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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 5.1889-1890

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Brandes, Otto: Der Salon im Industrie-Palast, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10738#0407

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Der Salon im Industrie-Palast, von Gtto Brandes

Zl4

Hand an eine Ballustrade gelehnt. In einer Ecke rechts
der sinnende interessante Kopf des Künstlers. Über den
Kolonnaden in rosigen Tönen schweben Ruhmesgöttinnen
in gelber und blauer Draperie. Das ganze ist von Licht
und Luft durchflutet, ein schöner Schmuck für die neue
Wiener Kunststätte.
Dekorativ gehalten ist ein von Martin in Hellem
Sonnenlichte gemaltes immenses Bild: „Der Empfang
des Präsidenten Carnot in Agen", ein anekdotischer Schinken,
welcher an Langerweile nichts zu wünschen übrig läßt.
Martin, der im Jahre 1883 die große, goldene Medaille
erhielt, hat sich hier entschieden in dem Maßstab ver-
griffen. Hmu Carnot im Wagen mit seinem Adjutanten,
dem von einem kleinen Mädchen ein Gedicht aufgesagt
wird, konnte man füglich auch auf einigen Metern Lein-
wand weniger darstellen. Wenn wenigstens wirkliches
Leben in dieser akklamierenden Bevölkerung wäre! Nicht
viel Gutes ist von dem dekorativen Bilde Henry Leopold
Levys, „Die Stadt Paris bietet der triumphierenden
Freiheit das Opfer ihrer im Kampf für sie gefallenen
Kinder dar", zu sagen. Das Bild, in einer schmutzigen
Note gemalt, wirkt mit den im Vordergründe liegenden
Kadavern, auf welche eine weibliche Figur iu aufgelöstem
Haar und roiviolcttem Gewände, die in den Wolken
schwebende Freiheit, der eine trikolore Fahne vorangetragen
wird, hinweist, keineswegs patriotisch erhebend. Eine
große technische Gewandtheit läßt sich freilich nicht ver-
kennen.
Viel macht Jules Lefebvrcs „Lady Godiva" von sich
reden. Die Anekdote ist in England bekannt und dort
wie in Belgien verschiedentlich von Malern dem Publikum
erzählt worden. Lefebvre wollte sie seinen Landsleuten nicht
vorenthalten. Über die Stadt Coventry herrschte zu einer
nicht zu bestimmenden Zeit als Herr und Gebieter van
Lerius. Obwohl die Leute von Coventry keine drei-
jährige Dienstzeit hatten, waren sie dennoch mit Steuern
überbürdet. Lady Godiva, die Gemahlin des Potentaten,
dauerte das Los ihrer Unterthanen, und sie bat
ihren Gatten um Erleichterung für dieselben. Derselbe
sagte — bei der Schamhaftigkeit und Züchtigkeit seiner
Frau auf eine entschiedene Ablehnung rechnend —
diese zu, wenn Lady Godiva nackt durch die Straßen
reiten würde. Van Lerius hatte sich geirrt, seine Ge-
mahlin nahm auch dieses Opfer auf sich, und Lefebvre
läßt nun die blonde Lady, den Blick keusch zu Boden
gesenkt, die Arme über die Brust gekreuzt, auf einem
Schimmel durch die düsteren Straßen der alten Stadt
reiten, in deren Häusern die Fensterläden, sei es auf Be-
fehl des Herrschers oder in dankbar respektvoller Zurück-
haltung der Bevölkerung, geschlossen sind. Der Körper
dieser nackten reitenden Steuerpetition ist nicht übel
modelliert, die Geberde der Schamhaftigkeit aber eine zu
konventionelle, das beste in dem Bilde ist noch die ältere
Führerin des Schimmels, zu welch letzterem das Pferd
eines hiesigen Wagenbauers Modell gestanden. Wenn der
Gegenstand des Bildes überhaupt als Wandbild zulässig,
so hätte cs mindestens iu kleineren Dimensionen gemalt
werden sollen; mir will aber scheinen, daß der Stofs
sich höchstens für die Illustration eignet. Durch seine
Größe fordert ferner Chccas, eines Spaniers, »Lircus
maxiinus« zur Kritik heraus, und wir wollen gleich
hinzufügcn, daß cs ein besonderes Vergnügen ist, von
diesem Bilde zu sprechen, in welchem alles hastendes

Leben atmet. Ein Wagen ist beim Umbiegen an der mit
Statuen geschmückten Sphinx gestürzt, Fahrer, Pferde
Biga liegen in wildem Durcheinander auf dem Boden.
Vergebens greift der Kutscher eines nachrascnden Wagens
den Pferden in die Zügel, um nicht über seinen Konkurrenten
hinwegzubrausen oder selber darüber zu stürzen, während
ein dritter Bigaführer unbekümmert sein Rappenvier-
gespann zu noch schnellerem Laufe, zu dem nunmehr
sicheren Siege antreibt, denn die hinten nachstürmenden
Wagen sind keine Konkurrenten mehr. Das ganze ist in
eine Athmosphäre von Staub, Sonnenlicht, Schweiß ge-
hüllt. Man vibriert mit der Aufregung der auf den
Stufen der Arena sitzenden Römer und Römerinnen, man
fühlt unwillkürlich in sich den Pulsschlag jener Zeit, das
Höchste, was der Künstler zu erreichen wünschen kann.
Es ist kurios, ich habe in Rom auf der Urati cli Oastello
wirkliche Bigarennen mit angesehen, die Fahrer waren auch
in altrömische Kostüme gesteckt, der Menschentypus, die
Luft, die Lokalität, die Aufregung war dieselbe wie ehedem,
und dennoch haben diese wirklichen Rennen viel weniger
in mir die Illusion der Zeiten des Maxentius oder
Caracalla geweckt als das Checasche Bild. Dabei ist das
Bild mit breiter, zielbcwußter Pinselsührung ohne jede
Ängstlichkeit gemalt, wenn es auch nicht in der Zeichnung
so korrekt wie das große Dätaillesche Bild: »Ln
datterie« ist, welches aber dieselbe packende Bewegung
atmet. Das Interesse in dem großen und bedeutenden
Bilde Detaillcs konzentriert sich hier auf den im Vorder-
gründe auf prächtigem, schäumendem Rappen seinen Säbel
schwingenden Kommandeur des Garde-Artillerie-Regiments,
der den hinter ihm herstürmcnden Batterien Halt zu
kommandieren scheint. Die Verdienste des großen Soldaten-
malers sind an dieser Stelle zu oft gerechnet worden,
als daß ich näher auf dieselben eingehen müßte. Eines
möchte ich hier nur wieder erwähnen, das ist der Sinn
Tetailles für die Landschaft. In Frankreich geht immer
mehr dieTrennung von Landschasts-, Geschichts- w. Malern
verloren, die zu dumm ist, als daß sie nicht noch recht
lange in unsrer offiziellen Sprache in Deutschland fort-
leben sollte. Wenn ich bei uns lese: der Geschichtsmaler
X oder der Landschaftsmaler N haben Ordre erhalten, dann
bedauere ich immer, daß man sich die scheinbar beschränktesten
Jünger der Kunst für solche Auszeichnungen answählt.
Der ist allein ein großer Künstler, der in die ganze Natur
zu dringen, sie zu erfassen, zu empfinden und wiederzu-
geben versucht. Wohin würde man kommen, wenn man
weitere Unterabteilungen schüfe, etwa wie „dem stille
Waldtümpel-Maler" ist heute die goldene Medaille für
Kunst verliehen worden. Fort mit solcher stupider Tren-
nung! Doch das nur nebenbei.
Das D etaille sche Bild führt uns auf die Schlachten-
malerei. Frangois Flameng sucht es Mcissonier
mit seinem kleinen figurcnreichen Bilde aus dem hollän-
dischen Feldzuge 1796 nachzuthun. Uniformen und
Typen sind mit großer Sorgfalt studiert. Ein schlechtes
Bild, verzeichnet und ohne Leben ist Tregos „Angriff
der Brigade Bredoco bei Rezonville". Rouffet malt
rL'estatette«, preußische Ulanen, die einem französischen
Kourier nachsetzen nicht ohne Geschick, Beauquesne
schildert unter dem Titel „Rendezvous" die Gefangen-
nahme eines preußischen Offiziers bei Villersexel. Grol-
leron stellt von einer Rekognoszierung zurückkehrende
französische Soldaten aus, die gelbe Ulanen zu Gefan-
 
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