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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Floerke, Gustav: Meine lebendige Grammatik, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0085

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Meine lebendige Grammatik

62

„Gut, ja. Ich will sie dir schenken", sagte der
Bildhauer.

Sie fiel ihm wieder um den Hals:

„0 Älaäorrua. rnia! Wie glücklich bin ich doch!
Welche Nummer hast du, OomenieanAsIo inio?"

„Nummer 7." Domenico hatte für einen Bild-
hauer Puppenhände. Man sah ihnen nicht an, wieviel
Energie er hatte.

„Ah, das geht ja wunderschön! Aber zu schmutzig
dürfen sie nicht sein, Domenico!" (Nr. (U/g, die ich ihr
später kaufte, waren dem reizenden Händchen bereits
zu groß.)

Domcnico versprach ihr das letztere durchaus ernst-
haft. Daran merkte ich erst, daß es sich bei der ganzen
Freude selbstverständlich nur um getragene Handschuhe
gehandelt hatte.

Nun erst schien ihr der Wein zu schmecken. Sie
erzählte noch von ihren Strümpfen, die unten eine Hand
breit durchbrochen seien, damit man das Fleisch sähe,
— denn so viele trügen heute falsche Waden; barfuß zu
gehen aber schicke sich nicht in der Stadt; so unbequem
ihr die Stiefel immerhin seien, riskiere sie das doch
nicht in Napoli. Und nun gar in ihrem schönen Kostüm
und in Rücksicht auf ihren Begleiter.

Tomenico fragte, ob ihr sie begleiten werde?

Barbarella seufzte. — Allerdings einen Begleiter
habe sie noch garnicht. Aber Don Antonio, oder wie
Tomenicaccio zu sagen beliebe, ihr „erklärter Liebhaber" !
Der sei ihr gerade der rechte! Übrigens sei Don Antonio
in Castellamar, Domcnico wisse das recht gut.

— Aber auch, daß das für einen Verliebten ein
Katzensprung sei.

Barbarella rümpfte sehr stark die Nase; die eheliche
Zukunft des armen Liebhabers, bei dessen Erwähnung
sie so Misiiottosa^ aussehen konnte, schien mir keine
ganz sichere. Vielleicht hoffte ich damals schon, daß es
mir inzwischen und bis dahin besser gehen werde.

— Diese Kleinstädter, sagte Barbarella, seien alle
Tölpel und viel zn schüchtern gegen die Mädchen. Dumm
und langweilig und nicht klug und lustig wie die Nea-
politaner oder Forestieri.

— Warum sie ihn dann nicht erst recht kommen
lasse, damit er Bildung lerne und munterer werde?

Barbarella trat heftig mit dem Fuß auf.

— Es gefalle ihr noch nicht zu heiraten. Er sei
auch zu alt. Überhaupt wenn sie ihn nähme, so ge-
schehe das durchaus nicht aus Liebe, sondern nur um
ihm seinen Willen zu thun, ^xsr eontentarlo^, damit
er endlich einmal Ruhe gäbe. Und dazu sei es immer
noch früh genug.

Und nun ergoß sich über die erregten Lippen ein
Gewitterregen auf Don Antonio's abwesendes Haupt,
der uns einen Begriff von jenen Güssen machte, ,nrit
denen ihm selber manchmal der Kopf gewaschen werden
mochte.

„Esel!" sagte sie, ganz in die lebhafteste Erinne-
rung versunken, — „seht, so ist er: (und sie machte ihn
nach) — ,Barbarella . . .?" Mas ist?" Menn du
erst mein bist . . ." ,Hm!" Menn der Tag unserer
Hochzeit da ist . . ." ,Pah!" Mann kauf' ich dir einen
Wagen, und dann heißt es: Eh! Anspannen für die
Padrona! Donna Barbarella will ausfahren . . ."
Hanswurst!" . . ."

„Ah!" fuhr sie fort, „und so geht es immer zwischen
uns; denn ich behandle ihn sehr schlecht."

— Und einmal früher — ,weißt du noch, Rums?"
— früher habe er, Don Antonio, ihr einmal die Photo-
graphie von ihm, von Domenico, zerrissen — ah! Aber
da! Sie wie eine Furie an die Kommode, sein, Anto-
nios, Bild heraus und in ganz, ganz kleine Stücke zer-
rissen — so! — und sie der kleinen Ginevra, ihrer
Schwester, geschenkt, damit zu spielen . . .

„Unverschämter!" sagte sie wieder, noch immer er-
regt von der Erinnerung, „als ob ich ihn heiraten
wollte und nicht er mich. Als ob er mir schon zu
befehlen hätte!"

— Am andern Morgen habe er ihr ein neues Bild
gebracht und demütig gefragt, ob sie das auch wieder
zerreißen werde? — ,O", habe sie ihm geantwortet, ,die
andern respektieren dein Bild, respektiere du sie, dann
ihn' ich's auch mit dir. Was bist du mehr als sie?
Oder unterstehst du dich, mehr zu glauben?"

—- Sie seien damals bei ihm in der Sommerfrische
gewesen, sie und die Mama. Aber am nächsten Morgen
seien sie wieder nach Napoli heimgefahren, — die Mama
thue immer, was sie, die Barbarella, wolle. Er sei ganz
traurig mit zur Bahn gegangen, sie infolge dessen erst
recht ausgelassen gewesen. Und sofort habe er ihr einen
Brief nachgeschickt, ungefähr so: ,Meine Teure! Wie
sehr habt Ihr mir mit Eurer Abreise weh gethan!
Früher hattet Ihr doch noch manchmal eine gute Viertel-
stunde für mich ..." — Nun ja! Sie sei zwar sehr
,LLp»riseic>8g.", aber manchmal doch auch gut gegen ihn.
Dieser Brief aber habe sie heftig geärgert. Schon wegen
der Leute, die ihn ihr vorlesen mußten und von wunder
was glauben konnten. Darum sei sie so in ,radioia,
raUüia", so in Wut geraten und habe ihm geantwortet,
was ihr in den Kopf gekommen sei, lauter schwere Worte,
so daß der Schreiber seine große Freude gehabt habe.

— Aber seine, Don Antonios, Worte seien auch
stets die eines Alten — er zählte bereits über vierzig
Jahre — so stupid, so feig, so ergeben. Und sie wolle
keinen Mann, der sich so schlecht behandeln lasse, der
alles thue, was sie sich ausdenke, der immer zufrieden sei.

„Und vorhin wollte sie doch keinen, der ihr zu be-
fehlen habe", dachte ich. „O ihr Weiber!"

„Er soll mir nicht in den Augen lesen!" fuhr sie
mit verächtlich aufgeworfenen Lippen fort und trommelte
wie gewöhnlich mit den Hacken auf dem Fußboden, -—
„das Gegenteil will ich ffa am liebsten!" (Ich glaubte
natürlich der Mann dafür zu sein.) „Ich sag" zu ihm:
Antonio, ich habe Kopfschmerzen, geht zum Teufel!"
Und er bedauert mich und geht. Pfui! wie kann man
sich so behandeln lassen!"

„Eh", sagte sie nach einer Pause, — „vielleicht bin
ich zu schlecht für den Mann; gewiß! Aber Politik
kann ich nicht machen und klug thun auch nicht. Ich
lasse mein Herz — oder was das ist — reden. Und
warum nicht? . . . Wer heißt ihn, mit mir zum Altar
gehen wollen!"

— Warum sie sich dann aber nicht einen jüngeren
Liebhaber anschaffe? fragte Tomenico, als die Bekennt-
nisse der Barbarella ihr Ende erreicht zu haben schienen.

„Liebhaber!" sagte das Mädchen aufstehend mit
fast komischer Resignation, — „an Liebe darf ein armes
Modell wie ich nicht denken. Ich muß schön, schlank
 
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