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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

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Braunmühl, Clementine von: Der Hausfrau Leinenschrank, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0421

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Der itzaußfran Tcinenscljranll.

d.*) Der Schmuck des Linnen.

Jeder Schmuck muß auf innerer Wahr-
heit begründet sein, muß aus einem
ästhetischen Bedürfnis hervorgehen. Dieser >
ursprüngliche Schmuck besteht für sich und!
umgiebt die zu schmückenden Gegenstände
losgelöst von denselben. Wir streuen Blumen
auf den Weg bei dem Einzug eines Herrschers
oder Siegers; wir befestigen an den Psorten,
durch weiche Gefeierte jeder Art in die für
sie bereiteten Festesräume einziehen, mit
Kränzen, Gewinden und Emblemen. Wenn!
die Schisser ein Fest feiern, schmücken und
bekränzen sie ihre Ruder und Nachen, die j

Jäger ihre Büchsen, die Schäffler ihre Fässer.
Je nach der Art des zu schmückenden Gegen-
standes, oder je nach dem Zweck des Schmuckes
ändern sich die Materialien, aus welchen er
besteht. Eroberte Geschütze werden nicht
mit Rosen, sondern mit Lorber und Eichen-
laub geschmückt, bei einem Musikseste werden
die Festesräume mit Musikinstrumenten, bei
einem landwirtschaftlichen mit Feldfrüchten
und Ackergeräten geziert.

Diese ursprüngliche, mit dem bewegten j
Leben und dem augenblicklichen Bedürfnis
zusammenhängende Art zu schmücken, diese
lose, fragile Augenblickszier, wurde allmälig ^
zum feststehenden bleibenden Ausdruck der
Festesfreude, zum monunientalen Schmuck >
des gewerblichen Produkts und stempeln ^
dasselbe zum kunstgewerblichen Durch die ^
enge, unlösbare Verbindung des Schmuckes
mit dem zu schmückenden Gegenstände, hat ^
sich ersterer dem letzteren anzupaffen und
unterzuordnen, der Gegenstand bleibt immer
Hauptsache, der Schmuck steht in zweiter
Linie. Er hat sich anzupassen: dem Zweck,
dem Material und der Technik des Gegen-
standes. Zuweilen geht ein Schmuck auch
geradezu aus einer technischen und stoff-
lichen Notwendigkeit hervor, d. h. technische
und stoffliche Notwendigkeiten werden in
Schmuck umgcwandekt. Unsere Besprechung
des geschmückten Linnen wird uns diese Ge-
setze klar machen.

») L. stehe Heft 17.

In der „romantischen Ritterszeit" woben Falle die Leinwand, nicht mit losen Faden-
die edeln Frauen selbst. Ihr Webstuhl war enden, sondern mit dem abgeschnittenen Ge-
eilt sehr primitiver. Sie fertigten die Lein- webe abschließt. Da ist das sofortige Aus-
wand zu einem etwas größeren daraus zu fransen unvermeidlich und um es zu ver-
verarbeitenden Gegenstände nur von der hindern biegen wir den Stoff um, so daß
Länge desselben. Die Kettfadenenden, die die abgeschnittenen Gcwebsfäden nicht mehr
auch jetzt noch an jedem Leinegewebe am sichtbar sind und nähen dieses umgebogcne
Anfang und Ende desselben undurchschossen Ende mit dem übrigen Stoffe fest. Diese
hängen bleiben, da mit dem Durchschießen Prozedur fordert also eine Naht. Naht und
weder am äußersten Kettfadenende ange- Saum sind technische Notwendigkeiten, die
sangen, noch bis zum Schluß desselben fort- künstlerisch verwertet werden können. Wir
gewoben werden kann, bilden eine einfache verwerten sie auch; entweder, besonders in
Franse. Ihr Verknüpfen unter einander der Stickerei, tatsächlich, oder in der Weberei,
macht sie zum Schmucke. Dieses Verknüpfen symbolisch.

ist aber wie die Franse selbst auch wieder Die genähte Ziernaht, den Hohlsaum,

technische Notwendigkeit, da sich ohne das-
selbe die letzten Schußfäden durch den Ge-
brauch allmälig von dem Gewebe loslösen,
sogenannt „ausfransen" würden und durch
die Knoten der Kettsäden festgehalten bleiben.
Wir haben in dieser einfachen Leinefranse
der altdeutschen Gewebe, wie wir sie jetzt
auch so gerne wieder für unsre Tischtücher
benützen, den stilgerechtesten Schmuck. Diese
Franse darf aber nicht um das ganze Tuch
herumlaufen, also nicht auch an den Seiten
des Selbenden oder Salbandes, da diese
immer festkantig abschließen, sondern nur
an den Querseiten des Gewebes. Bei doppel-
breiten Leinedecken mag ringsum eine Leine-
franse ausgezogen werden. Hier wissen wir,
daß die Leinwand nicht mehr auf dem pri-
mitiven Handwebstuhl als Stück für sich
gewoben sein kann, sondern ein Teil eines
auf dem Jacguardstuhl hergestelllen großen
Stückes Leinwand ist, an welchem von Hause
aus nie lose Kettsäden hingen. In diesem
Falle ist die Franse nur noch Reminiszenz
an eine ehemals technische Notwendigkeit.
Eine an ein Leinegewebe angenähte
Franse ist jedoch immer stillos.

Durch die aus der Leinwand hervorge-
gangene Franse ergiebt sich aber noch ein
andrer Schmuck. Oft wünschte man zu
einer reichen Verknüpfung noch längere lose
Kettfadenenden, als die durch die Weberei ent-
standenen; man zog also noch eine Anzahl
Schußfäden ans und bildete daraus ein
wechselndes System von Verknüpfungen.
Dieses Ausziehen der Schußfäden zum
Zwecke des Schmuckes konnte jedoch auch in
die Leinwand hinein verlegt werden, so daß
ein Stück undurchschossener Kettsäden, oben
und unten von fester Leinwand begrenzt,
entstand. Diese Kettfäden konnten nun, La
sie keine losen Enden hatten, wohl nicht ver-
knüpft, aber durch Zusammenfassen in kleine
Strähne und Umnähen derselben, zu einem
Wechsel von kompakten Linien und Durch-
brechungen, folglich zu einem künstlerischen
Schmucke verwendet werden. Diese Arbeit
heißt: punto tirato, point tire, ärLeva worb,
Auszugarbeit. Alle Hohlsäume sind eine
solche Auszugarbeit und somit eine der
korrektesten und schönsten Zierden der Lein-
wand. Der Hohlsaum — er sollte wohl
richtiger heißen die Hohlnaht — führt uns
jedoch auf eine andre technische Notwendig-
keit und ihren Schmuck. Das ist der Saum
überhaupt. ^ .

Der Saum ist der Gegensatz der Franse;
! er tritt da auf wo ein Stoff, in unserm

habe ich schon genannt. Der Saum selbst
hat einen Schmuck nicht unumgänglich nötig;
durch seine doppelte Stosflagc zeichnet er
sich ohnedies schon aus. Er ist die feste
Umgrenzung, der Rahmen des Gewebes. Da
aber der Saum technisch nicht ringsnmlaufend
nötig ist, da das Salband nicht ausfransen
kann, so säumen wir auch den Querschnitt
der Leinwand dem Salband ähnlich, ganz
unscheinbar ein und bringen den künstlerischen
Schmuck von Saum und Naht ringsum nur
symbolisch an. Die korrekte Rand zier
eines jeden dessinierten fest abge-
grenzten Gewebes ist daher das
Saum- und Nahtsymbol und zwar der
Funktion eines jeden dieser beiden Faktoren
entsprechend, für elfteren der Ausdruck des
festen Umschließen?, also entweder eine Band-
verschlingung, ein mäandcrartiges, geo-
metrisches Schema, oder eine Reihung von
streng stilisierten Pflanzenformen. Die Naht
wird, da ihre Naturform ohnedies eine
strenge, geometrische ist, diesen Charakter
auch in der Kunstform beibehalten, sodaß
schmale Linien- und Punktmotive sie am
entsprechendsten ausdrücken.

Mit Franse, Naht und Saum haben wir den
Schmuck des Lcinegewebes genannt, der aus
der technischen Notwendigkeit hervorgeht und
sich am engsten an sie anzuschließen hat.
Ein weiterer Schmuck ist aber der frei ge-
wählte.

So wie bei festlichen Gelegenheiten Ruder
und Nachen und Büchsen und Fässer mit


Lemenwebcrei.

von A. H. L. rv estermann Söhne in
Vielefeld.
 
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