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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Pecht, Friedrich: Rembrandt als Erzieher
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0257

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Rembrandt als Erzieher

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vorzugsweise individuelle Volk sind, so kann ans künstlerischem Gebiet ihnen auch nur der individuellste ihrer
Künstler als geistiger Wegsührer dienen; denn ein solcher wird sie am ehesten ans sich selbst znrückweisen.
Unter allen deutschen Künstlern aber ist der individuellste: Rembrandt. Der Deutsche will seinem eigenen
Kopfe folgen, und niemand thut es mehr, als Rembrandt; in diesem Sinne muß er geradezu der deutscheste
aller deutschen Maler und sogar der deutscheste aller deutschen Künstler genannt werden". .. „Bekanntlich lernen
die Völker nicht aus der Geschichte, weder aus der politischen noch aus der geistigen; aber wenn sie aus
der letzteren lernen wollten, wie sie aus ihr lernen könnten, so würde das jahrhundertelange Vergessen ja
Verachten Shakespeares, Dürers, Bachs, Rembrandts sie lehren, in dem Vertrauen auf ihr eigenes Kunst-
urteil etwas vorsichtig zu sein; wie die Beurteilung Machiavellis, Spinozas, Cromwells, Bismarcks sie auf
andrem Gebiet das Gleiche lehren könnte. Rembrandt ist das Prototyp des deutschen Künstlers; er
und nur er entspricht deshalb vollkommen, als Vorbild, den Wünschen und Bedürfnissen, welche dem
deutschen Volke von heute auf geistigem Gebiet vorschweben — sei es auch teilweise unbewußt"... „Seine
Persönlichkeit, in ihrer völligen Ungezwungenheit und Überindividualität, erscheint als ein wirksames
Gegengift gegen das deutsche Schulmeistertum, welches schon so viel Unheil anrichtete; dieser Mann
paßt in keine Schablone; er spottet aller Versuche, ihn auf irgend ein gelehrtes Prokrustesbett zu legen"...
„Doch ist hierbei, wie schon hervorgehoben, immer im Auge zu behalten, daß es sich nicht um spezielle
Nachahmung seiner Kunstübung, sondern um prinzipielle Nachahmung seiner Kunstgesinnung handelt. Nichts
wäre falscher, als jetzt zu rembrandtisieren, wie man früher antikisiert hat; nichts ist notwendiger, als
die rechte Nachahmung von der falschen Nachahmung zu scheiden. Kunstgesetze gibt es, Kunstrezepte
nicht. Eine Kopie ist niemals Stil; einen Künstler oder eine Kunstrichtung kann man so wenig nach-
machen, wie man einen Apfel oder eine Birne chemisch erzeugen kann; beide Kategorien von Dingen
wachsen nur von innen heraus". . . „Rembrandt war nicht nur als Mensch, sondern auch in seinen
speziellen künstlerischen Leistungen ein rechter Holländer. Starke Persönlichkeit erwächst nur aus starkem
Stammesgeist und dieser nur aus starkem Volksgeist; die Betriebsamkeit, Freiheitsliebe, Gemütstiefe, Schlicht-
heit des holländischen Charakters spiegelt sich in Rembrandts Werken mehr als irgendwo; das sind Eigen-
schaften, welche die heutige deutsche Kunst recht wohl gebrauchen kann".. . „Der rechte Künstler kann nicht
lokal genug sein. Eine gesunde und wirklich gedeihliche Entwickelung des deutschen Kunstlebens ist mithin nur
dann zu erwarten, wenn sie sich in möglichst viele und in ihrer Einzelart möglichst scharf ausgeprägte, geo-
graphische, landschaftliche, lokale Kunstschulen scheidet und gliedert. Hier ist Dezentralisation, nicht Zentrali-
sation notwendig. Rembrandt selbst war das Haupt und Zentrum einer derartigen, lokalen Kunstschule; er
ist dem Boden treu geblieben, dem er entstammt; er malte holländisch"... „Eine rechte Kunst kann nur
aus dem mannigfach nüancierten und doch in sich einheitlich verbundenen Volkscharakter erstehen. Die
Mängel gewisser moderner Kunstentwickelungen beweisen dies"... „Die Kunst bedarf des Lokalismus und
des Provinzialismus; hier ist der Kantönligeist am Platze; in den heimatlosen Millionenstädten werden Kunst
und Künstler schnell verzehrt, aber selten erzeugt"...
Vortrefflich ist danu auch, was der Verfasser von den Museen und ihrer Benutzung sagt:
„Die historisch unzweifelhafte Thatsache, daß das Aufkommen der Museen und der Niedergang
einer freien selbständigen volkstümlichen Kunst während der letzten Jahrhunderte durchaus mit einander
Hand in Hand gingen, muß jedenfalls zum Nachdenken auffordern. Nicht oft genug kann es wiederhol:
werden: an die Knnstgesinnung der alten Zeiten soll man sich halten, nicht an ihre Kunstleistungen;
man soll die letzteren niemals im einzelnen nachahmen. Die moderne Zeit hat moderne Bedürfnisse und
braucht eine moderne Kunst. Eine moderne Kunst aber kann nur gedeihen, wenn sie zugleich in sich das
Gegengewicht des Bleibenden, Festen, Notwendigen, Angeborenen, Ewigen trägt. Dies ist nicht in etwaigen
früheren künstlerischen Erzeugnissen des Volkscharakters — welche auch ihre Zeit hatten, in der sie einmal
modern waren — sondern nur in der lebendigen Quelle des heutigen deutschen Volkscharakters zu finden.
„Der Lebende hat Recht." Man hat nicht zurückzublicken, sondern um sich zu blicken; man hat von
innen nach außen, nicht von außen nach innen vorzugehen; um neue Kunstformen, die bildsame Schale
des Volksgeistes, anzusetzen, hat man nicht auf frühere abgestorbene Schalen zurückzugehen, sondern sich
wiederum an den Kern selbst zu wenden. Und das kann nur geschehen durch ein Eingehen auf den
besonderen lokalen Charakter der einzelnen Gegenden Deutschlands; dadurch allein kann man wieder zur
Verschiedenheit, Mannigfaltigkeit, Naivität der künstlerischen Produktion gelangen. Den Volkscharakter
muß man in seiner lebendigen Fauna, nicht in seinen Versteinerungen studieren. Die irrende Seele der
Deutschen, welche sich künstlerisch jetzt in allen Erd- und Himmelsgegenden umhertreibt, muß sich wieder
an den heimatlichen Boden binden; der holsteinische Maler soll holsteinisch, der thüringische thüringisch,
der bayrische bayrisch malen: durch und durch, innerlich und äußerlich, gegenständlich wie geistig". . . „Fürst
Bismarck hat gesagt, daß in der französischen Kommune von 1871 ein gesunder Kern verborgen gewesen
sei: das Bedürfnis nach der preußischen Städteordnung; ebenso könnte man sagen, daß in dem auch
 
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