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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Pecht, Friedrich: Die zweite Münchener Jahres-Ausstellung, [1]
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Die zweite Münchener Iahres-Ausstellung

lich eine in dunkler Felsschlucht mit nackten Menschen angefüllte riesige Tafel des Herrn I. A. Sartorio
bedeuten soll, wird man wohl erst dem Katalog entnehmen können. Einstweilen sieht man als schauderhafte
Hauptfigur blos den alten Sünder Kain trauernd vor der Leiche eines anscheinend ermordeten Enkels sitzen,
die verzweifelnde Mutter vor ihm und rund herum die übrige Verwandtschaft. Schwarzbraun wie sie ist er-
innert die Tafel auch in ihrer Formengebung an Michel Angelos „Hölle", nur ersetzt sie dessen Stilgefühl
durch einen wilden Naturalismus, der indeß wenigstens nicht der Energie entbehrt, wenn auch mehr theatralisches
Pathos dabei entwickelt wird, als unserm deutschen Geschmack nach gerade nötig wäre. Auch Delugs großes
Bild vom Begräbnis des Alarich im Bette des Busento ist trotz talentvoller und eines großen Zuges nicht
entbehrender Komposition in der Ausführung doch zu wild und skizzenhaft geraten, als daß man sich bei aller
Anerkennung recht dafür erwärmen könnte.
Einen unzweifelhaften Beruf zur idealen Historienmalerei kann man, ein paar Ausnahmen abgerechnet,
freilich bei der Mehrzahl dieser Bilder nicht entdecken, ja es charakterisiert vielleicht die ganze Richtung, daß
verhältnismäßig so wenige aus wahrer innerer Notwendigkeit entstandene Werke vorhanden scheinen. Die
meisten sehen aus, als wenn sich der Maler vorher gefragt hätte, was könnte man jetzt wohl malen, was das
Publikum interessiert, und daß er ebensogut etwas ganz andres gemacht hätte, wenn er mehr Erfolg davon
gehofft. Unsre gesamte Kunst dieser Art nähert sich eben immer mehr der des Zopfes, wo man sich mit der
„dekorativen" Wirkung schon darum am liebsten begnügt, weil man weder ein neues Evangelium zu verkünden
noch neue Naturanschauungen mitzuteilen hat. Die Kunst ist jetzt jedenfalls mehr zum Handwerk geworden, als
seit achtzig Jahren, das Können ist ihr die Hauptsache, wie das schon die Notwendigkeit der Konkurrenz mit allen
Nationen des Erdballs auf den Ausstellungen herbeiführt. Ganz der neuen Malart angehörig erscheint Büchners
„Madonna mit dem Kinde" ganz von Kindern umgeben und so aufgelöst in Grau, daß die Stoffe alle
Körperlichkeit verlieren. Noch weniger glücklich war diesmal Volz, dessen schlafender hl. Cäcilie eine sie
umgebende Engelschar himmlische Melodien vorspielt. Leider fehlt dem hübschen Gedanken aber gar zu sehr
die liebenswürdige Naivität der Ausführung.
Eine wohlthätige Ausnahme in dieser Flut von ohne eigentliche innere Berechtigung gemalten Tafeln
macht des Stuttgarters Bernhard Fngel „Kreuzabnahme". In diesem Bilde tritt eine vollkommen ausge-
bildete Eigenart mit tiefer Empfindung vereint auf und bringt es darum auch ohne alle besondere Bravour doch
zu einer ebenso neuen, als ergreifenden Darstellung des Gegenstandes. Auch die Färbung ist wenigstens harmonisch,
wenn auch vielleicht noch nicht ernst genug. Flößte gleich das erste Auftreten des Künstlers vor fünf Jahren
erfreuliche Erwartungen von ihm ein, so hat er ihnen hier durchaus entsprochen und man bedauert nur, daß
er zur Ausführung ein so kleines Format gewählt und dem modernen Naturalismus doch schon zu viele Kon-
zessionen gemacht hat.— Als Kuriosität mag hier noch ein Bild angeführt werden, das in einem geradezu un-
beschreiblichen Kolorit, in dem Hellgelb und Vergißmeinnichtblau die Hauptrolle spielen, die drei Grazien oder
sonstige drei unverständliche Frauenzimmer darstellt. Obwohl es nun allem, was man bisher in der Malerei
für gut gehalten hat, Hohn spricht, so fand dennoch dies merkwürdige Erzeugnis, das noch weit über Klingers
Urteil des Paris im vorigen Jahr hinausgeht, einige so warme Verehrer, daß sie seine Aufstellung durchsetzten.
Demselben Künstler verdanken wir ja auch noch das so wunderbare Ausstellungsplakat, welches wenigstens das
Verdienst hat, durch die Magerkeit seiner Figuren sofort die Blicke auf sich zu ziehen. Leider sind beide Er-
zeugnisse nicht einmal Original, sondern nur schwächliche wenn auch keineswegs talentlose Nachahmungen des
Hern Puvis de Chavannes. Es ist beinahe unglaublich, wie viel gesundes Talent bei uns alljährlich durch
die Wut der Nachahmung gründlich ruiniert wird. Auch die jetzige Ausstellung bringt eine ganze Reihe ab-
schreckender Muster davon, und oft von Künstlern, die vorher schon Treffliches geleistet hatten, ehe sie ihre
Eigenart ohne alle Not aufgaben.
Indem wir nun nach dieser mit ein paar glänzenden Ausnahmen doch ziemlich dürftigen Aus-
beute bei der idealisierenden Kunst uns der realistischen Behandlung geschichtlicher Stoffe zuwenden, stoßen
wir zunächst auf einen Heinrich IV. in Canossa von Otto Friedrich in München, der als die Arbeit eines
offenbar jungen Künstlers mancherlei echte Naivitäten zeigt und darum trotz sichtlicher Schwächen doch gerade
durch diese jugendliche Geschichtsanschauung fesselt. Weit bedeutender ist indeß des Düsseldorfer Arthur
Kampf „Ausstellung Kaiser Wilhelms auf dem Paradebette", während die Berliner an ihm vorüberziehen.
Hier offenbart sich ein an Menzel gebildetes kerngesundes Talent. Es ist dem Maler vortrefflich gelungen,
die düstre Majestät der Szene darzustellen, wie die tiefe und aufrichtige Trauer der Bevölkerung. Alle Ein-
zelnen sind frisch aus dem Leben gegriffen und energisch wiedergegeben, ja das Ganze ist so überzeugend, daß
man meint, der Maler müßte dabei gewesen sein und schildere eine ganz persönliche Erinnerung. Nur der
Kaiser selbst läßt in seiner Verkürzung einiges zu wünschen übrig, obwohl auch bei ihm der Ausdruck stillen
Friedens sehr rührend gelungen ist. Die Düsseldorfer sind mit ihrer Isolierung von allen zerstreuenden Einflüssen
doch wirklich zu beneiden, hilft ihnen dieselbe doch erst recht, eigenartige Talente auszubilden, so daß ihre
Werke uns immer Freude hier machen durch deren ausgeprägte Selbständigkeit neben den übrigen zahllosen Nach-
 
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