Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

DOI Artikel:
Floerke, Gustav: Meine lebendige Grammatik, [4]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0106

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Meine lebendige Grammatik <9

Da brachte mir ein Junge, im Auftrag von Antonio
Scoppa, der das Marktschiff von Unter-Capri führt, einen
Brief. Auf einigermaßen strapaziertem Bogen stand, mit
jenen großen Buchstaben, wie sie die öffentlichen Schreiber
in Neapel noch gelernt haben, unter der Überschrift:

Napoli, den re. re.

Mein liebster Freund!

Es thut mir sehr leid, aber ich kann Dich nicht
heiraten. Ich würde es, — bei der allerheiligsten
Madonna del Carmine! — nicht ertragen können, in
diesen verdammten Kleidern zu gehen, und ich will
nicht in einem Lande leben, wo man mittags schon
Licht anzündet, wie mir die Constanziella sagt, die
da war. Überhaupt gefallen mir die Palazzi niemals
auf lange Zeit. Und in suiuiua die Städte nicht,
weil man sich dort immer Sorgen macht um irgend
etwas. Jetzt wohne ich nachts vielleicht im Hotel
Blond und Sterne, tags aber in der goldenen Sonne.
Es lebe die Freiheit!

Deine re. Barbarella de Mcglio,

von Ana-Capri.

Lachend zeigte ich Domenico den Brief, und da er
mit mir einer Meinung war, wo wir sie zu suchen
hätten, fuhren wir — schon des Abenteuers halber —
hinüber nach „Crape" und erklommen die steile Felsen-
treppe, welche zur Hochebene der Insel hinaufführte —-
(heute, wo die Straße längst fertig ist, hätten wir's be-
quemer haben können, aber keine Barbarella mehr gefunden!).

Indessen droben war nur bekannt, daß ste in „Na-
Pole" sei. Es blieb nichts übrig, als umzukehren, wenn
wir uns noch bei Don Michele (damals lebte er noch)
ein gutes Abendessen und bequeme Unterkunft sichern wollten.

Auf halbem Abstieg wurde es tief unter uns lebendig.
Das enge Gefels, an welchem sich diese Himmelsleiter,
über dem schillernden Meere hängend, hinabwand, wider-
hallte von einem ausgelassenen Durcheinander von Stim-
men, und das Echo klapperte und kletterte wie ein Affe,
den Lärm verzehnfachend, mit den in Fetzen gerissenen
Ritornellen und Jnbelrufen hinterdrein und die Stiege
vorauf zu uns empor.

Neben uns aus perlmutterfarbener Tiefe blitzte das
Meer durch überhängendes Myrtengcstrüppe, weit drüben
schwang sich, von Hitze zitternd, in schimmerndem Bogen
das weiße Neapel, über uns hing die alte Seeränber-
burg des „Barbarossa".

Deutlicher hörten wir die langsam aufsteigenden
Weiber singen. Tann, bei einer scharfen Wendung des
beschwerlichen Stufenweges, sahen wir ans sie hinab.
Es war eine Kette von 15 oder 16 Mädchen, wie es
schien, alle groß und schlank, — ob hübsch, sah man
noch nicht —- die auf den Köpfen Lavaqnadern trugen,
wie sie damals Barken vom Vesuv herüberbrachten, um
damit den Bau der „Via OarroMubils" zwischen Capri
und Anacapri herzustellen.

Die beiden ersten waren singend und nur mit den
Augen grüßend an uns vorüber, da standen die nach-
folgenden Nummer drei faßte mich beim Rock und
sagte vergnügt, wie alle Mädchen auf Capri:

„Gieb mir einen Soldo, schöner Herr."

Während Domenico in einen lustigen Ausruf aus-
brach und sich in einigen grotesken Komplimenten erging,
überwand auch ich die Blendung des besonnten See-
spiegels und erkannte die Barbarella.

„Närrin, die ich war", sagte sie lachend, „nicht wahr,
Katzenauge?"

„Ja", dachte ich, „daß du dachtest, mich so ohne
weiteres zu heiraten . . . oder auch Närrin, daß du da-
vouliefst, aus dem kühlen, behaglichen Atelier und der
bequemen Freundschaft . . ."

„Wie wollte ich in einem Lande leben, auch als
Signora", fuhr sie fort, „wie das eurige! Ich habe mir
noch viel davon erzählen lassen. Die Constanziella, die
erste da vorn, ist einmal so einen Winter lang dort-
gewesen, mit einem Herrn, der sie wohl immer behalten
hätte, obgleich diese Närrin ihm ohne den Priester ge-
folgt war. Aber sic ist krank geworden in den Kleidern, von
der Luft, der Sprache und an den langweiligen Menschen."

„Kommst du denn nicht wenigstens wieder nach
Napoli?" fragte ich einigermaßen aus dem Text gebracht.

„Wer weiß!" sagte sie lachend. „Wenn mir die
Bauern hier wieder zu dumm werden." Wenn sie ein-
mal wieder hübsche Sachen hören und ihr Herz um-
schütteln wolle. Aber ans die Dauer sei das zu gefähr-
lich, dann müsse sie auf einige Zeit davonlaufen. Und
ohne solche hübschen Scherze, ohne solche Freiheiten —
pah! — das bloße Modellmachen halte sie nie lange
aus, das Stillstehen nicht und das Eingesperrtsein in
sonnenlose Ateliers auch nicht!

„Sor Antonio war bei mir, als du einen Tag
fortgeblieben warst", sagte ich noch.

Sie lachte hell auf.

„O, hört doch, Mädchen", rief sie, „wie bald diese
Männer, einer wie der andere, anfangen möchten, uns
krummzuschließen! Addio, Menichino, — wir sehen uns
wieder, — lebt wohl, Katzenauge, Ihr müßt ja in das Land
zurück, wo die Forestieri wohnen. Laßt's Euch gut-gehen,
auch wenn Ihr keine Frau von hier mitbringt! Addio!"

„Sie ist noch närrischer, als ich dachte", sagte ich,
um etwas zu sagen.

„Ich finde nicht", antwortete Domenico, „sie kann
einfach ihre Ungebundenheit und ihren sonnigen Golf
nicht lassen. Kasteit sie sich, so will sie dafür wenigstens
Freiheit, Licht und Luft haben. Bei dem bloßen Ge-
danken an eine Heirat ins Ausland — und daß sie ihn
einen heißen Augenblick lang gehabt hat, ist sicher, —
ist ihr so angst geworden, daß sie einer sofortigen derben
Kräftigung bedurfte. Sie nimmt ein Naturbad. Sie
muß einmal wieder Steine tragen zur Erholung."

Die Mädchen über uns lachten mit den Felsnasen
um die Wette, die Barbarella hob, ziemlich schreiend, ein
Ritornell an, dessen Inhalt ich nicht verstand . . . Sie
schien zu tanzen unter der schweren Steinlast, die sie
auf dem Kopfe emportrug. Der Zug setzte sich, langsam
steigend und immer ausgelassener lärmend, in Bewegung
und verschwand bald aus dem Sonnenflimmer dieses
Treppenvorsprungs, der wie ein Schwalbennest über dem
abendlichen Golf hing, in die tiefzerklüfteten Schatten
des Monte Solaro.

Ich sah Barbarella's schlanke Gestalt, die sich unter
der Last auf dem kleinen Kopf viel energischer und sieg-
reicher bewegte, als jemals in Neapel, zum letzten Male.
Und während sie längst verschwunden war, klang es noch von
oben, ganz ähnlich wie meine alte liebe toskanische Canzonetta:
„Oasut 8 bslla AiovIasrLa
Obs ei kuMs lutkavia!

Obi vuol essor llsto, sla,

DI ckowLll aoa v's

(Ende)
 
Annotationen