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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Adelung, Sophie von: Maria Stuart, [1]: eine Atelier-Studie von S. v. Adelung
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0166

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Maria Stuart. Line Atelier-Studie van S, v. Adelung

127


„Ja, den alten Kolbe, der seit fünf Jahren an
seiner Penelope malt und sich so in seinen Gegenstand
vertieft hat, daß er das Bild jedesmal wieder abkratzt,
wenn es seiner Vollendung entgegengeht. Oder meinst
Du etwa unfern guten Lang? Er wird gewiß etwas
für die Ausstellung liefern, nicht einen Kopf, nein,
gleich ein halbes Dutzend."

Rudolf Lang — oder Rudolfinchen, wie er bei uns
genannt wurde, war der älteste unsrer Knnstschülcr,
welcher eigentlich schon vor ein paar Jahren die Kunst-
schule hatte verlassen müssen, dem aber, halb aus Mit-
leid, halb um seines eifrigen Fleißes willen, immer noch
vergönnt war, in der Malklasse mitzuarbeiten. Da saß
er nun Tag für Tag, der erste und der letzte und malte
eisernen Fleißes an seinen Studienköpfen und kein Pro-
fessor hatte es je zuwege gebracht, ihn von seiner eigenen
von ihm erfundenen Methode abzubringen. Diese Über-
bestand darin, daß Lang einen Kopf stets aus der Mitte
heraus arbeitete (etwa wie man es noch hie und da
an alten kuriosen Stichen sieht) und zwar so, daß ei-
gewöhnlich am linken Auge anfing und dieses mit all
seinen feinsten Einzelheiten, sowie dem ihm eigenen
seelischen Ausdruck auf der kahlen weißen Leinwand
fertig malte, ehe er zum rechten Auge und sodann zu
den übrigen Gesichtsteilen überging. Wir Ivaren längst
an Rudolfinchens geisterhaftes linkes Auge gewöhnt,
einen Fremden hätte es aber in das größte Staunen
versetzt, ja ihn vielleicht Nachts im Traume verfolgen
können. Einzeln genommen waren die Gesichtszüge auf
Längs Studienköpfen von frappanter Porträt-Ähnlichkeit;
das allgemeine Ergebnis war jedoch leider stets ein
hölzernes, steifes, hartgemaltes Bild, dem vor allem
alles — das Leben — fehlte.

Ich mußte bei dem Gedanken lachen, daß Längs
Studienköpfe die goldene Medaille erringen sollten.

„Es gibt noch andre Maler im Lande," wieder-
holte ich.

„In unserem Fache zufällig gerade keinen; der
Professor konkurriert nicht mit, da er bei der Jury ist,
Volk ist tot und die andern sind Landschafter," sagte
Wolkow; „was hast Du vor, alter Junge?"

„Ich habe nichts neues vor, denselben Gedanken,
der mich seit Monden verfolgt und für den ich nun die
passenden Modelle suche. Auf die Medaille verzichte ich
so wie so —"

„Was fällt dir ein?"

„Erstlich wird sie ohne Zweifel dir zufallen, denn
seit du deine „tanzenden Dryaden" so famos verkauft
hast, trauen wir dir alle das höchste zu."

Wölkow machte eine geringschätzige Bewegung, aber
er wurde rot vor Vergnügen.

„Pah! Zufall, alter Freund — ein bloßer Zufall.
Aber komme, was da will, wir zwei bleiben Freunde —
nicht wahr?" — er reichte mir die Hand — „und nun
laß' uns ernstlich darüber sprechen, was ein jeder von
uns vorhat; bis zur Ausstellung ist nicht mehr weit —
ein knappes Jahr."

Wir setzten uns in meinen „türkischen Winkel" und
plauderten bis tief in die Nacht hinein. War er nicht
ein prächtiger Geselle und Kamerad, mein Freund Leo

Wölkow? Wie ich ihm so zuhörte, seinen feurigen
Worten, von den lebhaftesten Bewegungen begleitet,
wünschte ich, es läge in meiner Macht, ihm die goldene
Medaille zu geben. Ohne Zweifel war er das genialste
junge Talent unter uns, ein „kleiner Makart", wie wir
oftmals sagten, und verfügte trotz seiner Jugend über
gute, phantasiereiche Komposition, effektvolle Verteilung
von Licht und Schatten und kecke, flotte Behandlung.

Bor allem aber zeigten seine Farben schon jetzt
eine Leuchtkraft, eine durchsichtige Klarheit, welche uns
oft in Staunen setzte.

Seine Geschichte war folgende: Vor Jahren war
ein junger Südrusse auf dem Bahnhof unserer guten,
kleinen Stadt erschienen, ein magerer Junge in zer-
lumpten Kleidern, der kein Wort deutsch konnte. Er-
hielt den ersten besten fremden Herrn an und fragte
ihn, welcher Weg zur Kunstschule führe. Ein wunder-
barer Zufall wollte, daß der Angeredete ebenfalls Russe
war; sein wärmstes Interesse wurde für den jungen
Landsmann wach, welcher Hunderte von Meilen zu Fuß
gelaufen war, um, wie er sagte, in Deutschland Maler
zu werden. Weiß der Himmel, warum er nicht in eine
der größeren Kunststädte Deutschlands, Berlin, Düssel-
dorf oder München gewandert — aber da war er nnn
einmal. Viel war nicht ans ihm herauszubringen: ver-
waist und mittellos hatte er, seinem inneren Drange
folgend, die weite Reise angetreten. Seine Papiere er-
wiesen sich als richtig und es fanden sich mitleidige
Seelen, die ihn kleideten und wieder zu einem menschen-
würdigen Wesen auffütterten; sie ließen ihm auch den
nötigen Unterricht geben, der ihn für die Kunstschule
vorbereitete. Seine Fortschritte im Zeichnen waren er-
staunlich, schon nach einem Jahre konnte er als ordent-
licher Schüler in der Kunstschule ausgenommen werden
und nun hatte er dieselbe seit einiger Zeit verlassen, um
sich ein eigenes, allerdings sehr bescheidenes Atelier zu
mieten. Seine Skizzen und Bilder fanden so viel An-
klang, daß er schon mehrmals Käufer dafür gefunden
hatte. Leo und ich waren innige Freunde geworden.
Der junge Russe hatte, trotz dem unschönen, fast tatarisch
zugeschnittenen Gesicht, mit den aufgeworfenen Lippen
und der niederen Stirn etwas ungemein fesselndes, denn
aus seinen großen, wunderbar leuchtenden Augen sprach die
feurigste Begeisterung und die ganze zierliche Gestalt
des jungen Mannes zeigte Kraft und Energie in
jeder Bewegung. Er war das gerade Gegenteil von
mir und zog mich eben deshalb unwiderstehlich an; lang
aufgeschossen und hager mit blondem schlichtem Haar,
hatte ich ungewöhnlich große und rote Hände, welche nur
im Handhaben des Pinsels Geschicklichkeit zeigten. Meine
Freundschaft erwiderte er mit der rührendsten, fast
möchte ich sagen, weiblich-zärtlichen Anhänglichkeit.

Auch jetzt, wo wir traulich zusammensaßen, und
das Glas Bier tranken, welches uns die Aufwärterin
gebracht, machte er mir die eindringlichsten Vor-
stellungen, wie es eine Mutter hätte thun können,
wegen meines deutschen Hanges zum Katzenjammer, wie
er es nannte, und meines Mangels an Selbstvertrauen
und Energie.

(Die Fortsetzung im nächsten Hefte)
 
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