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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 4.1888-1889

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Proelß, Johannes: Modelle, [5]: ein Novellenkranz
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https://doi.org/10.11588/diglit.9419#0446

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Lin Novellenkranz. Von Johannes vroelß zzy

ihr Verhältnis mit Durand vor seinen Augen zu Pflegen.
Er hatte ihr doch nicht Unrecht gethan in jener Stnnde
wilder Erregung. Er hatte nichts zu bereuen, nichts —
als den dümmsten Streich seines Lebens, seine ganze
Zukunft an diese herzlose Wilde gefesselt zu haben.
Armer Tömscn!

Ich bin am Schluß der Erzählung. Carmi hatte
den flehenden Bitten Durands nachgegeben und ihm einen
Besuch in seinem Atelier zugesagt, damit er sein inzwischen
entstandenes Thonmodell nach der Natur abtöncn könne.
Tömscn war kein Frühaufsteher; er schlief auch jetzt meist
bis gegen Mittag, nachdem er bis weit über Mitternacht
sein stilles Wesen in seinen Zimmern getrieben. So hatte
Carmi die Zeit um Sonnenaufgang für ihren Besuch
festgesetzt. Auf dem Wege nach dem ihr wohlbekannten
Hanse überkam sie plötzlich die Angst, ihr Mann könne
ihren Ausbruch bemerkt oder von einer der Mägde erfahren
haben; eine Ahnung befiel sic, als werde er ihr in der
Hausflur entgegentreten und sie erdrosseln. Ta fiel ihr
ein, daß es ja noch einen andern Weg gäbe, um zu Durand
zu gelangen. Er hatte ihr viel von der Roscnlaube auf
dem flachen Dach seines Hauses erzählt, neben der er ein
Zelt sich hatte schlagen lassen, in welchem er in kühlen
Stunden arbeite. Sie kannte das Dach gar wohl. Als
Kind hatte sie auf ihm mit den Kindern der Hauslcute
oft gespielt. Es war höher gelegen als die Nachbardächer,
aber in jener Zeit wagehalsiger Kinderspiele war sie oft
über die Flucht der Nachbardächcr hinaufgcklettert, nach-
dem sie mit den Gespielen in einem ferner gelegenen
Haus den Aufstieg genommen. Dies fiel ihr ein. Sie sah
enipor. Gerade das Haus neben ihr war cs gewesen.
Und einem elementaren Impulse folgend, trat sie in das
Haus, tastete sich im Finstern auf der Treppe zurecht
und trat schließlich den ihr wieder in die Erinnerung
getretenen Pfad über die Dächer an.

Im Dämmerlicht des vor der ersten Morgenhelle
erblassenden Mondes erheischte der Weg ihre volle Auf-
merksamkeit. So merkte sie nicht, daß eine dunkle Gestalt
einige Zeit nach ihr ebenfalls auf der Plattform erschien
und ihr, sich bisweilen hinter die Essen und Randmauern
duckend, heimlich nachging. Dann und wann taumelte
diese Gestalt wie ein Betrunkener; es war aber nur die
furchtbare innere Spannung, welche Tömsen wie einen
Schwindelanfall zu bekämpfen hatte. Wie leicht die Teufelin
da vor ihm durch die blaue Luft dahinglitt, gerade als
ging es zum Tanz. Und wie schön sie aussah: er mußte
an die alte Sage von der Hexensahrt auf den Brocken
in der Walpurgisnacht denken; es soll ja mich schöne
Hexen geben . . . Dann suhr's jäh durch sein Hirn:
„Herr Gott, wenn sie fehlträte und herabstürzte. Es ist
doch deine Frau, die so süßes, heißes Glück dir gewährt!"
Er wollte vorwärts stürzen. Doch gleich darauf hemmte
er den Schritt. „So ein Weib tritt fehl, ohne zu
stürzen" . . . Und doch — wenn sie noch rein wäre,
wenn er den Fehltritt, den sie jetzt vor hat, noch ver-
hindern könnte. Und wenn sie beide dabei zu Grunde
gingen! Es wäre doch Rettung!" . . . Doch da war sie
schon am Ziel . . . Berückendes Bild! Sie schwang sich
mit unnachahmlicher Grazie über die Brüstung. Ihre
weißen Zähne blinkten dabei. Ganz leise klang ihr Lachen
durch die Luft . . .

Tömsen verlor in diesem Augenblick wirklich den
Halt. Er hatte sich bücken wollen, aber der zuletzt em-

pfangene Eindruck schlug ihn nieder. Ein krampfhaftes
Weinen befiel ihn. Seine Glieder waren gelähmt. Mühsam
gelang es dem großen Mann erst nach einer Weile sich
aufzurichtcn. Mühsam, streckenweise auf den Händen
kriechend, gelangte dann mich er auf das Dach, hinter
dessen Brüstung Carmi vorhin seinen Blicken entschwunden
war, gelangte er zur Treppe und über deren Stufen
hinunter bis zu dem Flur, auf dessen Boden ein feiner
Lichtstrcifen durch das Schlüsselloch einer Thür fiel. Er
tastete leise sich an diese Thür. Er bückte sich und sah
durch das Schlüsselloch. „Teufel!" — wie von höllischem
Feuer geblendet fuhr er zurück. Er griff sich an's Herz.
Ein Beben durchlief seine Glieder. Dann faßte er die
Thürkliuke, um sie zu öffnen. Umsonst. Ein schlimmes
Lachen entstellte seine Züge. „Natürlich! Geschlossen!"

Doch Carmi hatte das Geräusch der Klinke gehört.
Sie war unter eine Decke geschlüpft und erklärte, sie
könne nicht mehr Modell stehen. — „Es war nichts",
suchte Durand sie zu beschwichtigen. „Der Morgenwind
wird vom Dach hcrabwehen. Cie ließen gewiß beim
Kommen die Thür offen." — „Dann schließen Sie sie."
Durand folgte der Bitte. Er öffnete, trat hinaus, be-
merkte ini Dunkel der Flur den Feind nicht, der sich an-
schickte, sich auf ihn zu stürzen, und eilte schnell, um die
lästige Unterbrechung abznkiirzen, hinauf. Tömsen folgte.
An der Thür oben bekam er den vermeintlichen Räuber
seiner Ehre zu Packen . . . „Hab' ich dich!" knirrschtc
er. Er schleppte ihn hinaus auf das Dach, warf ihn zu
Boden und faßte ihn au dem Hals. „Und nun beichte.
Wie weit kamst du mit ihr. Blicb's bei der Psyche oder
stahlst du mir mehr?" — In diesem Momente kam
Carmi in fliegenden Gewändern aufs Dach gestürzt.
„Mann! Mann!" rief sie, „bist du rasend. Laß ihn!
Er stahl dir nichts. Ich gab mich ihm" . . . Ein
röchelnder, furchtbarer Schrei entrang sich den Lippen
Tömsens. „Ah!" — Dann fuhr er enipor. „So bist
du allein schuldig!" — „Ich gab mich ihm, aber nur
als Modell!" Sie sagte es fest und bestimmt und sah
ihn dabei mit großen Augen wie beschwörend an, daß
er den erhobenen Arm langsam sinken ließ. Inzwischen
aber hatte sich Durand erhoben und sich auf seinen
Gegner geworfen. Ein furchtbares Ringen entstand.
Umsonst gab sich Carmi Mühe, die Wütenden zu trennen.
In furchtbarer Verschlingung standen sie bereits am
Rande des Daches und jeder schien den andern über die
Brüstung heben zu wollen. Da begannen Tömsens Kräfte
zu erlahmen. Ganz plötzlich gab er nach. „Wozu auch!"
hauchte er. Durand, der ihm gerade vorher mit dem
Aufwand all seiner Kraft einen Stoß gegeben, wollte ihn
jetzt halten. Auch Carmi, welche händeringend dagestanden,
stürzte hinzu ... Zu spät . . . Tömsen hatte das
Gleichgewicht verloren. Seine Gestalt schwankte über die
Brüstung, mit ihrem Gewicht Durand nachziehend. Dieser
ließ los und Tömsen stürzte hinunter ... Er fiel
glücklich, denn er starb an dem erlittenen Genickbruch sofort.

Was aus Carmi geworden? O, sie lebt noch heute.
Tömsen hatte ein Testament hinterlassen, das sie für den
Fall einer Wiedcrverheiratung enterbte.

Dies Testament sollte seine Rache sein. Sie aber
hat sich gehütet, wieder zu heiraten. Ihre Nixcnnatur
hat noch manchen Künstler entzückt, ihre Schönheit der
Kunst noch oft zur Vorlage gedient. Aber ebenso wenig
wie sie wieder unter ihre bäuerlichen Gespielinnen von
 
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