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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

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Proelß, Johannes: Modelle, [4]: ein Novellenkranz
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Barth, Hans: Römerbrief, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0423

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Modelle. Novellenkranz, von Johannes proelß — Römerbrief, von ksans Barth

zn sagen", brummte er. „Die Hexe hatte sich beim
Ringen in meinem Bart sestgegriffen und dabei sind ein
paar Haare draufgegangen. Wenn ich sie nur einmal
noch aufjagen könnte, für jedes Haar müßte sie mir einen
Kuß geben!"

Als wir am andern Morgen das Marktschiff zur
Rückfahrt bestiegen, fiel uns unter den ländlichen Fahrt-
genossen sehr bald ein Mädchen auf, das sorgfältiger und
geschmackvoller gekleidet war als die andern und dabei
doch mit größerer Treue gegen die Überlieferung. Da
es sehr sonnig war, hatte sie ihr buntseidenes Kopftuch
tief in die Stirn gezogen und handhabte außerdem einen
Fächer, wie dies in Italien in Feierstunden auch die ge-
wöhnlichen Leute thun. Dies Fächern diente ihr jedoch,
wie ich bald bemerkte, auch zur Bemäntelung von ver-
stohlenen Blicken, mit denen sie uns und im besondern
meinen westfälischen Freund beobachtete. Ihm entging
dies aber. Nachdenklich starrte er vor sich hin. Sein Geist
suchte die schöne Gegnerin von gestern ans den Gestaden
Sorrents, wie es sein Auge gestern abend und heute früh
bis zum Abgang des Boots mit größtem Eifer, aber
erfolglos gcthan. Sie in dem Fahrzeug zu suchen, fiel
ihm nicht ein . . . Und doch saß die Gesuchte dort ihm
gegenüber, und doch trug sie an ihrer Fächerhand ein
Zeichen, das ihm sagen mußte, daß sie es sei. Aus den
rotgoldcnen Barthaarcn, die sie beim Ringen mit Tömsen
in der Hand behalten, hatte sie sich ein Ringlein zurecht
gedreht und dies Ringlein trug sie am Finger, ein deut-
liches Zeichen, daß sie dem kecken Mann nicht zürnte,
der gestern auf ihr wildes Spiel in den Wellen so ver-
wegen eingcgangen war. So reimte ich mir wenigstens
die Dinge zusammen, da ich an dem Finger die roten
Haare im Sonnenlicht golden erschimmern sah. Als ich
Tömsen auf meine Entdeckung aufmerksam machte, ging
es wie freudiger Schreck durch seine Glieder. Er faßte
meine Hand und drückte ffe. Dann murmelte er vor
sich hin: „Ihr gütigen Götter . . . Das gibt ein
Bild . . . Ihr selbst sandtet mir das Modell ..."
Weiter sprach er kein Wort. Auch sie redete er nicht an,
noch gab er ihr durch Zeichen zu verstehen, daß er sie
wieder erkannt. Und sie paßte ihr Verhalten dem seinen
an. Nur wenn sie fühlte, wie sie unter seinen langen,
prüfenden Blicken errötete, senkte sie ihr Angesicht zu
Boden. Seine Haare zurückfordern und wie er gestern
gesagt, für jedes zugleich einen Kuß, siel ihm nicht ein.
Erst beim Aussteigen redete er sie an, nachdem er es so
einzurichten gewußt, unauffällig neben sie zu kommen.
Ihre Schönheit hielt auch vor der Sonne Stich; jetzt
wo sie sich erhob zeigte sich aufs neue, wie edel von
Wuchs sie war. Tömsen stieg neben ihr ans Land; ich
folgte beiden. „Ihr seid hier zu Hause?" frug Tömsen
sie leise, indem er ihr fragend ins Auge sah. „In Anacapri,
Herr." — „Wie aber kamt Ihr nach Sorrent?" — „Ich
habe Verwandte dort, an die ich einen Auftrag hatte."

— „Und kommt Ihr oft herunter nach Capri." —

— „Freilich. Ich halte dort oben meiner Großmutter
das Haus. Mein Vater aber lebt unten. Dicht bei der
Piazza ist sein Laden." -— „Wie heißt du?" — „Carmi."

— „Ich möchte mit dir sprechen, Carmi. Allein. Ich
bin ein Maler." — „Das habe ich mir gedacht." —
„Und Wann kann ich dich treffen?" -— „Heute Abend
vor sieben Uhr werde ich mit einer Freundin auf der
Straße nach Anacapri spazieren gehen, dort, wo die alte

Stufentreppe mündet." — „Danke, Carmi. Ich werde
kommen."

Dies war der Anfang eines Verhältnisses, welches
in seinem abenteuerlichen Verlauf für Tömsen leider zum
Verhängnis ward. Die kühnen Erwartungen, die da-
mals der Erregte an diese Begegnung knüpfte, wurden
durch Carminella erfüllt. Er gewann sie zum Modell für
das Tiberianische Nympheubild. Er malte nach mancherlei
Entwürfen und vergeblichen Versuchen auch wirklich ein
größeres Gemälde, das jener Vision entsprach, die ihn
veranlaßt hatte, wieder zum Malgerät zu greifen. Und
wenn das Werk auch neben großen Vorzügen ebensolche
Schwächen hatte, so durfte er doch von dem Resultat
seines Mühens zufrieden sein und er war es auch.

Carminella aber brachte ihm auch die Erfüllung
jenes andren Wunsches. Ihre Schönheit und noch mehr
das Gemisch von Koketterie und Sprödigkeit, von heiterer
Lebensauffassung und ablehnender Kälte in ihrem Wesen
entflammte in ihm eine letzte große Leidenschaft. Umsonst
jedoch warb er um die Gunst des Mädchens. Jeden
Versuch erotischer Annäherung lehnte sie kühl, fast höhnisch
ab. Heiter und ohne eine Regung schamhafter Scheu gab
sie den Anblick ihrer Reize den Blicken des Malers preis;
heiter und dankbar wie ein Kind, dem man buntes Spiel-
zeug bringt, nahm sie die wertvollen Schmucksacheu an,
mit denen er sie beschenkte. Aber Tömsens Erwartung,
sie würde ebenso heiter und unbefangen seine Liebkosungen
aufnehmen, litt kläglich Schiffbruch.

Auch in dieser unnahbaren Jungfräulichkeit war
Carminella eine echte Capresin. Die Töchter dieser einsamen
Insel werden mit Ängstlichkeit von früh auf dahin erzogen,
nie einem Mann vor der Ehe in Liebe sich hinzugeben.
Der große Unterschied zwischen dieser Zucht des Herkommens
nnd den Sitten, die in vielen andren bäuerlichen Gegenden
herrschen, erklärt sich unschwer daraus, daß die Männer
Capris meist Schiffer und Fischer sind, deren Beruf
leicht Plötzlichen Tod oder die Versuchung zu weiten
Reisen mit sich bringt. Ein Caprimädchen wird darum
selten vor der Hochzeit ihrem Schatz die Kammer öffnen.
Tömsen bekam dies oft zu hören, aber er verspottete es
anfangs als Fabel. Ter Rechte werde auch hier schon
sein Ziel erreichen. Aber was er auch anstellte, sich als
„der Rechte" zu bewähren, sein reizendes Modell blieb
spröde.

Und da er seine Leidenschaft nicht anders beschwichtigen
konnte, heiratete er Carminella.

(Ter Schluß im nächsten Hefte)

Komerürief

Von Dans Barth

m 9. Juni fand, wie Sie schon früher melden konnten,
die Enthüllung des Giordano Bruno-Denkmals
statt, und zwar unter der festlichen Beteiligung des ganzen
liberalen Italiens und unter Feierlichkeiten, wie sie bei
ähnlichen Anlässen selten — ja wir dürfen wohl sagen,
vielleicht kaum bekannt waren. Die 2000 Banner des
endlosen Festzugs, der sich vom Termenplatze zum Campo
de' Fiori begab, gestatten auf die unerhörte Großartigkeit
und die nationale Begeisterung zu schließen, mit der Rom
nnd Italien den edlen Märtyrer geehrt hat. Wir über-

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