der Aussicht gefesselt, neben sie getreten war. „Gehen wir
an die Arbeit. Was hilft alles Grübeln und Reden
über Zwecke und Grenzen der Kunst; arbeiten, schaffen,
bleibt die Hauptsache. Aber da ist der Doktor Weinhold
d'ran schuld, der mich gestern Abend beim Judenwirt so
lange wachhielt mit seinem geistreichen Plaudern über die
Freilichtbilder der „Internationalen". Da flieht man
aus München, um sich vor dem Lärm theoretischer Kunst-

Ein Versprechen vor dem Herd, von Karl probst

wiener Iabresausßellung 1(889
Photographieverlag der Photographischen Union in München

und etwas Neues darstellt, das so in der Natur noch nicht
vorhanden, so verdienten wir immerhin ein wenig mehr
Rücksicht von Seiten unsrer gestrengen Gebieterin. Sie
aber kehrt sich nicht daran; beleuchtet uns jede Vorlage
in beständigem Wechsel bald so, bald so, überschattet sie
nach Belieben oder überflutet sie mit ihrem Strahlen-
meer. Und dabei soll ein Bild aus ein und derselben
Stimmung herausgeboren werden."

Der Maler behandelte offenbar ein Lieblingsthema,
denn auch als er oben auf dem Wiesengrund augelangt
war, der den einstigen Vorhof der Burg
mit seinem Teppich überzog, sprach er noch
weiter und wetterte auf die neumodischen
Theorien der Freilicht-Realisten, die in der
getreuen Wiedergabe eines beliebigen „Stücks
Natur" den Gipfelpunkt der Kunst sehen,
aber auch behaupten, daß diese treue Wieder-
gabe in ihrer Macht stehe. „Als ob ein
Stück Natur in Bezug auf Farbe s Licht,

Schatten, auf alle malerischen Eigenschaften,
sich immer gleich bliebe. Als ob ein Maler
die Natur in ihrer Bewegung darstellen könne,
er, der doch immer nur einen einzigen Mo-
ment der Bewegung festhalten kann, diesen
freilich auch dauernd. Als ob eine Be-
leuchtung, die uns zum Festhalten im Bilde
anregt, eine Stimmung, die sie erzeugt, wie
ein lebendiges Modell verweilen könnte: bitte,
nur noch eine halbe Stunde; ich bin gerade
so schön im Zuge! Die Sonne hört nicht
aus unsre Wünsche, und flehten wir auch
noch so innig: bitte, noch ein wenig freund-
lich. Und Wochen können vergehen bis das
„Stück Natur" sich wieder so beleuchtet, so
gestimmt zeigt, wie in jener Stunde der
Bildempfängnis. Nein, wenn wir keine Ein-
bildungskraft, kein Farben- und Liniengedächt-
nis, kein Ergänzungsvermögen, keine Nach-
empfindungskraft besäßen, die uns ermöglicht
nach Motiven der Wirklichkeit allein Bilder
zu entwerfen und auszuführen, von Sonnen
Gnaden, von Geistes Gnaden könnten wir
nicht bestehen, ebenso wenig wie wir mit
ihren Künsten wetteifern können."

Seine Tochter hatte zuletzt nur noch mit
halbem Ohr diesen lebhaften Auseinander-
setzungen zugehört, so sehr das Thema auch sie
interessierte. Mit einem Ausruf entzückten
Staunens war sie gleich nach dem Betreten
der Lichtung vor an die Brüstung geeilt, welche hier von
dem Trümmerrest der alten Burgmauer gegen den Abhang
gebildet ward. Zum erstenmale bot sich ihr in voller
Beleuchtung die weite herrliche Fernsicht, die man von
hier oben nach Nordosten zu, in das sich weit ausbuchtende
Unterinnthal bis zu den gleich mächtigen Felseninseln
aus der Niederung aufragenden Bergmassen des Kaiser-
gebirges genießt. Auch der Anblick der stillen menschen-
leeren Straßen der alten Stadt ihr zu Füßen, schlummernd
wie das sagenhafte Vineta und von dem bunten Leben
früherer Glanzzeit träumend, als noch der Handelsverkehr
zwischen Venedig und Passau durch ihre Thore flutete,
— um wie viel farbenreicher und stimmungsvoller bot
er sich heute als gestern. „Da wollen wir nur gleich

Die Au,.st für Alle IV

gespräche zu retten und erfüllt dann im Freien die harm-
lose Bergluft mit ästhetischen Monologen." Er wandte
den Blick nach links. „Ich bin neugierig, was Thausig
angefangen hat, der gestern noch zu Gunsten seiner Ol-
skizze Stein und Bein schwor, das trübe regenlose Wetter
werde noch Tage andauern. Siehst du, sein Platz ist
leer. Wahrscheinlich wird er sich mit den beiden Herren
aus Düsseldorf zusammengethan haben, die dies malerische
Gemäuer von drüben aus aufnehmen. Das könnten wir
übrigens auch thun. Schon wegen der Hitze. Dort
finden wir am ehesten einen schattigen Platz. Sonst
müssen die Schirme nachhelfen. Jawohl, die Herren
Porträtmaler und die andern, denen drin in der Stadt
das Leben ihre Modelle liefert, die sie sich ganz nach

so
 
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