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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Pietsch, Ludwig: Wilhelm Allers
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0204

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von Ludwig pietsch

IS?
brüder und -Schwestern mit dem wehenden Vereinsbanner an der Spitze zuzusehen. Prächtige, derbe, nieder-
deutsche, von blühender Gesundheit und Kraft strotzende Dirnen tragen die vollen Suppenterrinen herbei. Die
Herren drängen sich durstig mit ihren Seideln um das frische Faß. Das Tafeln beginnt. Toaste werden gebracht
auf die Damen, auf den verehrten Vorsitzenden. Die vereinzelten Schwerenöter der Gesellschaft versuchen ihr
Heil bei den jungen Mädchen, denen sie Dinge erzählen und sagen, welche dieselben erschrecken, aber ihnen doch
nicht übel zu gefallen scheinen. Andre Bilder zeigen die Herren nach Tisch in lebhafter Diskussion über ihre
öffentlichen und ihre privaten Angelegenheiten; die braven Hausfrauen, Familienmütter und alten Tanten, in
ihrer ganzen sommerfestlichen Toilettenpracht mit antediluvianischen Hauben und Hüten auf den glatten Frisuren
beim Kaffee, von ihrer Wirtschaft, ihren Mägden, Freundinnen und Nachbarinnen die wichtigsten und merk-
würdigsten Dinge einander mitteilend; die hübschen jungen Fräulein und Backfische sich hinwegstehlend, um
draußen im Walde unter sich zu sein; die kleinen Mädchen und Buben im Felde umherstreifend, die Zäune
überkletternd, mit frohen Staunen die Kühe und Kälber auf der Weide betrachtend und streichelnd; kleine
Konzerte aufführend, dem Kegelschieben der Männer zusehend. Das Männerquartett singt seine Lieder unter
den Bäumen. Ter Sückelmeister des Klubs zahlt dem Wirt den Betrag der Rechnung aus. Das Schlußbild
zeigt den Vorsitzenden mit seiner freundlich blickenden rundlichen Hausfrau, seinen hübschen Töchtern und seinem
großen Sohn, der des Zeichners eigne Züge trügt, am Abend wieder behaglich in der eignen Wohnung um den
Tisch beisammen sitzend, — „Zu Hause ists doch am besten."
Das wirkliche Leben, die wirklichen Menschen unsrer Zeit können nicht realistischer, treuer, unge-
schminkter, aufrichtiger dargestellt werden, als es auf diesen köstlichen Blättern geschehen ist. Und doch — wie
erquicklich, wie wohlthuend wirken diese Bilder! Das macht, ihr Zeichner sieht die Welt wohl mit unbe-
stochenen, aber mit freudigen, gesunden Angen an. Es dünkt ihm durchaus kein Jammerthal. Mit der herrlichen
Gottesgabe des Humors ist er reichlich gesegnet; jenes gemütvollen, echt deutschen Humors, der keine Zerrbilder
schafft, nicht spottet und geißelt, sondern sich in der freundlichen Schilderung der komischen Eigenheiten der
Menschen befriedigt; der — wie warmer Sonnenschein auch die häßlichsten Gebilde, die trübsten Farben in
der Natur verklärt, — sein heiteres Licht auch über das Kleine, Geringe, Armselige ausgießt und das Nüchterne
und Alltägliche selbst mit einem Schimmer fröhlicher Poesie schmückt. Im letzten Dezember hat der Künstler
noch zwei neue Sammlungen von durch Lichtdruck vervielfältigten Zeichnungen herausgegeben: „Spreeathener"
und „Eine Hochzeitsreise nach der Schweiz". Beide sind reich an gut beobachteten, ergötzlichen Lebensbildern,
an Einzelgestalten und Gruppen,' welche durch ihre Wahrheit, durch ihre treffende Charakteristik überraschen;
das erstgenannte Werk reich an Bildnissen von bekannten Persönlichkeiten aus der Berliner Gesellschaft. Das
letztere hält nicht ganz, was sein Titel zu versprechen scheint; aber es gibt noch sehr viel mehr. Von den
Erlebnissen des, übrigens ziemlich uninteressanten jungen Paares sehen und erfahren wir verhältnismäßig
wenig; dafür von dem sommerlichen Leben und Treiben des Volkes und der Fremden in allen Kantonen und
Orten der Schweiz aber alles das, was Allers auf seinen eigenen Wanderungen in sein Skizzenbuch gezeichnet
hat. Aber den Bildern von der Landpartie des Klubs Eintracht und denen aus dem Zirkus Renz kommen
die dieser beiden neuesten Sammlungen im ganzen nicht völlig gleich an fesselndem Reiz, an humoristischer
Kraft und Solidität der Zeichnung.
Oh Allers je dazu gelangen wird, einen Teil jener Fülle von Anschauungen, die er in sich trägt und
täglich durch neue Beobachtungen der Wirklichkeit bereichert, zu abgeschlossenen Kunstwerken, durch geführten
Gemälden zu gestalten, erscheint mir zweifelhaft. Diese Fülle ist eben zu groß. Er hat zu vieles zu erzählen
und der Bleistift scheint für ihn das ihm genehmste Werkzeug, um das alles gleichsam niederzuschreiben. Aber
wenn er auch nie ein Bild malte, — ich fände keinen Grund, das zu bedauern. Alan braucht nur Dürer
und Chodowiecky, Ludwig Richter und Moritz von Schwind zu nennen, um sich zu erinnern, daß es schlichte,
farblose Zeichnungen (auf Papier, Holz oder Kupfer), tausendfach vervielfältigt, waren, welche unserm Volk
jederzeit die reichste, wohlthuendste, erfrischendste künstlerische Nahrung und Erquickung für Geist und Gemüt
gespendet haben.

Nx horismrn

lver nicht für mich ist, der ist wider mich, gilt für hoch-
begabte Menschen. Oie gewöhnliche Vortrefflichkeit verträgt
Stufen der Anerkennung. Heuerbuch
In den großen Ausstellungen feiert die technische Vir-
tuosität kraft ihres Verblüffungsvermögens den glänzendsten
Triumph. Sie geben dauerndes Zeugnis von dem Geiste
unseres Jahrhunderts. Heuerbuch

Die Alten sollen uns nicht an die Stelle der Natur
treten; sie sollen uns aber zeigen, wie man die Natur an-
sehen soll. I. z. Mohr

Das angeborne Talent läßt sich durch keine Schule er-
sticken, ebensowenig als es sich da wo es fehlt, ersetzen läßt.
Talent ist der gesunde Drang, herauszuschaffen was in uns
liegt. Heuerbuch
 
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