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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Proelß, Johannes: Modelle, [6.2]: Novellenkranz
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Modelle
Novellcnkranz. von Johannes proelß
VI. Lancia Magdalena
(Fortsetzung aus dem vorigen Hefte) ^ ^

dieser Galerie begann der stille Knabe mit den
^is träumerischen dunklen Augen zu dem eigenartigen
Talent hcranzureifen, als das ihn heute wohl jedermann an-
erkennt. Noch ehe es ihm durch die Munifizcnz des Grafen
möglich wurde, eine Akademie zu besuchen und hier das
Zeichnen und Malen, die Perspektive und das Compo-
nieren methodisch zu erlernen, trat in den Bildersälen des
Schlosses dem eindrucksfähigen lernbegierigen Knaben der
hehre Glanz und die berauschende Glut der Schönheit,
welche die großen Venezianer und Lombarden mit voll-
endeter Kunst in leuchtenden Farben geschildert, als
lockendes Vorbild entgegen für die ersten verstohlenen
Zeichnenversuche wie für die kindlichen Anläufe, mit
Wasserfarben ihre koloristische Kunst nachzustammeln.
Seine jungen Augen gewöhnten sich an die Lichtfülle,
welche die Aphroditen und Aspasien, die Madonnen und
Signoren dort oben ausströmten dermaßen, daß sie schier
blind wurden für geringere Reize. Und so wurde Munk
auf der Wiener Akademie dann ein Maler, dem das
Zeichnen nach farblosen Gipsköpfen ein Greuel, das
Malen im Aktsaal nach den unschönen Leibern von
kümmerlich gewachsenen Straßendirnen eine ekelerregende
Zwangsarbeit war, zumal er als Autodidakt in seiner
Einsamkeit so manches sich schon spielend zu eigen ge-
macht hatte, was hier von jüngeren Kunstschülcrn neben
ihm erst mühsam erlernt werden mußte. Der Trieb zum
Idealisieren der Wirklichkeit nach jenem Schönheitsideal,
das die Bilder im gräflichen Schloß daheim mit unaus-
löschlicher Wirkung in seiner Seele gebildet, war bereits
jetzt so mächtig in ihm, daß er sich von Seiten seiner
Lehrer dadurch manchen Vorwurf zuzog. Denn im Akt-
saal galt es eben nur, mit den richtigen Farben die Vor-
lage der Natur wiederzugebcn, was darüber, das war
von Übel. Die Professoren bewunderten seinen früh-
entwickelten, naiv sich äußernden Formen- und Farben-
sinn, die auffallende Leuchtkraft seines Kolorits, aber sie
verzweifelten an seiner Fähigkeit, das wirklich Vorhandene
genau wiederzugeben, ja nur genau zu sehen. Und als
die erste Preiskonkurrenz kam, machte sein Studienakt
zwar das meiste Aufsehen, trug ihn aber keinen Preis,
sondern nur eine beschränkte Belobigung ein. Das waren
schlimme Tage. Sein Ehrgeiz war tief verwundet, und
noch ärger quälte ihn sein Schamgefühl; denn was würde
der Graf zu dieser Niederlage sagen. Dieser aber lächelte
dem Heimgekehrten aufmunternd zu, indem er abwechselnd
das Zeugniß und den ihm dargebrachten Studienakt be-
trachtete. „Mein Lieber," sagte er, „wenn ich ein Kunst-
schüler wäre, würde ich wahrscheinlich in den gleichen
Fehler verfallen. Ihnen stecken Tizians Modelle im
Kopf und da will sich die Hand an den kläglichen Mo-
dellen der Akademie nicht genügen lassen. Aber nur noch
ein Jahr geduldig und fleißig ausgeharrt und weiter ge-
strebt, dann schicke ich Sie nach der Heimat von Tizians
Modellen. Mir fehlen noch mehrere Lieblinge, die in
den Sammlungen von Florenz sich befinden: die Flora

und die Magdalena vor allen! Wenn Sie so forlfahrcn,
werden Sie schon in einem Jahr im stände sein, diese
wunderbaren Meisterwerke mit Glück zu kopieren." Das
war Musik und Balsam zugleich für das Herz des jungen
Künstlers.
Nach Italien! Nach der Heimat von Tizians Mo-
dellen! Dahin blieben von nun an alle seine Trostge-
danken und Hoffnungsträume gerichtet. Solche Schönheit
auch in Wirklichkeit zu schauen, nach ihr malen zu dürfen,
wie sie der große Venezianer aus der Welt, die ihn um-
gab, in die Ewigkeit hinübergerettet, bei dieser Vorstellung
erschauerte seine Seele in Wonne. Bald aber mischte
sich in diese Sehnsucht das Verlangen, in seiner eigenen
Umgebung nach eines Tizianschülers würdigen Modellen
zu suchen. Bevor er nach Italien im Auftrag seines
Wohlthäters aufbrach, wollte er ihm durch ein heimlich
und selbständig gemaltes Bild eigener Komposition über-
raschen.
Aber wo waren die Zeiten, da eine stolze Herzogin,
die schöne Eleonore von Urbino eine Ehre darein setzte,
frei und unbefangen im vollen Reiz ihrer Schönheit sich
von Tizian als Venus malen zu lassen, da kunstbegei-
sterte edle Frauen ihr goldnes Gclock auf Wunsch der
Maler losnestelten und es frei in schimmerndem Wellen-
spiel niederflutcn ließen über Nacken und Busen, erfüllt
von dem erhebenden Bewußtsein, daß es Pflicht und Ver-
dienst der Schönheit sei, in solcher Weise der Kunst zu
dienen. Wo war diese großherzige Unbefangenheit, diese
naive Kunstbegeisterung noch zu finden? Auch ihm war
es dank den Empfehlungen des Grafen vergönnt, seinen
Blick an glänzender vornehmer Frauenschönheit wirklicher
Art zu weihen. Manches aristokratische Haus erschloß
sich ihm: freilich nur bei festlichen Gelegenheiten, wenn
die Gäste zu Hunderten durch die Säle rauschten, wenn
das strahlende Licht der Kronleuchter mit den Klängen
der Musik um die Wette die tanzenden Paare umschmei-
chelte. Wohl fehlte cs da nicht an Glanz und Pracht,
nicht an dem verwirrenden Zauber der durch schimmern-
den Schmuck noch gehobenen Reize, welche die Balltoilette
den Blicken preisgibt. Aber all dies Schöne war am
andern Tage wie ein Traum verrauscht; und dieselben
Damen, die den Phantasien des jungen Künstlers mit
aufmunterndem Lächeln zugehört hatten, waren — wenn
er ihnen dann am Tag wieder entgegentrat — bis unter
das Kinn zugeknöpft — in jedem Sinne. Und jene
andern, die mit den Künsten verfeinerter Koketterie seiner
jugendlichen Frische auch dann Avancen machten, hatten
kein Herz für die Kunst und ihre hehren Zwecke . . .
Doch er war ja auch noch kein Meister. Er mußte sich
bescheiden. Er mußte fürlieb nehmen mit dem, was auf
den dürftigen Wiesenrainen des Lebens der Zufall ihm
erblühen lassen könnte. Doch wuchsen nicht gerade be-
sonders schöne Blumen auf Schutt und Moder? Warum
sollte er nicht das Glück haben, in der Sphäre der Ar-
mut und Not auf höchste Schönheit zu stoßen?
 
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