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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Seydlitz, Reinhard von: Wo die Sonne scheint, [4]: ziellose Reisebriefe eines Malers, [6]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0126

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Wo die Sonne scheint.



trübe Finsternis nordischer Schatten umrahmt dann immer
noch den Kopf einer „Haremsschönen" mit grimmem
Asphalt und Beinschwarz.

Doch gilt ja dieser Exkurs nur dem Maler; aber
von Malern ist Afrika verhältnismäßig noch nicht entdeckt,
und darum die Verkündigung solcher kleiner Erkenntnis-
früchte vielleicht nicht ohne Interesse. Auch verspreche ich
im folgenden nicht mehr die unsympathische Beckmesser-
Rolle des „Farbenmerkers" zu spielen. Es kommt für
den reisenden Maler nicht, wie für den armen gehetzten
Touristen, darauf an, alles zu sehen, um es im Müdig-
keitsrausch der Heimkehr wieder zu vergessen, sondern des
Gesehenen Wesenheit, von der bunten Schale zum eigen-
artigen Kern vordringend, mit hellster Deutlichkeit zu
erfassen und lebendig zu bewahren.

Da genügt ihm oft nicht wochenlang wiederholtes
langstündiges Anschauen, wie andrerseits der flüchtigste
Augenblitz, die zufällig miterlebte Straßenszene, die wunder-
lichste Anekdote ihm — oft unbewußt — windschncll ein
Streiflicht in geheimste Charakterfalten eines fremden Volkes
werfen kann, daraus er dann reicher schöpft als aus dick-
leibigen Folianten. Die Frucht der Erkenntnis mag daun
immerhin eine unmotivierte Liebe zum Erkannten sein, wer
will's ihm verargen?

Oder — da der Leser mit mir des trocknen Tons
nun satt sein wird und ich mit Anekdoten gedroht habe
— hier ist eine solche.

Auf einem Ballfeste beim Khedive zeigte man mir den
von Orden und Gold strahlenden, biedern und behäbigen
früheren Minister Zi-Pascha. Es ist derselbe, fügte mein
Mentor hinzu, der das Glaserhandwerk nicht leiden kann.

Und wieso?

Ei nun, seitdem er baare tausend Pfund türkisch für
Reparatur hat zahlen müssen, und obendrein ohne Grund.
Sie kennen den schönen Palast bei Kasr-Ain? Nun, einige
Jahre nachdem Zf-Pascha ihn erbaut und bewohnt, ließ
dieser eines Tages seinen Hausmeier holen u. begann seufzend:

Ali, die Fenster meines Hauses sind undurchsichtig
ijewordcn. Ich fürchte, der Baumeister hat mich mit
schlechter Waare betrogen. Was ist zu thun?

Herr, ich weiß keinen Rat.

Erkundige Dich also unter meinen Leuten und in
der Stadt.

Der Pascha sprach's, und Ali ging; Ali kam, der
Pascha rief: Hast Du gefragt?

Ja, Herr, aber ich erfuhr kein Mittel. — Einer
meinte zwar, wenn man mit dein Finger an der blinden
Scheibe riebe, würde die Stelle glänzend — aber —

Nein, so ungeheure Hundearbeit kann ein Gerechter
nicht von den Dienern seines Hauses heischen. Drum
geh' und hol' einen Glaser.

Bald stand der kluge Italiener vor dem Gestrengen
und erhielt den beglückenden Auftrag, alle zweihundert
Palastfenster mit neuen, kristallklaren Scheiben zu versehen.

Schnell war's geschehen, und mit tiefem Seufzer
zahlte der wackre Hausvater zweihundert Beutel Gold
und tröstete sich dann mit einem zufriedenen Blick durch
jedes Fenster; macht L Blick fünf Pfund türkisch. —

Den schlechien Kerl hält' ich aber gern windelweich
geprügelt, der'S hinterdrein dem guten Alten verraten
hat, daß der Italiener die Fensterflügel, die seit Jahren
nicht geputzt waren, Himer der hohen Palastmauer
einfach abwusch und fein säuberlich wieder einsetzte! Wie

kann man so süße Naivctät zerstören?! Wer könnte
ihr gram sein? Ist nicht ein solcher Minister im neun-
zehnten Jahrhundert eine beinahe liebenswerthe Er-
scheinung? Und wenn nun der Leser sich mit mir für
Paschas erwärmt, entfache ich ihn sicher zu Heller Begeisterung
für den Kaircner Droschkenkutscher, wenn ich von dem
— notorisch verbürgten — Faktum berichte, daß in den
ersten Zeiten der Eisenbahn solch ein brauner fez-geschmückter
Automedon, wenn sein Weg das Schienengeleise kreuzte,
ans dem gerade ein Zug herangcbraust kam, in heiliger
Unschuld mit Stentorstimme: »I7a, Kiglalr!« (Achtung,
aus dem Weg!) dem Maschinisten zurief, statt seinen
Berberhengst zu belehren, daß von jetzt ab bis ans Ende
der Tage das Dampfroß den Vortritt habe. Daß die
Erfindung eines Ungläubigen die Kunst altarabischer Roß-
zucht dereinst verdunkeln werde, davon steht im Koran
nichts; der Orientale sieht es wohl, aber er begreift es
nicht, und — es imponirt ihm nicht. Benützen darf der
Gläubige, was der Fremde ihm zur Verfügung stellt;
denn der Giaur und seine wunderlichen Werke sind für
den Gläubigen da. Und wenn der Koran den Wein ver-
bietet, wo in aller Welt spricht Mohammed das gleiche
Anathema über Bier, Champagner oder Schnaps aus?
Darum trinke der Muslim ruhig in der Schenke, was
Löwenbräu, Rüderer und Wynand Fockinck ihm gebraut
haben. Urobciat!

Leider schweigt der Koran aber auch darüber, daß
so allmählig, Tropfen um Tropfen, das Geld des Gläu-
bigen in die Hände des Fremden gelangt und National-
wohlstand wie Volksgesundheit langsam sinken müssen.
Und wenn Griechen und Levantiner den ganzen Nil hin-
auf bis zum ersten Katarakt Zuckerraffinerieen errichten,
deren abscheuliche Dampfschlote die Tempel von Abydos
oder die Gräber der Pharaonen beschm—auchen, und wenn
sie dabei manchcsterlich ausposaunen lassen, nun habe das
verhungerte Volk endlich Arbeit . . . wem wird da nicht
weh ums Herz, das so oft geknechtete, unermüdlich
fleißige Volk der Fellachen in neuen verderblichen Banden
schmachten zu sehen?

— Der Übelstände wahnwitzigster dünkt mir aber
das in jedem Cafe, in jeder Kneipe zu findende Roulette;
nicht nur daß dies Rad des Unglücks da ist und Klein-
bürger wie Subalternbeamte ihren kärglichen Verdienst
unter seinen Speichen erbarmungslos zermalmt sehen,
sondern wie es kommt, daß sein Gerassel und Geklirr
versührerifch in alle Gassen die halbe Nacht durch hinaus
tönt, obgleich öffentliches Hasard im ägyptischen Gesetze
streng und völlig verboten ist. Man höre!

Wen» so ein Gesetz gar so barsch und protzig auf-
tritt, und weil der Mensch doch ein geborener Spieler ist,
so geht man, höflich ausweichend, um das Verbot herum.
Und wie, fragt mich wohl erstaunt ein Jünger des Knut-
schen „kategorischen"? Einfach genug: man eröffnet ein
Lokal, verpachtet es an einen Europäer, und der stellt
das Roulette auf. . .

Ja, aber. . .?

Ja, aber, der Europäer steht als solcher unterm
Schutz seines respektive» Consuls, und für ihn sind
ägyptische Civil- und Strafcodexe soviele Vogelscheuchen,
die es kaum lohnt, auszulachen.-

Merkst Du nun, o Leser, daß wir im fremden, im
ganz weit fernen Lande sind?

(Schluß.)
 
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