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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Heilbut, Emil: Aus Spanien
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0343

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270 Aus

zur Seite hatte man eine mehrere Reihen breite Anlage
von Bäumen, wie sie auf Porträten von Velazquez Vor-
kommen, über ihnen erhob sich in der Ferne die bläu-
liche Gebirgskette in den sehr Hellen Himmel, und durch
ihre Zwischenräume hindurch nahm man jenseits des
Flusses die Kathedrale wahr, ihre beiden Türme sehr
zart und fast rosa beleuchtet auf dem blaustumpfen Nacht-
himmel. Und auf dem Thor, unter des Hb Michael
Schutz, begrüßte des bärtigen Cid Statue den Wanderer.
Von der Kellnerin des Gasthofes — la Rafaela hieß er
und sie nannte sich Miraflorcs, verlangte ich noch eine
Postkarte; Streichhölzer brachte sie mir indessen und indem
ich meine noch mangelhafte Aussprache im Spanischen be-
klagte, würde ich die erste Nacht auf diesem Boden dennoch
gut eiugeschlafen sein, wäre nicht gegenüber eine weibliche
Stimme, die ein höchst starkes, wenn auch wenig erfreu-
liches Kaliber hatte, mit Kadenzen laut, sehr laut ge-
worden, es wurde ein Scharren mit dem Fuße dabei ge-
hört, zum Schlüsse gewitierartiger Beifall, dann war es
plötzlich still und ich schlief ein.

Der Marktplatz von Burgos wirkt wie ein Gemälde
von Alex. Wagner. An den Ecken des Platzes sieht man
seine Bilder aufgebaut, deren Treue einem hier zu
bewundern obliegt. Sehr schwarz die Schatten, grell
das Licht und die Gesichter ehern, regelmäßig und
nüchtern. Dennoch muß man sagen, daß dies wahr-
scheinlich dieselben Gesichter sind, die das spanische Mittel-
alter gesehen hat und die es nur durch den Glanz seiner
Poeten hob und schmückte.

Und was von der Kathedrale sagen? Ist auch sie
durch den Glanz der Poeten geschmückt worden? Ich
drücke mich gewiß falsch aus: ihren Schmuck auszu-
drücken und übertreibend zu schildern, waren Dichter
weder notwendig noch wären sie dessen im stände ge-
wesen, es wuchert der Schmuck und die Übertreibung in
diesem Raum schon an sich, aber hat man die Schönheit
nicht zu hoch angesetzt? Lassen Sie mich gestehen, daß
mich eine Art von Unlust befiel vor diesem überreichen
Innern, daß ich des gotischen Stiles satt wurde, den diese
Kirche hat, daß mich ihre Gitter, Schnitzereien, ihre Höhen,
Breiten, ihre Tiefen, nicht so fesselten, wie das Innere
weniger berühmter gotischer Kathedralen, besonders im
nördlichen Frankreich mich gefesselt, mich entzückt haben;
die Notre-Dame in Paris, die weit entfernt ist, das beste
Muster des Stiles zu sein, hat mich in Entzücken versetzt,
auch durch ihr Inneres, und just diese Kathedrale läßt
mich mehr als kalt, macht mir Pein.

Mir scheint, das Stilgesetz der Gotik verlange vor
allem, daß Einfachheit sei, wenn auch mit dem zierlichen
Detail und Spitzenwerk so umgegangen wird, daß es
in der Nähe glücklich belebt, von Weitem aber in dem
Strengen und Erhabenen des Ganzen verschwindet. Wenn
nun das Spitzenwerk gröber und stärker wird, ich möchte,
um deutlich zu sein, fast'sagen, Wenn die gotischen Spitzen
„dick" werden, die strenge Konstruktion des einfachen in
die Höhe Strebens der Wände gleichzeitig sich ändert und
gewisse dreieckige Flächen mächtig im Innern oben sich
vorbauen, eine üppige und reiche Konstruktionsweise da-
durch uns vorführend, dazu Fensteröffnungen wie hier im
Innern der Laterne, die etwas schon von der Komposition
der Renaissance athmen — dann wird jenes Gefühl der

sianien

Bewunderung nicht bei dem Nordländer cintreten, für den
die Wirkung der Gotik identisch ist mit einem Eindruck
der Stille, der Strenge, des Ernstes, kurz des Mittelalters.
Diesem Eindruck wird nicht durch die großen Dimensionen
der Bauwerke entgegengetreten, denn selbst der Kölnische
Dom, bei aller berauschenden Wirkung durch Größe, hat
etwas Einfaches und Erhabenwürdiges, das sich in unsrer
Seele in einer großen Intimität der Wirkung spiegelt,
Während die spanische Gotik wie ein Widerspruch zu unsren
Gedanken von Gotik erscheint und zwar in so hohem
Grade, daß ich, wäre es gestattet, sagen möchte, sie ist ein
Barockstil der Gotik, ein vorgeahnter Jesuitenstil ohne die
Jesuiten für die gotische Kirche, sowie für die Kirche der
späten Renaissance ein alle Renaissancewirkungen bis zum
Ueberdruß abspielender Jesuitenstil aufkam, ja weit schlimmer
als dieser wirkliche Jesuitenstil, da dieser dekorativ glänzt,
ohne mit dem Ursprung seines Stiles dadurch zu sehr in
Widerspruch zu treten, während der spanische Spätstil der
Gotik dem erhabenen Frühstil der Gotik in Frankreich und
Deutschland in einen Kampfgegensatz, in einen Gegensatz
des Charakters tritt. Aber ich bin Laie, vollkommen
Laie in der Architektur und beschränke mich darauf, zu
sagen, daß mir die Kathedrale nicht zugesagt hat. Auch
glaube ich, solch ungeheuren Bauwerken gegenüber, welche
die Phantasie einer ganzen Nation in Spannung gehalten
haben, sei es nicht nur ungeschickt, sondern ungerecht, der
eigenen Subjektivität zu viel Spielraum zu lassen —
vielmehr müssen solche nationalen Denkmäler der natio-
nalen Phantasie entsprungen betrachtet werden und sind
demgemäß, ohne Liebe und Haß, ohne ästhetische und
subjektive Schätzung, als das zu betrachten, was sie sind:
historisch und Denkmale.

Ich brauche wohl nicht zu bemerken, daß die roman-
tischen Schriftsteller, wie Gautier, und diejenigen, die nach
Sensationen gehen, wie Edmondo de Amicis, wohl aus
ganz denselben Gründen, die mir die Kathedrale weniger
wert machten, sie bis zu den Wolken erheben; ist doch der
romantische Gesichtspunkt so häufig mit dem intimen in
Widerspruch und findet sich zufrieden in allem, was derb
aufgetragen, was exzessiv ist. Die kämpfenden Extreme
und das Herausfordernde zogen sie an, und in dem Ent-
husiasmus der guten Romantiker mag viel von der Oppo-
sition gegen die Überlieferungen der Einfachheit und Mäßi-
gung enthalten gewesen sein. Ist Gautier doch auch von
dem Talent Goyas, einem Talent, das vielleicht nicht
genug anerkannt ward, dermaßen begeistert, daß er ihm
eben so viele Seiten seiner Schilderung widmet, wie dem
großartigsten Museum der Welt, dem Prado, Zeilen.

Vielleicht aber trug dazu auch etwas andres bei:
die Unmöglichkeit selbst für Gautiers außerordentliche Kraft
und Genialität des Schilderns, diesen Wundern gerecht
zu werden. Ich schreibe diese Zeilen bereits im Angesichte
derselben, und im Katzenjammer des Schriftstellers, der
sich nicht im stände fühlt, die Wunder Velazquez',
Titians, Giorgones, Dürers auch nur in der aller-
schwächsten Verdünnung vorzuführen. Man ist geblendet,
wenn man in diese Sammlung Antritt und berauscht,
wenn nian sie verläßt. Sie ist wie ein Wunder und
liegt wie ein Wunder in einer sonnigen, wie verzauberten
Gegend mitten innen. In der That, wenn ich mich, einen
Moment, der andringenden Bilder mich zu erwehren,
unten im Kellergeschoß einer der geöffneten Thüren näherte,
welche nach dem Hofe führen, dessen Gras in der Sonne
 
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