Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

DOI Artikel:
Heilbut, Emil: Biarritz
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0316

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Biarritz, von Herinan Helferich

Welche ihrerseits interessant sind und das Wesen des
„Gemäldes" nun auf See übertragen. Es ist nicht der
Zauber der See als solcher, so wahrgenommen, wie er
verdient. Übrigens liegt auch viel im Boden. Wenn wir
uns den der See von Ostende denken, ist da höchstens
der Leichnam eines schmutzigen Matrosen unten; im Süden
aber Sirenen und Wunder. Wenn es nicht etwas thöricht
wäre, mit Substantiven etwas erklären zu wollen, deren
Begriff etwas Schwankendes hat, möchte ich sagen: Achen-
bach sei ein „realistischer" Maler; nur ein realistischer
Maler in der Mitte zwischen dem „Idealisten" Delacroix
und dem „Naturalisten" Monet; eingeengt zwischen diesen
beiden Polen des für Malerei Möglichen hat Andreas
Achenbach mit seiner Mittelstellung für den Kritiker
eine niedrigere Situation... so würde ich etwa sagen,
wenn ich mir die Freiheit nähme ... es ist indessen
nicht recht von einem Kritiker, wenn er an den Namen
und die Bedeutung eines Mannes wie Andreas Achenbach,
eines der ersten und sicher talentiertesten Künstler, die
das Vaterland besitzt, rührt, — seine Freunde vielleicht
verletzend, — und nicht sofort den gestreiften Gegenstand
wenigstens auszuführen und so den Tadel zu begründen
sucht. Ich will versuchen, meine Einwendungen gegen
Achenbach zu erklären: Die Schwere des Meerwassers,
wie Ruysdael, läßt Achenbach mich nicht fühlen; selbst
des Wassers Tiefe wenigstens, wie Willem van de Velde
sie empfinden läßt, greist mir vor Achenbachs Gemälden
nicht ans Herz. Sie geben nicht meinen ästhetischen,
noch meinen materiellen Anforderungen an Meerbilder,
wie ich wirklich gestehen muß, Genüge. Ich empfange
stets den Eindruck eines überaus geschickten groß-
artigen Talentes, eines Talentes, das sich stets aufs neue
zeigt, stets neue „Arrangements" verteilt, Arrangements
von Licht- und Schattengegensätzen, und von Sturzwellen
im Wasser, Wolken am Himmel, viel Bewegung und Geist
und viel Staffage und Dampfbootschlöte. Doch all das
möchte ich hingeben für eine entweder stark poetische
Kraft, die das Meer zu übersetzen vermocht hätte, oder
für eine Wiedergabe der mächtigen Erscheinung des Meeres
au sich, in seiner Einfachheit... Ich möchte ans die Art,
das Marinebild zu Pflegen, die Andreas Achenbach hat
(obgleich er das vielleicht immenseste Talent unter unfern
Malern ist), dennoch anwenden, was W. Bürger in den
»Tresors ck'art cl'Xngleterie« von den Caracchi, den
Eklektikern, sagen mußte — »IIs executent tout, inais
its ns sentent plus rien!« während, wie ich glaube,
meine Anerkennung für Achenbachs eigentümliches großes
Talent weit größer, als sie ist, sein würde, wenn nicht
Achenbach just das Meer für seine Bilder erwählt hätte
und mir nicht just das Meer gerade als eines der hehrsten
Dinge, die es überhaupt gibt, erschiene. Viel höher als
Maler der See, denn Achenbach, scheint mir, um bei
den Deutschen zu bleiben, notwendig, Böcklin zu stellen. Wer
hätte die See stärker ausgedrückt, als er mit dem Bilde, das
beim Grafen Schack ist, wo das Tritonenweib mit der
Schlange spielt, der Triton in die Muschel bläst und die
Wellenberge eisig niederstürzen? Ein „Aber" wende ich
gegen Böcklin ein: wenn es gelingt, des Meeres Dämo-
nisches, des Meeres besonderes Wesen, sein Element, ohne
den Apparat der Figuren, die wir uns nur zur Beglau-
bigung, Verkörperlichung unsrer Gefühle über das Meer
ersonnen haben, zur Darstellung zu bringen, dann ist

jedenfalls das noch mehr. Ich glaube, daß in dieser
Beziehung der Genuß einer Monetschen Meeresidylle
aus dem Süden noch feiner gewürzt sei: nur in uns sehen
wir, wenn wir Monets photographisch treue Abbilder
glühender Natur angeblickt haben, die Tritoncn und
Seewesen, welche Griechenland zur Bevölkerung der See
ersonnen hat; und was wir in uns sehen, ist feiner,
geistiger und individueller als selbst bas Genialste, was
durch Böcklin fest gebannt wurde und was er nur ver-
steinert festhielt.

Nur Ein Maler existiert, der im stände wäre, sich
mit Monet auf dessen eigenstem Gebiete zu messen, und
vielleicht, ihn zu schlagen. Derselbe ist gar kein Seemaler;
er malt kleine Tänzerinnen. Dennoch kenne ich von ihm
eine Skizze, die mir alles auszudrücken scheint, was
in diesem Gebiet zu wünschen wäre, ohne daß er es mit
jener manchmal schreienden Brutalität, die Monet eignet,
zur Wiedergabe brächte. Diese Skizze, die Degas machte,
ist ein kleines Wunderwerk. Eine Tänzerin tanzt vor
der See. Die See hat die Farbe der See von Biarritz,
der See, die auch Monet gemalt hat, und auch Felsen
sind am Strande oder liegen in die See weit hinaus.
Weil aber die Tänzerin vorne tanzt, in hellgrünem
Balletkostüm, so wirkt das Meer in der Fernsicht nur
wie ein Reflex des Meeres, man würde unfehlbar sagen
wie ein Theater-Meer, wenn es nicht so viel besser
gemalt wäre, als ein Meer in einer Theaterdekoration.
Hier sind nun so bei Degas alle Elemente zusammen-
getragen, um den feinsten Genuß für uns herbeizuführcn;
die Gene, die für uns moderne, städtische, blasierte
Menschen damit verbunden ist, wenn wir einmal an den
Urmächten der Natur wieder ein tiefstes Interesse nehmen
und auf das stärkste von ihr gepackt werden — wunder-
sam erspart wird sie, diese Gene, sobald das Meer, wie der
Berliner sagt, „man so thut", nur auf der Szene
erscheint. Wir ziehen es, wenn es, obzwar in blässerem
Abbilde — vorausgesetzt nur, daß es überaus vorzüglich,
durch Musik oder, wie hier, durch die Malerei, hervor-
gerufen — uns vorgeführt wird, dem wirklichen, dem
starken, dem Naturmeere vor. . . und ein solches Ge-
fühl ist es, das den Wirkungen des starken, manchmal
barbarischen und brutalen Monet diejenigen des feinen,
silbrigen, alles in der Natur aber empfindenden und
durchkostenden Degas vorzuziehen lehrt.

-t-

Uff! Das war eine Aufgabe! Und hier am won-
nigen Strand!

Das Theoretisieren und Spintisieren pflanzt sich wie
eine Krankheit in uns fort, und es verläßt uns nicht die
Neigung dazu, selbst wenn wir im Grase liegen und
nichts thun wollen.

Und wüßte ich jetzt nur wenigstens einen Schluß ?
Damit ich dich, mein lieber Leser, zu deiner und meiner
Erholung verlassen kann?! Warum habe ich nicht vierzig
Jahre früher diese Reise angetreten; wie gut es dann
gegangen wäre, sowohl den Schluß als eine Voranzeige
des weiter nun Kommenden zu geben, man ließe einfach
den Postillon antreten, der mit abgezogenem Hute auf
euch, die ihr am Strande von Biarritz ins Spintisieren
versunken seid, mit den Worten zuträte:

^Earacclio, 8süor (bei allen Göttern, mein Herr),
wir müssen nun abfahrcn; auf nach Spanien!"
 
Annotationen