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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

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Zimmermann, Max Georg: Kritische Gänge
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https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0472

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von Mar Georg Ziininermann.

375

Mit der unserm Zeitalter eignen Spezialisierung
stellte sich die neue Kunst aus den Standpunkt des reinen
Sehens und erklärte nicht darüber hinausgehen zu wollen.
Dieser Ausgangspunkt muß im Auge behalten werden,
und er ist noch bei der größten Mehrzahl der Secessio-
nisten der herrschende. Während bei der älteren Kunst das
Sehen immer ein gewisses geistiges gewesen ist und das
Bild, das auf die Leinwand kam, nie ohne idcalisirende
Gehirnarbeit war, ist das Sehen der Secessionisten ein
zunächst rein körperliches. Das Auge kann, wenn es den
Vordergrund deutlich erkennt, nicht gleichzeitig den
Hintergrund deutlich sehen, genau so wie der gleich kon-
struierte photographische Apparat, darum sind auf den
Secessionistenbildern die Hintergründe immer ganz all-
gemein und nicht ausgeführt deutlich angegeben, über-
haupt immer nur ein Teil des Bildes bis zu voll-
ständiger Gegenständlichkeit dnrchgearbeitet.

Tie Kunst, welche vollständig von vorn begonnen
hat, ist in dem Fall einer archaischen Kunst, und man
kann von ihr schon deshalb nicht allseitig vollendete und
reife Leistungen erwarten. Nun aber ist sie noch in
dem besonders schwierigen Fall, daß sie die Kenntnis
vergangener Kunstepochen, die jeder Künstler ganz
ohne sein Zuthun bis zu einem gewissen Grade
erhält, nicht ohne weiteres vergessen und weg-
leugnen kann, daß dieselbe überall in ihr Schaffen
hineinspielt. Es fehlt ihr also von vornherein das
Naive, das sonst ein Zeitalter archaischer Kunst
hat, und ebensowenig ist das Publikum naiv,
mit welchem diese Kunst zu rechnen hat. In den
neuen Verhältnissen des deutschen Reiches hat es
eine solche Fülle von praktischer Arbeit gegeben,
daß die feinere ästhetische Bildung des Publikums
zum großen Teil eine sehr geringe ist und sich
z. B. nicht im entferntesten mit der Geschmacks-
bildung zur Zeit der romantischen Kunst und
Dichtung in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts
messen kann. Andererseits aber ist die Kultur
unserer Zeit eine durchaus raffinierte. So herrscht
auf der einen Seite Unkultur, auf der anderen
Übcrkultur bei Publikum sowohl wie beim Künstler.

Da ist es nicht zu verwundern, daß es der Künstler-
schar, welche, sich in das Primitive künstlich zu-
rückschraubeud, mit dem energischen Streben nach
einer Erneuerung der Kunst auftritt, durchaus an
sicherer und zielbewußter Haltung gebricht, und
daraus sind die vielen Absonderlichkeiten zu er-
klären, welche die neue Kunstrichtung mit sich bringt.

Wir befinden uns in einer Epoche künst-
lerischer Revolution, in welcher vieles niederge-
rissen und zerstört wird, was besser bestehen bliebe,
und worauf die Kunst schließlich wieder wird zu-
rückgreifen müssen, aber nur auf diese Weise ist
es möglich, eine Kunsterneuerung herbeizuführen.

Tie Tendenz zum Primitiven spricht sich z. B.
aus in der Vorliebe vieler Künstler für bäuerische
Farben. Der Führer der Secession Fritz v. Uhde
hat dieselben in seinen beiden Mädchen, welche
lesend an einem Gartentisch sitzen. Das Blau,

Rot und häßliche Violett der Kleidung, die derben
roten Backen, das scharfe Grün der Bäume stehen
hart nebeneinander. Die künstlerische Arbeit jdes
Malers besteht darin, die Disharmonie einheitlich

zu machen. Ihm folgt darin Paul Schröter. Derselbe
stellt Szenen von Bauernkindern dar in bunt angestrichenen
Bauernstuben. Man muß, ich möchte sagen, geblendet von
den harten Farben, erst genau zusehen, ehe man die hervor-
ragende Begabung dieses jungen Künstlers zur Mcnschen-
schilderung entdeckt. Die charakteristische seelische Be-
lebung der Gesichter ist vortrefflich und der Künstler
würde gut daran thun, ein größeres Gewicht auf
dieses Talent zu legen. Auch Ankarcronas Bilder
haben, so wahr die Beobachtung des Lichtes ist, meist
etwas Gesuchtes und Übertriebenes in der Farbengebung
(s. S. 372). Hierl - Deronco malt seine Heilige mit
schwärzlicher Gesichtsfarbe, und ist oft recht grob in der
Farbenwirkung: daß er einer feineren Harmonie fähig ist,
zeigt sein Madonnenkopf in Pastell vor einem Hinter-
gründe von lila Blüten. Olde hat seine Schneeland-
schasten so kräftig hingcspachtelt, daß sich ein Standpunkt
zur Betrachtung der Bilder überhaupt nicht finden läßt.
Die Künstler werden oft aus den Abweg geführt, dem
Beschauer etwas vorzumachen und eine Marotte für
geistreich zu halten. So hat Kalkreuth in seinem
aus einem gleichmäßig braunen geackerten Feld und

Wuckel. von Ls. Schlittgen.

Internationale Kunstausstellung des Vereins bildender Künstler zu München ^8ZZ.
 
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