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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Perfall, Anton von: Dachstuben-Nachbarn, [2]: Novelette
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0344

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Dachstuben-Nachbarn

26h
Verbarg jede Spur davon — mager war ich, sehr mager.
Einmal lief ich aus meinem Revier hinaus in die große
Straße, da sah ich Mädchen meines Alters mit Blumen
handeln. Das kannst du auch. Wo wachsen aber die
Blumen? Ich hatte noch nie eine gesehen, — ich schlich
einer nach, wie eine Diebin, des andern Morgens — sie
ging weit fort in einen Park mit herrlich grünen Wiesen,
schattigen Laubgängen, wo das Veilchen wuchs. Ich weiß
nur, daß ich nie so geweint — diese Fülle des Lichts,
diese Farben, dieser Duft, der weite Blick — ich warf
mich in das Gras, daß seine hohen Halme über mich
znsammenschlugeu, ich biß in die saftigen Stengel, sog
den erfrischenden Erdgeschmack ein, dann wälzte ich mich
um und blickte hinauf in die im Himmelsblau dahinziehenden
Wolken — mir war unendlich wohl, ich vergaß die Blumen.
Das Gäßchen betrat ich nie mehr wieder, ich vermochte
es nicht mehr. Das Geschäft ging leidlich, dabei war man
so freundlich mit mir, man streichelte meine, von der
frischen Luft geröteten Wangen, man sagte mir
Schmeicheleien, die ich ja nicht verstand. Der Reichtum
muß doch recht gut machen, dachte ich mir damals. Ein-
mal bat mich ein junger, hübscher Mann, ich soll zu ihm
kommen, er wolle mich malen. — Wie lang das dauere? —
Mindestens acht Tage, ich soll mehr damit verdienen als
mit dem Blumcnhandel. — Acht Tage ohne eine Blume,
die ich so lieb gewonnen — nein — ich kann nicht.-
Es wurde Winter, mit den Blumen war es aus —
wieder zurück in mein Gäßchen? Mich schauerte es bei
diesem Gedanken — und zu wem denn? Da fiel mir
der junge Mann ein, ich ging in dasselbe Lokal, ich fand
ihn wirklich, wieder bat er mich — ich sagte ihm zu. —
Er malte mich als Blumenmädchen, wie ich zu ihm ge-
kommen, im zerrissenen, dünnen Kleidchen, mit den großen
Schuhen an den Füßen. Der Verdienst war gut, das
Atelier warm, draußen Schnee und Eis. Er empfahl
mich einem Freunde, ich war ihm dankbar dafür. Dieser
empfing mich mit Blicken und Worten, die mich schreckten
— ich stand zitternd vor Kälte in seinem Atelier.
„Na wird's, ich habe keine Zeit zu warten", sagte er
in barschem Tone.
Ich verstand ihn nicht und sah ihn fragend an.
„Aber ich kann dich doch nicht in diesen Fetzen
malen", sagte er ärgerlich.
„Als Blumenmädchen, wie der Herr Kerner", er-
wiederte ich schüchtern.
„Blumenmädchen nennst du das?" Er schüttelte sich
Vor Lachen.
„Rasch, zieh' dich aus, ich habe Eile." — Ich
weinte Helle Thränen.
„Ja, bist du denn noch nie Modell gestanden?"
fragte er.
„Nur dem Herrn Kerner."
„Als Blumenmädchen!" Er lachte wieder. — Ich
nickte unter Thränen.
„Ich male aber kein Blumenmädchen, da sieh her!"
Er drehte die Staffelei mir zu. — „Du kannst dich ge-
schmeichelt fühlen, es ist kein schlechter Anfang, — in
die Gesellschaft sollst du kommen." Ich blickte hin —
nackte Mädchenleiber leuchteten mir entgegen, ein Blut-
strom stieg mir ins Gesicht, es war mir, als stünde ich
selbst so nackt vor dem fremden Manne — dann floh
ich wie vor etwas Entsetzlichem zur Thür hinaus, sein
gellend Lachen verfolgte mich die Stiege hinab.-

Der Winter war kalt, das verdiente Geld bald zu Ende,
ich war obdachlos, nach einigen Tagen ging ich wieder
die Treppe hinauf zu dem Maler, es waren nur drei,
für mich war es ein riesiger Berg, so wankten mir die
Kniee. — »Hast du dich anders besonnen, Kleine?" em-
pfing er mich. „Ich habe zwar schon eine andre be-
stellt, aber du bist mir lieber." Dabei glitt sein Blick
meine Gestalt herab, daß es mich schauerte. Ich ging
halbbewußtlos in das Nebenzimmer und entkleidete mich
— es war rasch geschehen — dann gab er mir die
Pose — seine Hand berührte wie brennendes Eisen meinen
nackten Leib — —. Dann begann er die Arbeit und
sonderbar, sein Blick, der jetzt jede Linie meines Körpers
in sich aufzusaugen schien, verletzte mich nicht mehr —
that nicht mehr weh-. Es ward so feierlich still
— ganz still — ich empfand etwas, was ich nie zu-
vor in mir empfunden — ich hätte ewig so stehen
können bewegungslos — ich war Modell nicht nur mit
dem Leib, auch mit der Seele von diesem Augenblick. —
Was mich innerlich so bewegte schien gleichsam seinen
Ausdruck auch in meinen Formen gefunden zu haben.
Der Maler hatte einen stürmischen Erfolg mit dem Bild
— ich war berühmt — gesucht — hoch bezahlt — aber
das Gefühl, das mich bei der ersten Sitzung so mächtig
beherrschte, blieb mir treu und rettete mich vor dem
Schmutz, in den ich meine Kolleginnen versinken sah, auf
die ich mit Verachtung hinabsah. Ich fühlte selbst so
etwas von einer Künstlerin und wehe dem Maler, der sich
gegen mich ein geringschätziges Wort erlaubte — sie
nannten mich die „stolze Diti"! Sie warf die ausge-
brannte Zigarette weit von sich und blickte auf den Maler,
dessen dunkles Gesicht in der anbrcchenden Finsternis
verschwamm.
„Und ich werde Ihnen das Geschick der stolzen Diti
auscrzählen," fuhr er plötzlich auf.
„Eines Tages kam ein struppiger, vierschrötiger
Maler zu ihr, die gewohnt war nur mit reichen, vor-
nehmen Herren zu verkehren und fragte, was sie für die
Sitzung verlange. Der Preis war hoch. Er bestellte
sie für einmal. Sie kam in das Atelier -— was Atelier?
In die Kammer. Er malte in fieberhafter Hast mit
brennendem Auge, er schwelgte in den edlen, lang ent-
behrten Formen, die ihm eine Offenbarung schienen, er
fühlte, daß sie ihn zum höchsten begeisterten. Es war
Winter, die Nacht kam ihm zu rasch und er war nicht
einmal mit dem Grundieren fertig — er weinte innere
Thränen, eine Wut ergriff ihn bei dem Gedanken, daß
das elende Geld ihm dieses kurz gemessene Glück rauben
soll — da fragte sie ihn — wann sie morgen kommen
solle — es klang wie Hohn — er schleuderte den Pinsel
weg und erhob die Faust gegen die Leinwand, um sie
zu zerschmettern. — „Ich bin ja arm, ich kann dich nicht
bezahlen", brüllteer— „so brauch' ich auch das nicht!"
Sie hielt seinen Arm fest. — „Ich komme so oft Sie
wollen," flüsterte sie „auch wenn sie arm sind" — da
ich weiß nicht, wie cs kam, er hat es noch nie gethan,
fiel er vor ihr auf die Kniee und küßte die kleinen Hände
und weinte sogar — und sie hielt Wort, sie kam und
kam wieder zu dem armen Maler — und ging zu
niemandem mehr, als zu ihrem armen Maler und hungerte
mit ihrem armen Maler —" Eine mächtige Bewegung
packte den starken Mann, er würgte mühsam an seinen
Worten, seine Brust ging hoch — „und dieser arme
 
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