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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Brandes, Otto: Der Salon Meissonier, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0382

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Der Salon Meissonier

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Mutter mit dem jüngsten auf dem Arm getragenen Kinde
und der schon älteren Tochter, die neben ihr her trabt,
zur Heimstatt der Armut in Paris, auf die Höhen des
Montmartre, mit den mageren Vorräten für das Abend-
brot) von der Arbeit und aus der Stadt zurückkchrt, ist
mit viel klarerer Palette gemalt und bringt eine min-
destens ebenso große Wirkung wie das Uhdesche einen
ähnlichen Gegenstand behandelnde Bild hervor.
Liebermann stellt zwei Bilder aus: Die Hof-
frout eines Hospitals in Leyden, vor welchem die In-
sassinnen sitzen und ein andres „In den Dünen". Das
erste Bild ist nach bewährtem Rezept gemacht: Eine
perspektivische Gebäudeflucht, so daß der Maler nur nötig
hat, sich mit den eisten im Vordergründe sitzenden Per-
sonen zu beschäftigen, die andern dahinter werden nur
angcdcutet und im Anbeuten ist Licbermann groß. An
Deutlichkeit gewinnen darum seine Bilder aber nicht.
So weiß man nicht recht, ob in dem dem Frauen-Altcr-
Vcrsorgungsheim — famoses Wort — gegenüberliegenden
Garten nicht Damen spazieren gehen oder ob die An-
deutungen etwa dort aufgestellte Glaskugeln sind. Den
Pinsel verachtet Licbermann. Er arbeitet nur noch mit
Pinsclstock, Spatel, Daumen und mit der — Mauerkelle,
denn daß er den Himmel auf seinem Düncnbilde, der
fast einen Ccntimeter weit über das Niveau derselben
herausragt, anders aufgetragen, kann ich mir nicht gut
denken. Die Frau, welche eine Ziege am Seile fortzicht,
während eine andre weidet, ist in der Farbe ganz
israelitisch gehalten. Es soll gar nicht in Abrede ge-
stellt werden, daß die Öde der Düne stimmungsvoll
wiedergegebcn und die Aktion des Ziehens der Frau am
Tier wohl beobachtet ist, aber das ist denn doch zu
wenig, und ich, sage mit dem sonst so wohlwollenden
Albert Wolfs im Figaro: »Le ir'est plus ya cku tout,
cber monsieur!« Eine sehr pastose Malerei fällt mir auch
in Kuehls „Inneres der St. Johanneskirche in München"
auf, und doch hat er die schweren Vergoldungen um den
Hochaltar nicht ganz herausbekommen, da aber, wo es
ihm gelungen, hat er sie durch seine Goldrahmen um
das Bild wieder totgeschlagen. Sein von einer Nonne
im weißen Gewände im lichtdurchfluteten Raume auf der
Orgel gespieltes ->^ve Llaria« gefällt mir weit eher, wenn
Paris auch schon bessere Bilder von ihm gesehen hat.
Großes Aufsehen erregt Hoeckers Nonne. Im
Vordergründe eines langen durch eine Fontaine abge-
schlossenen Baumgangcs, durch welchen die Sonne ihre
Lichter blitzt, sitzt auf mooszerfressener Bank lebensgroß
eine Nonne in der bekannten schwarzen Tracht und betet
ihren Rosenkranz. Von dem das Laub nur halb durch-
dringenden Sonnenlichte erzeugte seltsame grüne Reflexe
umspielen das Gesicht und das weiße Brusttuch der in-
brünstig Betenden. Es ist ein Bild voll heiligen Friedens,
tiefer Ruhe und Innigkeit, das in der Behandlung der
grünen Reflexe vielleicht etwas lebhaft an Dagnan-Bou-
vcrets Jungfrau mit dem Kinde im Weingange erinnert.
Vortrefflich ist der zerfressene Granit der Bank studiert,
und mit großem Geschick das flutende Licht behandelt,
eine Arbeit, auf die wir Deutsche stolz sein können.
Courtens, dem allerdings die Waldstimmung die Haupt-
sache, behandelt ein ähnliches Sujet. Stimmungsvoll,
wenn auch vielleicht ein bischen theatralisch, ist das
lebensgroße Bild Jean Jaques Rousseans: „Die Witwe",
die Frau, welche zum erstenmalc das Künstlcratclier

ihres Mannes nach seinem Tode besucht. Die Trauernde
bedeckt mit Hand und Taschentuch das Gesicht, der
konvulsivisch zuckende Körper läßt dennoch den brennen-
den Schmerz erkennen. Nousseaus großes, die Stufen
hcrniedcrsteigcndcs Mädchen, welches mit einer Gans vom
Markte kommt, ist lustig und farbenfroh. Sehr viele
Bilder, halb Landschaft, halb landschaftliches Genre, gehen
über eine gute Mitte nicht hinaus. Perret, der sich mit
den ländlichen Festen in der Normandie beschäftigt, malt
eine Preisverteilung nach der Schulprüfung. Da bekommen
wir denn wieder alle die alten bekannten Modelle zu
sehen, die er uns nun schon seit Jahren auf seinen
Bauernhochzeiten und Zweckessen verzapft. Die Abwechselung
ergötzt, verehrter Herr, und vor allen Dingen breiter und
flotter malen, das ergötzt noch mehr! Das Genre in der
vornehmen Welt wird von Aublet gepflegt. Sein „Frohn-
leichnamsfest" schildert lebensgroß Damen und Kinder im
Park Rosen zum Feste brechend. Das ist alles hell und
lustig und frisch, ein wenig zu cbicius, doch nicht unan-
genehm. Seine im weißen Bademantel in die See
gehenden Damen sind es in ihrer Geziertheit schon eher.
Ein Helles lustiges und vornehmes Sonnenbild ist auch
Duez' „Late sur Is. Terrasse".
Die Malerei, welche ich die ethnologische Malerei
nennen möchte, ist für Japan besonders durch Du-
mvulin vertreten, der einen wahren Schatz an Skizzen
und ausgeführten Bildern mit hcimgebracht hat. Bre-
tegnier beschäftigt sich in sehr anerkennenswerter Weise
mit Marokko und Sczymanowski malt uns ein ziemlich
großes Bild aus dem Landleben seiner Heimat. Russische
Burschen schäkern mit russischen Mädchen. Ich schließe,
obwohl ich mir bewußt bin, daß hier mancherlei Vortreff-
liches noch zu nennen wäre, die Reihe des Genres aus
Platzmangel mit Bärands „Monte Carlo", welches
einen geradezu sensationellen Erfolg hat. Das Bild ist
nicht groß, aber figurenrcich und jeder Typus der um
den tränte et courante Tisch sitzenden Spieler ist mit
Liebe und Sachkenntnis beobachtet. Keiner fehlt, weder
der joviale alte Herr, der es einmal mit dem Spiele
versucht, noch der verzweifelte junge Mann mit den
bereits leeren Taschen, die alte routinierte Spielerin, die
die „gemachten" Schätze in ihre Pompadour hineinzählt,
und die Welt-Dame, die sie lächelnd dabei beobachtet,
vornehme Kokette und Gauner streifen hier anständige
Menschen und jeder Typus ist mit außerordentlicher
Sicherheit festgehalten. Ein kleines Meisterstück ist die
Rückenstudie der im Vordergrund stehenden eleganten
weiblichen Figur im rehgrauen Anzuge und rundem Filz-
hut, welche sich über den Spieltisch zum Pointieren
hcrüberbeugt.
Mit Vorliebe versuchen sich die großen Künstler
von Zeit zu Zeit in dem Studium des Nackten. Es
muß dem Künstler einen eigentümlichen Genuß gewähren,
auf der Leinwand dem vor ihm posenden Körper in
Farbe und im frisch pulsenden Leben nahe zu komnien,
ganz abgesehen von dem Gefallen an der rhytmischen
Schönheit desselben. Die Vorwände zum Malen des
Nackten sind immer vorhanden. Aber die neuere
Malerei sucht nicht nach solchen, sie zeigt uns den nackten
Körper sans pbrase, wie in dem Roussinschen Bilde
„Tänzerinnen", aus welchem sich eine nackte Dame, die
dem Beschauer zwar den Rücken zukehrt, deren Vorder-
partie aber im Spiegel wiedergegebcn wird, sich mit
 
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