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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Seydlitz, Reinhard von: Wo die Sonne scheint, [4]: ziellose Reisebriefe eines Malers, [6]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0124

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Y2

Wo die Sonne scheint

Ziellose Reisebriefe eines Rtnlers. Ron R. v. Zendlitz.

4.*) Unter d

jH^or mir dehnt sich weit und breit die ungeheure Sand-
fluth der Wüste, in goldner Pracht flimmert die sanft
wellig geschwungene Ebene um mich her im Glanz reinsten
Sonnenlichts, ruhend unter einem so blauen Himmel, in
einer so krystallklaren Luft, daß man meint, von Geburt
an bis heut habe ein böser Dämon Aug' und Lunge mit
gefälschter Nahrung getäuscht, und dies sei nun erst Licht,
dies sei erst Farbe und Luft. Und eins ist klar: so hat
der Schöpfer die Luft gemeint, so wollte er das große
Licht haben, das den Tag erleuchtet, zum Schauen solcher
Töne durchbrach das Auge des Geschöpfes die Mauern
der Hirnschale.

Breit und wuchtig schieben sich links tafelförmige
Berge vor, in großen Accenten die weiche Kontur des
Horizonts belebend, weit hinaus ins Endlose schreitet leise
wie auf Filzsohlen ein schwankendes Kameel, fast begraben
unter einem Berg grellgeünen Kleefutters, noch weiter
hin liegen bräunliche Flecken im Sande, riesigen Schild-
kröten ähnlich — Zelte wandernder Beduinen; ein paar
säulengerade Rauchstrenen steigen ins Blaue auf; einer,
da das Feuer, das ihn zeugte, erloschen, schwebt wie das
Gespenst einer Säule mitten in der Luft, regungslos, bis
ihn der alles lösende Äther verzehrt. Und rechts ein
feiner bläulich-grüner Streifen mit kleinen spärlich ver-
streuten weißen Punkten: das Nilthal. Drüber hinaus
wieder die goldne, die endlose Wüste. Und mitten in
ihr, mit der Hälfte der Höhe den Horizont überragend,
in feierlichem Abstand, trotz der meilenweiten Entfernung
noch ungeheuerlich, so zu sagen unwahrscheinlich in ihrer
Welt- und zeitverachtenden Majestät: die Pyramiden!

Wenn ich nun hier den geneigten Leser rechtzeitig
daran erinnere, daß, um solches Anblicks teilhast zu werden,
cs nicht der monatelangen Entbehrungen und Gefahren
einer Forschungsreise ä ln Stanley bedarf, daß ich nicht
den unverdienten Ruhm genießen möchte, um Ägypten
zu durchwandern wochenlang von einer Hand voll Datteln
und einem Ziegenfell voll lauwarmen Nilwassers gelebt,
unter räuberischen Nomaden menr Dasein gefristet und
meine Freizügigkeit mit Pulver und Blei den gefräßigen
Raubtieren abgedrungen zu haben; sondern wenn ich bei-
füge, daß ich auf dem Fensterbrett eines eleganten Lese-
saales in einem europäisch gestalteten Hotel sitze, daß mich
eine bequeme Eisenbahnfahrt und ein Omnibus hierher
geführt; daß ich — denn es ist Silvesterabend, und
daheim dampft allenthalben der duftende Punsch — daß
ich hier wie zu Hause mit Landsleuten die Gläser zusammen-
klingen lasse auf ein frohes neues Jahr; — dann wird
mir der Leser recht geben, daß ich eingangs des ersten
Briefes ein Loblied auf den reisenden Engländer, den
*) 3 siehe Jahrgang VI Heft 23. 24.

en Nilisten.

Ebner aller Schwierigkeiten und den Propagator zivilisa-
torischer Verkehrskunst, anstimmte; und andrerseits wird
er mir nachempfinden, daß ich, so plötzlich hieher versetzt,
zu einer namenlosen Verwunderung gelangte und mich
fürchtete, mich zu bewegen, aus Sorge, dies alles sei ein
neckender Traum.

Und doch ist es wahr, es ist wahrhaft die Sahara,
cs ist der altheilige Nil, der dort seine bräunlichen Fluten
durchs Fruchtland rollt, es sind die titanischen Grab-
gebände königlicher Pharaonen, hinter denen die purpurne
Sonne jetzt herabsinkt!-

Und so stoße ich nochmals an mit den Brüdern des
großen Bundes.... wir sind nämlich allesamt Nilisten
geworden; grimm entschlossene, durch kein Hindernis zu
erschreckende Nilisten; Nilisten bis zur letzten Konsequenz,
d. h. bis zum ersten Katarakt; und zwar rein um der
guten Sache selbst willen — pro nilo!

Da ich dies einmal freiwillig eingestehe, will ich
auch weiter über diesen internationalen Bund ausplandern;
alle Nationen sind in ihm vertreten, allen voran natür-
lich Altengland; auch ist der Chef des Bundes von Albions
Stamme; er heißt Thomas Cook. Ohne seine Genehmigung
und ohne sein Billet gelangt kein Sterblicher mehr zu den
Palmen von Philä und zu den Memnonskolosseu vonTtieben.

Um der grauslichen Tyrannis des Alleinherrschers
im Norden für eine Weile wenigstens zu entfliehen, ziehen
die Scharen der Nilisten allherbstlich in dem unverdächtigen
Gewände des Weltbummlers, das blutrote Wahrzeichen,
den Lockex Laeckellerinnus, in der Tasche, im Nilthal
ein; „Freiheit!" so ist ihr Feldgeschrei, „Freiheit von
allen Fesseln des Katarrhs und der Gummischuhe!"

„Sonne, Sonne und wieder Sonne," höre ich aus-
rufen; „gibt's denn in Ägypten nichts Schöneres, nichts
Größeres, nichts Beschrcibenswerteres?" — Nein, ant-
worte ich; und wenn die alten Pharaonen tausendmal
größere Pyramidenwunder ausgetürmt, die Fatimiden
unendlich kostbarere Moscheenkuppeln gewölbt hätten, ja
wenn das Nilland, wie es wohl dem Haschischraucher
erscheinen mag, die überreichste Erfüllung aller Träume
von Pracht und Liebe böte, — die ägyptische Sonne
erreicht kein Wunder des Wunderlandes, von ihrer Kraft
und Milde will ich singen und sollt Ihr mich sagen hören,
so viel ich kann und so gut ich's vermag. Wie der Sieche
nicht vergebens in ihr Heilung sucht — denn sein Leib
„geht gut," und wenn er vom mangelhaftesten Teige
wäre — so verehrt der Künstler in Ammon-Ra, dem
ägyptischen Phöbus, mit Recht den gewaltigen Verkünder
kaum geahnter Offenbarungen in dem majestätischen
Schauspiel des ägyptischen Sonnenuntergangs.
 
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