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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Weihnachtsbücherschau
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Weihnachtsbücherschau

,07


Aus Gehrts-Dieffenbach, „Goldenes Märchenbuch"

tümlichkeiten des einzelnen Meisters weit besser als dieser wieder-
geben, nachdem sie sämtlich mit Benützung der besten vorhan-
denen Original-Photographien gefertigt sind. So kann man
sich z. B. bei der nach einem Lichtbild von Braun in Dör-
nach hergestellten Abbildung der Madonna di San Sisto leicht
überzeugen, daß auch die besten Kupferstiche im Ausdruck der
Köpfe immer noch manches zu wünschen übrig lassen, was
man hier für acht Pfennige, soviel kommt auf jedes Blatt,
als ganz selbstverständlich erhält. — Allerdings kann man das
von der Totalwirkung des ganzen kaum sagen, sie läßt ivie der
Reiz des Helldunkels und die Klarheit des Tons bei dieser Art
von Wiedergabe in der Regel noch immer zu wünschen übrig.
Indes ließe sich auch hier durch weicheres und gelblicheres Papier
und eine bräunliche, nicht halb so tiefe Druckfarbe leicht eine
große Verbesserung erzielen. Natürlich ist bei solchem Unter-
nehmen die geschickte Auswahl der Bilder und ihrer Nach-
bildungen von größter Wichtigkeit. Aber gerade hier kann man
der Kenntnis und dem seinen Geschmack der Herausgeber, die an
der Spitze der allen Pinakothek zu München stehen und als
Kunsthistoriker zu den ersten ihres Faches zählen, in der Regel
nur Beifall zollen, ja es ist kaum irgend ein großer Künstler
der Renaissance vergessen. Die bisherige Leitung des Unter-
nehmens gibt uns darum die volle Gewißheit, daß dieser
„Bilderjchatz" in wenigen Jahren unzweifelhaft alles bedeutendste
enthalten wird, was die Malerei der klassischen Zeit geschaffen.
Von der zweiten Serie sind seit 1. Oktober bis jetzt sechs Liefe-
rungen ä 50 Pf. erschienen, die zeigen, daß das Unternehmen in
gleichem Sinne fortgesetzt wird.
Von sehr viel jüngerem Adel oder vielmehr ganz bürger-
lich, jedenfalls den Parvenü unter den Großstädtern nirgends
verläugnend, treten die „Spree-Athener" des, wie es scheint,
unerschöpflichen C. W. Allers auf (Breslau, Wiskvtt, Preis
20 M.). Sie bilden einen Zyklus von 30 alle Arten von
Straßenfiguren umfassenden Bleistiftzeichnungen, wie sein im
letzten Bericht besprochener und wohl etwas später entstandener
„Klub Eintracht". Wenn sich der Verfasser dort unter seinen
Landsleuten befand, also auch weit mehr zuhause fühlte, so
überrascht er uns nichts destoweniger auch hier durch die un-
vergleichliche Frische seines Talents und die Schärfe der Be-
obachtung, die er nebst dem gesundesten Humor auch da meistens
offenbart. Das Kecke, Vordringende, Schlagfertige des Berliners
und nicht weniger der Berlinerinnen hat er meist trefflich ge-
troffen, nicht nur wenn er »ns Herrn Stinde und die Buchholtzen

oder, noch viel besser gelungen, deren Kusinen „in der Markt-
halle" ja wohl gar in der Friedrichstraße Patrouillirend vor-
fiihrt. Er macht eben seine Studien durchaus auf der Straße
und nicht im Salon, dessen aristokratisches Parfüm ihm ganz
fehlt — hier wenigstens, wo er fast nur Menschen gibt, welche
die Not des Lebens und die Arbeit kennen. Dafür ist er aber
auch der Darstellung naiver Anmut und Natürlichkeit in einem
Grade fähig, der für uns wenigstens allen aristokratischen Haut-
gout an echtem Kunstwert weit überwicgt. So bei seinem
„Jung-Berlin auf dem Sandspielplatze" u. a. m. Wie vor-
trefflich er aber die Alten zu schildern vermag, sehen wir am
besten, wenn sich dieser ungezogene Liebling der Grazien
einmal gar in den Reichstagssaal verläuft und uns dort Windt-
horst, Frankenstein und Porsch mit ein paar Strichen so un-
übertrefflich schildert, als wir den elfteren wenigstens noch nie
gesehen. Denn unsre Phantasie zur Ergänzung des Gebotenen
anzuregen versteht er meisterlich. Und so wird denn dieses trotz
alledem das Genie seines Autors überall verratende Heft um so
sicherer seinen Weg machen, als es echt deutsche Kunst ist, die
uns Allers bietet, der Nachahmung offenbar gar nicht kennt.
In demselben Verlage von Wiskott, Breslau, erschien
dann noch neuerdings „Des Kindes Wunderhorn", alte
Kinderreime mit neuen Bildern von Flinzer, (eleg. karton.
4 M.) dem es weder an Humor noch Gestaltungskraft fehlt,
wie er denn besonders die Tiere gut zeichnet, so datz sein artiges
Hest in jeder Kinderstube sicher Entzücken erregen wird.
Für die reifere Jugend bestimmt und mit größerem Auf-
wand hergestellt ist „Das goldene Märchenbuch" von
Diefsenbach zusammengestellt und mit 100 Bildern von Karl
Gehrts illustriert (Bremen, Heinsius, Preis 6 M.). Die alt-
bekannten Märchen vom Dornröschen re. erscheinen hier nun
noch sehr zweckmäßig vermehrt durch eine Anzahl ebenfalls alt-
bekannter Sagen und Schwänke. Gehrts einziges Talent, uns
in eine solche phantastische Welt zu versetzen, ja sie uns ganz
alltäglich und selbstverständlich erscheinen zu lassen, erprobt sich
auch hier wieder, wo er uns, immer behaglich schmunzelnd, unter
alte Drachen und junge Prinzessinnen, Hexen und Zauberer,
Könige und Zwerge mit einem guten Humor führt, daß er sich
uns sofort mitteilt. Allerdings malt sich der plebejische Zug
der Zeit auch darin, daß er, wenn man ihn mit seinen beiden
Vorgängern Ludwig Richter und Schwind vergleicht, entschieden
weniger vornehm erscheint, da seine alten Hexen zwar sehr echt,
die Prinzessinnen aber oft als verkleidete Wäscherinnen erscheinen
nnd er bei seinen Kochern jener naiv anmutigen Naturwahrheit
mehr und mehr entbehrt, die Richters Kompositionen so un-
widerstehlich liebenswürdig macht und die selbst seine Nachfolger
Vogel von Plauen und Paul Mohn noch von ihm als köstliches
Erde bekommen, während Gehrts doch beiden an Phantasiereichtum
und Formenkenntnis sehr überlegen ist. Aber eben diese un-
erschöpfliche Erfindungskraft scheint ihn zu verführen, es ge-
legentlich auch zu leicht zu nehmen und so der Gefahr der
Manier zu verfallen. Gerade das Märchen mit seiner phan-
tastischen Willkür braucht, um glaubwürdig zu werden, eines


Auf dem Armrnball
Aus Boz' ^ickwickiern, illustriert von G. Zuellbaas. S. IOY
 
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