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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 7.1891-1892

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Vacano, Emile Mario: Kollaboratoren: ein Apropos
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https://doi.org/10.11588/diglit.10735#0363

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von L. M. vacano

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ohne Staffage wäre sie ein Prachtbild gewesen! Und
Sammtbreughel ist hier unfehlbar der Hauptmaler),
in welche Rottenhammer seinen Philippus hineinversetzte,
welcher den Eunuchen tauft; oder die süßdämmerige,
stille, einsame, erquickende Gegend, in der Rottenhammers
„Heilige Familie" rastet, oder die erschütternde Dekoration
Sammtbreughels (wer möchte ihn da noch Sammt-
breughel nennen?), wo Rottenhammers Christus die armen
Seelen aus dem Fegefeuer rettet?

Ein Kollaborationsbild im größten Style, wo die
Mitarbeiterschaft schon bedenklich in die Schöpfungen der
Mosmkarbeiter hineinspielt, ist das große Bild von Gon-
zales Cocs (geboren in Antwerpen 1614 (?), gestorben
daselbst 1684), das „Eine Gemäldegalerie" darstellt. Ist
das Bild wirklich von Cocs? Beileibe nicht. Nur die
Besucher dieser Galerie sind von ihm gemalt. Die Archi-
tektur aber ist von Wilhelm von Ehrenberg (1630—1676),
die „Drei Nymphen" links sind von Jonnes de Duyts
(geboren 1628) gemalt, die Marine darin ist von Jan
Peeters (1624-—1677?), das „Tote Wild" von Peeter
Gysens (1621—1690 oder 91), „Venus und Adonis"
von Gaspard Jacob von Opstal junior (1654—1717).

Ein Gegenstück dazu ist der „Ball am Hofe Alberts
und Jsabellas" von Frans Francken junior (geb. Ant-
werpen 1581, gestorben daselbst 1642), in welchem sieben
Porträtfiguren von dem berühmten, zum Franzosen ge-
wordenen Antwerpener Frans Pourbus junior (1570 bis
1622) herrühren. Mit solchen Bildern hat naturgemäß
das Ende der Mitarbeiterschaftsbilder begonnen, welche,
wie gesagt, kaum eine Stufe höher als das Kunst-
Handwerk der Mosäikarbeiter stehen.

Einen Übergang, ein Mittelding, möchten wir jene
Bilder nennen, welche lange Zeit für Werke des einen
Meisters galten, während man sie später als das Werk
eines andern erkennen mußte. Nicht immer ist das ein
einfacher Irrtum gewesen. Wenn nicht geradezu Mit-
arbeiterschaft vorhanden war, so spielte doch die Malweise
des einen Künstlers maßgebend in die des andern hinein,
und die Bilder wurden wohl in vielen Fällen von dem
einen schon in der Absicht gemalt, für ein Bild des
andern zu gelten, um damit augenblicklich höhere Preise
zu erzielen.

So hat z. B. Cornelius Lelienbergh (1626—1672
in Haag) „Totes Geflügel" gemalt, welches keinen Käufer
fand. Man verwandelte also seine Unterschrift aus dem
Bilde in die Unterschrift „Derck de Heem", eines
Malers, der niemals existiert hat!!!

Das Verändern der Unterschriften auf Bildern war
überhaupt zu jener Zeit gang und gäbe.

Ein Bild von Johannes ver Meer (Delft 1632
bis 1575) war nicht gut verkäuflich, oder ein Amateur
wünschte momentan einen Maes? Gut, die Signatur des
Malers wurde in N. Maes (gest. Amsterdam 1693, er
war ein geborner Dordrechter) verwandelt.

Man denke, wie sehr damals die Künstler und die Kunst-
händler gefällige Sklaven des Handelsmarktes waren! Tie
Ünterschrift des besseren, edleren Künstlers, dessen „Ansicht
von Delft, vom Rotterdamer Kanal aus" ein Juwel ist,
wurde mit der Unterschrift eines minder bedeutenden
Malers übermalt, vielleicht vom eigentlichen Maler selber,
weil — der erstere gerade in der Mode war, oder weil
ein Käufer einen Maes wünschte!

Damit ist auch der verblüffende, in neuester Zeit
erst aufgekommene Ümstand erklärt, daß mehrere (ich sage
nicht die meisten!) Rembrandts, die man bis heute als
die Meisterwerke dieses populären Genius bewunderte,
heute als die Arbeiten von Ferdinand Bol erkannt
worden sind, seines Lieblingsschülers. Rembrandt selber
(oder seine Verkäufer?) hatten einfach den Namen des
Meisters über den seines mehr als ebenbürtigen Schülers
gesetzt! — Verlieren diese Bilder dadurch an Wert? Gewiß
nicht. Denn alle echten Gemäldeliebhaber stimmen heute
darin überein, daß Ferdinand Bol in mancher Beziehung
den durch Not und Verstimmung und Gemütskrankheit
erschöpften Rembrandt übertraf. Vor allem war die
Begabung der beiden, oder vielmehr die Art dieser Be-
gabung eine grundverschiedene. Die Wage sinkt da nicht
immer zum Vorteil Rembrandts. In der That, nimmt
man die schönsten Rembrandts: seine weltberühmte
„Anatomische Vorlesung" im Haag nicht ausgenommen,
seinen „Simeon im Tempel", die meisten seiner Bibel-
bilder — in keinem derselben findet sich Ferdinand Bols
Durchgeistiguug der Idee, dramatische Kraft, tiefe Indi-
vidualisierung und höhere Schönheit. In dieser Be-
ziehung kann sich kein Bild Rembrandts mit Ferdinand
Bols hinreißendem Stimmungsbilde: „Jakobs Traum"
(Dresdener Galerie) vergleichen, das so schlicht und er-
haben zugleich ist? Oder welches kann sich an Charakter-
tiefe der einzelnen Personen, an ergreifender Seelen-
wahrheit mit dessen „Uriasbrief" (ebendaselbst) messen?
Rembrandt ist stets mehr theatralisch, nie so dramatisch.
Seine höhere Wahrheit besteht in der Beleuchtung, in
der Stimmung des Ganzen, in geheimnisvollen Düften,
Tönen und Schatten, die von unvergleichlicher Wirkung
sind. Ferdinand Bol dagegen ist ein Charakteristiker.
Die Seele durchbricht sein Helldunkel stets mit sieg-
reichen, sonnigen Strahlen. Die Bilder Bols von denen
seines Meisters zu unterscheiden, ist für echte Liebhaber
leichter als man glaubt. Und von einer Täuschung des
Publikums im großen Maßstabe, wie man sie Plötzlich
annehmen will, kann deshalb schon im vorhinein keine
Rede sein. Es mag viele Bilder Bols geben, auf welche
die Testamentsexekutoren Rembrandts oder Besitzer seiner
letzten Bilder den Namen des Meisters über den seines
Schülers pinselten, um „bessere Preise zu erzielen". Und
es mag viele Bilder Rembrandts geben, die er durch
seinen Schüler Bol vollenden ließ, da ihm selber Zeit, Lust,
und in letzter Zeit wohl auch die seelische Fähigkeit dazu
fehlte, und die That Bols war in diesem Falle eine That
der Dankbarkeit einer echten Künstlerseele, welche dem-
jenigen, der den Genius in ihm gepflegt hatte, alles zuschrieb,
was er selber war und konnte. Wir mögen also gar
manches Kollaborationsbild von Rembrandt und Bol
besitzen, welches unter dem alleinigen Namen Rembrandts
läuft; aber wie gesagt, diese beiden Begabungen: die der
Farbenstimmung und der Beleuchtung bei Rembrandt,
und die des dramatischen Lebens und der poesievollen
Charakterisierung bei Bol ist allzuleicht von einander zu
unterscheiden, um ineinander zu fließen und verwechselt
werden zu können! Das Werk Rembrandts, das Total-
werk seines ganzen Lebens ist denn doch ein absolut
anderes, scharf für sich allein bestehendes, gegen das
Lebenswerk Bols. In diesem Sinne sind sie niemals
„Kollaboratoren" gewesen.
 
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