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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Seydlitz, Reinhard von: Wo die Sonne scheint, [4]: ziellose Reisebriefe eines Malers, [6]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0125

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wo die Sonne scheint.

94

Ich sah, genau ausgerechnet, 93 solcher Pracht-
feuerwerke, könnte aber nicht behaupten, daß je eines das
andre wiederholt habe oder daß ich des Anblicks übersatt
geworden sei. Und meine keiner, ein Sonnenuntergang
sei dort eine einfache, kurz erlebte Sache; ein Drama des
Lichts, in Musik gesetzt durch die Farbe, eine gewaltige
Tragödie in mehreren Akten ist es, der wir bewundernd
und, wohl darf's der Neuling bekennen, erschüttert beiwohnen.

Ich will nur kurz das Szenarium entwerfen, um
anzudeuten, in welch grandiosem Stil der Dichter da
„arbeitet".

Ein Vorspiel von immer wärmer werdenden Tönen
leitet das Ganze ein. Im Lapislazuli des Firmaments
kreisen die weißbraunen Geier, und schrillende Schwalben
segeln um die Minarets, auf deren Balkonen die Priester
ungeduldig das Verlöschen des Gestirns abwarten, um
ihren wunderlich-unschönen Gebetsruf erschallen zu lassen.
Ein zartes Violett durchzieht die spärlichen leichten Wolken,
die sich zusehends verflachen und auflösen.

Mit dem Eintreten des wirklichen Rots am Nord-
und Südhorizont beginnt der erste Aufzug des Dramas.
Er ist dem Golde geweiht, welches das dunkler werdende
Ultramarin des Himmels noch vergebens bekämpft. Ein
brennendes Rosa strahlt weit über den Zenith nach Osten;
Wolken, Gebäude und Baumwipfel aber erglühen im
leuchtenden Goldgelb; die wachsenden Schatten zeigen
hellstes Moudblau. Immer intensiver füllt sich der Äther
mit sattestem Goldton, bis dem staunenden Auge eine
weitere Steigerung unmöglich erscheint. Da spielt auf
einmal ein scharfes Rot drein, das den zweiten Akt ein-
lcilet: Der Feuerball — hier verdient er den Namen! —-
verflacht und vergrößert sich, taucht auf den flimmernden
Horizont und — versinkt nicht etwa, sondern schwindet
in sich selbst zusammen, bis zum letzten Funken wie
flüssiges Erz funkelnd in prächtiger Glut. Der Kampf
ist entschieden, die Nacht siegt. Jedoch, mit Verlaub, nur
im Prinzip! In Wahrheit wird beiderseits erbittert
weiter gerungen, und bis all das Licht, die Farbe, die
tagsüber uns umleuchtete, aufgesogen und verlöscht ist,
vergeht eine gute Stunde.

Denn nun, während östlich sich ein ganzes Getümmel
flüchtiger Farben vor der aufsteigenden blauen Nacht
erhebt, oft in kaum definierbarer Weise gemischt — ich
notierte mir besonders ein in Olivengrün getauchtes Lachs-
rot, ein Ausdruck, den ich unter keiner Bedingung zurück-
nehme! — beginnt als Nachspiel die dritte Abteilung,
die des Purpurs. Von der Intensität der nun folgenden,
wegen der Abwesenheit direkter Sonnenstrahlen weniger
blendenden, desto mehr aber sich voneinander abhebenden
Nüancen annähernd eine Idee geben zu wollen, wäre
vermessen. Da, wo die Sonne versunken ist, fließt vom
Horizont herab ein Strom von Rot. daß der Horizont
selbst transparent erscheint; ein scharfer Purpurblitz schneidet
ihn oben gegen das Grauviolett des Dunststreifens ab,
über dem, wenn der Beobachter im Nilthale steht, noch
ein zweiter braungelber Hauch schwebt. Über diesem wieder
.erhebt sich breit und majestätisch das hellste Gelbrosa, das
letzt einzig die Lichtquelle enthält; der Strom, der ihr
entfließt, reicht aber aus, um bis in die winkeligsten
Gassen Kairos eine Tageshelle zu verbreiten, um die der
Nordländer an regnerischen Jnnitagen neidisch werden
könnte. Weiter hinauf endlich durchdringt mehr und mehr
der leuchtende Purpur das Gelb, oben endlich einströmend

in das ernste, wiewohl immer noch warm durchglühte
Blau. Hie und da aufflammende Gaslichter sehen um
diese Zeit wie schwefliggrün schimmernde Glühwürmer
aus. Und wendet einer das Auge nach Nord oder Süd,
so erwartet ihn ein neues, andres, gleichzeitig mit der
Hauptaktion im Westen verlaufendes Schausviel: dort
stuft sich's vom obereil Dunkelblau durch Blaugrün. Apfel-
grün, von da durch Gelbbraun, Braunrosa bis zum
Braungrau des Horizonts ab.

Hat man, betäubt und berauscht von all dem
Geflimmer, den Blick in der vom Schatten der Nacht
durchzogenen Tiefe ruhen lassen, so darf man mit Staunen
gewahr werden, wie hell alle, selbst die entferntesten
Objekte an ihrer Westseite leuchten, als strahlten sie eigenes
gelbbraunes Licht aus. Und wenn einer endlich meint,
nun sei der Vorhang gefallen, der wird durch einen Blick
nach Westen belehrt, daß das Purpurmeer dort nur an
Höhe, kaum merklich aber an Intensität abgenommen hat.
Ein breiter, fester, weit überm Horizont stehender Streifen
leuchtet da noch eine gute halbe Stunde, bis er, durch
immer bleicher werdendes Goldgelb abgelöst, sich zögernd
in sich selbst verzieht und der Nacht so auch der letzte
Fußbreit im vorigen Tagesreiche endgültig überlassen bleibt.
Nun erst ist es zu Ende, nun erst haben wir einen
ägyptischen Abend verlebt, und nun erst hält der Mueddin
seine hohlen Hände an den Mund, um den Gläubigen
unten im Gewühle der Stadt den Augenblick des Gebets,
den Eintritt eines neuen Tages — denn ein solcher beginnt
mit Anfang der Nacht nach muslimischer Rechnung —
feierlich in chromatischen Tonfolgen zu verkünden.

Aus dieser flüchtigen Skizze eines Abends möge nun
der geneigte Kollege schließen, wie dem frisch aus Europa
anlangenden Pinselschwinger zu Mute ist, wenn er im
Begriff steht, seine erste Landschaftsstudie am Nil zu
beginnen; denn für den Tag gilt, was für den Abend
galt und für die Nacht gellen muß: alles ist neu, alles
muß umgelernt werden. Ehe ihn eigene Kritik oder das
Wort eines Kollegen darauf aufmerksam macht, begegnet
es ihm nur zu leicht, wie Schreiber dieses, daß er einen
ehrsamen königlich preußischen Himmel hinstreicht und das
Mokattamgebirge blau sieht, da es doch, wenn auch meilen-
weit fort, eben immer noch leuchtend gelb ist. Die Luft
ist dort so klar, daß die Quantität der Farbe in weitester
Entfernung immer noch fast gleichgültig in Bezug auf
leichte Erkennbarkeit ihrer Qualität ist; es fehlt eben aller
Wasserdunst, dessen verschleiernder und umfärbeuder Wirk-
samkeit in Europa meist die Aufhellung der Ferne, ihre
wie aus blauem Karton geschnittene Kontur zu verdanken
ist. Im vollen Licht und in der Nähe gar ist Erde,
Gebäude und Luft im Valeur völlig gleich, und niemand
malt falscher, als wenn er einen berlinerblaucn Himmel
über kremserweißen Mauern emporragen läßt; das ist
alles, nur nicht Ägypten.

Und umlernen darf erst recht, wer Köpfe und Kostüm
wiedergeben will; traditionelle Chokoladenneger mit himmel-
blauen Glanzlichtern auf Schädel, Nase und Schulter lassen
sich freilich auch daheim „empfinden"; aber die völlig
ungewohnte Konfiguration der orientalischen Rassentypeu
will im Einzelnen, im Zuge eines Nasenflügels, im
undefinierbaren Schmelz des Augapfels wie im Reflex auf
der durchsichtig braunen Wange haarklein studiert werden,
sonst malt man immer noch Münchener Dienstmänner,
wenn der Turban auch noch so kühn drauf sitzt, und die
 
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