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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Zimmern, Helen: Die neapolitanische Malerschule
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Flächsenhaar, H.: Unsre Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0125

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Die neapolitanische Nlalerschirle. von kselen Zimmern — Unsre Bilder

der zugleich so bizarr, so vielseitig und anscheinend unzusammenhängend, so reich und so seltsam ist. Seit acht
oder neun Jahren tönt der Name Michetti dem italienischen Ohr als die Bezeichnung für etwas Neues, Uir-
erwartetes, Wildes und Extravagantes. Sein Name ist gleichbedeutend mit prächtigen Stoffen und blendenden
Fleischtinten, verbunden mit dunkeln Kobaltschatten — mit sich widerstreitenden absichtlich gesuchten Farben —
mit üppigen Frauen umflossen von einer Atmosphäre von Sonne und Hitze — mit in einem Künstlerhirn
erschaffenen Landschaften, in denen die Bäume keinen Schatten werfen, oder die Schatten durch Bäume außer-
halb des Bildes geworfen werden — kurz, gleichbedeutend mit tiepolesquer Kühnheit und japanischer Naivität
—- mit sonderbaren, ungewöhnlichen Rahmen, — mit einem Karneval komischer Figuren, -— mit Dorfidyllen
in glühendem Sonnenbrand — und all dies durchdrungen von einer jugendlichen Frische und Macht, einem
künstlerischen Humor, der auf einen sorgenlosen, unbekümmerten Künstler schließen läßt, reich in Kraft und
schöpferischer Geschicklichkeit. Es wurde schon gesagt, daß die meisten Künstler ihre Augen im Gehirn haben,
von Michetti könnte man sagen, daß er sein Gehirn in den Augen hat.
Der mir hier gestattete Raum erlaubt mir nicht länger bei den andern, in ihrer Art nicht weniger
bedeutenden Künstlern, die den Ruhm des moderneu Neapels bilden, zu verweilen. Ich muß mich darauf
beschränken, die folgenden Maler zu nennen: Palizzi, der treffliche Tiermaler, der Archäologe Miola, der
glänzende di Chirico und Vetri, die zwei letzteren bedeutende Schüler von Morelli; Boschetto, Caprile, Lojacono,
Cortese, Mancini, Armenise, die zwei Altamura, Netti und noch andre. Auch konnte ich selbstverständlich die
Schule der Bildhauer nicht einmal erwähnen, die in ihrem Feld nicht weniger rege und fähig ist, als die
ihrer Brüder des Pinsels. Alle zusammen zeichnen sich durch seltene Geschicklichkeit, Frische der Gedanken und
Ausführung, Feuer, rege Phantasie und Fruchtbarkeit aus; alle zusammen überschreiren leicht das Maß, wie
ihre Vorgänger Solimena, Bernini und andre. Etwas von ihrem bizarren Geist lebt noch immer in Neapel
und wird sich vielleicht unter einem so heißen Himmel und in einer so sinnlichen Atmosphäre immer finden,
aber Niemand wird leugnen, daß die modernen Künstler Neapels so interessant sind wie die Alten und wie
diese ein eingehenderes Studium verdienen.

ll n s r c
ntcr den vielen kleinen Perlen der letzten Münchener
Ausstellung nahm die „Hausiererin auf dem Lande"
eines ganz jungen schwäbischen Künstlers, Theodor
Schmidt, durch die Frische der Empfindung und die
Feinheit der Ausführung, noch mehr aber durch die Schärfe
der Charakteristik des schwäbischen Wesens, unläugbar
einen der ersten Plätze ein. Man konnte nichts Liebens-
würdigeres sehen als diese junge Mutter, die sich so auf-
richtig an dem lebhaften Jnleresse freut, das ihr Spröß-
ling an dem Hampelmann nimmt, den der Großvater an
den Drähten zieht. Und welchen tiefen Anteil nimmt die
jüngste Schwester der Frau an der Puppe, welche die
kniccnde Hausierern: ihr darbü tct! Wie unbefangen amüsieren
sich ihre älteren Geschwister an den Bildern in der
„Gartenlaube" oder den „Fliegenden Blättern", die sie
betrachten! Dabei baut sich die ganze Gruppe ebenso
malerisch als natürlich und ungezwungen auf, die Farbe
ist klar und wohlthncnd, der Vortrag pikant und ab-
wechselnd, so daß man hier wohl von einer bedeutenden
Zukunft des Künstlers sprechen kann, wenn er hält, was
er mit diesem lieblichen Bild verspricht, d. h., wenn es
ihm gelingt, sich die reine Naturempfindung zu erhalten,
mit der er hier seine Landsleute wiedergab, was in
München nichts weniger als leicht ist, wo so verschiedene
Eindrücke auf die leicht erregbare Künstlerphantasie cin-
wirkcn.
Ähnliches würde man auch bei des Ungarn Giula
Tornais „Geschenk des Herodes" sagen können, da er
ein unbestreitbar bedeutendes malerisches Talent und ein
sehr achtbares Können offenbart, wenn sich der Künstler

Vilder
nur von seiner Neigung zu theatralischem Wesen würde
befreien können, das einem jetzt die Freude an seinem
Geschick mindert. Aber sein Herodes ist ein Kuliffenreißer
erster Klaffe und die beiden Damen gehören zu seiner
Familie, so daß man nur im verehrungswürdigen, zum
Maulhalten verdammten Publikum hinten noch einige
wahr empfundene Figuren trifft, die uns über die Zukunst
des Künstlers beruhigen, wenn er sich Gegenständen zu-
wcnden wird, die seinem Verständnis näher liegen, als
diese Bravourstücke eines orientalischen Despotismus, den
er wahrscheinlich nur aus dem Theater kennen gelernt hat.
Denn seine eigenen Landsleute würden sicherlich nie so
gespreizt dargestellt haben. Offenbar hat ihn der malerische
Reiz solcher Szenen verführt, wie er denn auch nach
dieser Seite hin unzweifelhaft sehr erhebliches geleistet hat.
Von dem jüdischen Tyrannen ist nur ein Schritt
zu den deutschen Schafen, wie sie Zügel von der Früh-
lingssonne bescheinen läßt, da die letzteren niemals die
Geduld zu verlieren pflegen, welche die Despoten erst er-
zieht. Man muß aber sagen, daß sich diese Schafe und noch
mehr die Lämmer ihrem Quäler, dem Schäferhund,
gegenüber immer noch weit anständiger benehmen, als
die Hofkanaille in Jerusalem. Ja sie empfinden sogar
offenbar eine gewisse naive Genugthuung darüber, daß
der Despot seinerseits auch wenigstens von den Flöhen
gepeinigt wird, es also doch noch eine Vergeltung in der
Welt gibt! Wie dem auch sei, Zügel zeigt in der Dar-
stellung seiner so tief in der Wolle sitzenden Pfleglinge
eine Wahrheit und Schlichtheit, die man bei den Helden
unsrer Historienbilder nur zu oft vermißt, und weiß eine
 
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