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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

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Brandes, Otto: Der Pariser Salon 1889, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0396

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310

Der Pariser 5alon I88Y

Badende Jungen (Hardanger in Norwegen). Von Btto Sinding

Erste Münchener gahres-Ausstellnng 18SA

lasse mich heute jedoch hier auf Citierung und Schilderung
nicht ein, da wir schon in den nächsten Wochen uns ein-
gehend mit der Entwickelung der französischen Malerei
in den letzten zehn Jahren zu beschäftigen haben, und
dabei uns die Namen aller derjenigen Künstler wieder
unter die Feder kommen werden, die hieran einen her-
vorragenden Anteil gehabt haben. Ich will hier nur
erwähnen, daß Pelez, der seine Qualität als Maler der
Armut in den letzten Salons so glänzend bcthätigt hat,
dieses Mal mit seiner „Vitrioleuse" hinter sich selbst und
unfern Erwartungen zurückgeblieben ist. Das geisterbleiche
Frauenzimmer mit den blutunterlaufenen Augen, im
schwarzen Kleide, die mit einer Tasse Vitriol dem un-
getreuen Geliebten auflauert, erzeugt weder Mitleid noch
Schrecken, und seine armselige, schwindsüchtige Nähterin
im Regenmantel, die im Dämmcrschein der Lampe ihre
letzten Kräfte an die Vollendung einer glänzenden Ball-
robe setzt, bringt keine Rührung hervor und ist unehrlich
im Gefühl. Dagegen hat Geoffroy, den ich meine
Leser, die sich für französische Kunst interessieren, bitte im
Auge zu behalten, durch sein Bild „Im Hospital" einen
Schritt weiter in der Erkenntnis und Darstellung des
intimen Lebens der Armut gemacht. Es ist Besuchstag
im Hospital der Kinder. Der Vater dort mit den schwieligen
Händen im Vordergründe, dem mehr als bescheidenen Anzuge,
der um seinen Jungen zu sehen, einige Stunden der Arbeit
geopfert, blickt liebevoll auf sein schwerkrankes Kind, das
die Augen nicht von ihm abwendet, während in einem
zweiten Bett ein kranker Knabe den älteren Bruder innig
an sein Herz zieht; in einem dritten Bett liegt ein Kind,

zu dem niemand gekommen, um das sich niemand kümmert.
Durch ein großes Fenster fällt das Helle Licht, in welchem
die Figuren mit großer Kraft modelliert sind, und das
auf dem weißen Linnen der Betten spielt, über die nackte
Wand streicht und jene Hospitalstimmung erzeugt, die
jedem, der einmal ein solches besucht hat, unvergeßlich
ist. Es ist dieses Bild eine rührende Geschichte vom
Leiden und Lieben der Armut von Jugend auf.

Von aktuellem Interesse ist Gaston La Touches
„Streik", zu dem wohl Zolas Germinal die Veranlassung
gegeben hat. Ein Zug strikender Arbeiter und Arbeiter-
innen, voran einen schwarzen Lappen tragend, auf welchem
in roter Signatur das Wort „Brot" steht, in aller
Mienen die Entschlossenheit, welche die Verzweiflung gibt,
verläßt die Arbeitsstätte, deren Hochöfen den Hintergrund
des Bildes ausfüllen. Es ist dem Künstler gelungen, in
dem figurenrcichen Bilde durch Farbe und Charakterisierung
jenen düstern Stempel aufzudrücken, der dergleichen Si-
tuationen eigentümlich ist.

Der moderne Künstler begnügt sich aber nicht
bloß die materielle Not der Armen, sondern auch die
Herzeusnot derselben, namentlich der letzten Stunde, zu
schildern. Zahlreich sind die Vorwürfe in dem diesjährigen
Salon, in welchem das Abendmahl gebracht wird. Wenn
der Künstler daher mit scharfem Auge den seelischen
Vorgängen in der umgebenden Welt nachgeht, so dürste
der Schluß erlaubt sein, daß es mit der Jrreligiösität,
die heute die Reaktion den ärmeren Klassen vorhält, doch
nicht so schlimm ist, als man glauben machen möchte.

In der Landschaft herrscht die anerkennenswerte
 
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