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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Flotow, Max von: Kunst und Handwerk: ein Beitrag zur Kunst- und Kulturgeschichte der Gegenwart
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Proelß, Johannes: Modelle, [7,2]: Novellenkranz ; der Zitherspieler von Zell
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0279

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2;2 Kunst und Handwerk, von Utax v. Flotow — Modelle, von Johannes proelß
seit einigen Jahrzehnten erfolgte Wiederaufblühen der mittelalterlichen Renaissance auf dem Boden des
modernen deutschen Kunstgewerbes mit der Thalsache in Verbindung bringen, daß die geistigen Strömungen
der Gegenwart sich am meisten mit jenen des Renaissancezeitalters decken/ welches nicht nur einen neuen Auf-
schwung der Künste, sondern auch eine Blüte des wissenschaftlichen Lebens bezeichnet. Die Gesetze der Schön-
heit werden freilich für alle Zeiten dieselben bleiben; aber das Kunstgewerbe, welches sich in den Dienst eines
an die schönen Traditionen der antiken Welt anknüpfenden Zeitalters stellte, das Kunstgewerbe, welches unter
der Sonne einer humanistischen Bildung zur Reife gelaugt, strebt andren Formen und Farben entgegen, wie
jenes Kunsthandwerk, das den Forderungen eines genußsüchtigen Adels, der Prunksucht im Verfall begriffener
höfischer Kreise entgegenkam. Und so mußte ehedem dem Kunsthaudwerke der Renaissance das einen Verfall des Ge-
schmackes anbahnende Kunsthandwerk des Rokoko folgen, gerade wie das von dem Geiste einer freien wissenschaftlichen
Forschung erfüllte Zeitalter der Renaissance von den gewitterschwülen Jahrzehnten eines durch sich selbst gerichteten
höfischen Despotismus abgelöst ward. Da aber diese, die Entwickelung des Rokoko begünstigenden und herausfordern-
den Verhältnisse heute fehlen, so glauben wir die neuerlichen Rokoko-Anwandlungen des deutschen Kunstgewerbes wohl
nur als eine vorübergehende Erscheinung ansehen zu dürfen. Das Kunsthandwerk der Gegenwart hat vor dem der
Vergangenheit so vielerlei voraus, daß es an der schöpferischen Kraft des deutschen Geistes verzweifeln hieße, wollten
wir in den vereinzelt anftretenden Rokoko-Formen die Anzeichen eines beginnenden Verfalles erblicken. Knust
und Wissenschaft haben dem Handwerke von heute in einer früher kaum geahnten Weise vorgearbeitet und
stehen mit ihren idealen Errungenschaften dem realen Schaffen mit fördernder Hand zur Seite. Eine hoch-
entwickete maschinelle Technik lieferte dem Kunsthandwerke den erforderlichen Rohstoff nicht nur in einer den
Forderungen des symmetrisch Schönen weit entgegenkommenden Form, sondern eine zuverlässige historische
Forschung hat auch dem Blicke des Schaffenden die kunstgewerblichen Formen aller Zeiten, aller Völker und
Kulturperioden in einer Weise offen gelegt, daß er nur zu greifen braucht, um die Schönheitsformen der
Vergangenheit zu Schönheitsformen der Gegenwart zu gestalten. Sie geben ihm künstlerische Anregung in
Hülle und Fülle, sie üben befruchtend ihren Einfluß auf eine selbstschöpferische Phantasie, um das Kunsthand-
werk der Gegenwart nicht als eine mechanische Nachahmung einer vergangenen Produktion erscheinen zu lassen,
sondern als die Frucht eines aus dem Boden der Vergangenheit erblühten, von der lebendigen Sonne der
Gegenwart gereiften Schaffens. Hervorgegangen aus dem Geiste unsrer Zeit sehen wir die Formen eines
hinter uns gelegenen kunstgewerblichen Schaffens zu neuer Schöne erstanden, sehen wir Kunst und Handwerk
sich fester aneinander schließen, als je, und in gemeinsamem Streben den idealen Forderungen der Schönheit
wie den realen Forderungen der Nützlichkeit gerecht werden. Ter dem deutschen Volke angeborne Idealismus
hat auch das Handwerkertum den Heilsweg zu den Sonnenhöhen der Kunst finden lassen und in den Vertretern
des deutschen Kunsthandwerkes, den Männern mit harter Hand und schwieliger Faust, ein Bildungselement
geschaffen, dessen wir mit demselben Gefühle stolzer Genugthuung gedenken können, wie der Meister des
Meißels und der Palette: was diese nur einem beschränkten Kreise weniger Berufenen und Bevorzugten lehren
und zugänglich machen, das tragen jene in rührigem Schaffen hinein in die weiten Kreise eines ganzen Volkes.

Modelle
Novellcnkranz. von Johannes Proelß
VII. Der Zitherspieler von Zell
(Fortsetzung aus dem vorigen Hefte)

o begann das reizende Künstlersest gar verheißungs-
voll und sein Verlauf blieb wahrlich nicht hinter
den Erwartungen zurück. Für unsre Damen freilich bis
auf eine Hauptsache. Von dem Toni Eder hatten sich die-
selben eine ganz falsche Vorstellung gemacht und insofern
sie sich gerade von seiner Anwesenheit ganz besondere
Unterhaltung versprochen hatten, brachte ihnen der Abend
eine große Enttäuschung. Statt einem unternehmenden,
kecken, zugleich treuherzig offenem Burschen, wie sie De-
fregger auf seinen Bildern so anziehend dargestellt, die
frische Männlichkeit durch die schmucke Tracht der Hoch-
gebirgsbauern gehoben, fanden sie einen schweigsamen,
verlegen aufschauenden Mann in schlecht sitzendem schwarzem
Rock, dessen blaue Falkenaugen einen verschüchterten Aus-
druck hatten, wie die Augen eines Alpenadlers, dem man
die Fänge gestutzt, in der Gefangenschaft. Man hatte

ihnen gesagt, der Eder sei das Vorbild von dieser und
jener sympathischen Figur auf bekannten Gemälden des
Meisters; er aber befand sich gleichsam in der „Mauser" —
in der Metamorphose aus einem Modell berühmter Bilder
zum Maler von eigenen Bildern, denen es noch an allem
Ruhm gebrach. Seine Befangenheit in der ihm fremden,
glänzenden Umgebung, die er doch mit dem Bewußtsein
betreten, daß es die Welt sei, in der er festen Boden
fassen müsse, fiel um so stärker noch auf, als die Grund-
linien seines von einem rötlichblonden, buschigen Vollbart
umrahmten Gesichts mit dem scharfen Profil eher einen
kühnen als scheuen Ausdruck hatten, und als Defregger
selbst infolge Verhinderung in München zurückgeblieben
war, und er nun ohne jeden Anhalt sich in dem vor-
nehm gehaltenen Hauswesen zurecht finden mußte.
Auch kam er durch eine besondere Mission, die ihm
 
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