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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 9.1893-1894

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Fischbach, Friedrich: Die Kunst im Hause
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https://doi.org/10.11588/diglit.11970#0106

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Vie illuster brr weiblichen tzandsrüeilrn-

von Friedrich Fischbach (Wiesbaden).

/Lin volles Menschenalier ist verflossen,
^ seitdem mein erster Entwurf für einen
stilistischen Altarteppich von den Frauen
und Jungfrauen meines Heimaiories Dens-
berg gestickt wurde, vr. Franz Bock hatte
den Anfang gemacht, eine edlere Ornamentik
zur Ausstattung des Altars und der geist-
lichen Gewänder zeichnen und sticken zu
lassen. Selbst berühmte Maler, wie die
Professoren Lcssing und Schrödter in Karls-
ruhe, zeichneten damals Arabesken für Stick-
muster, um den Damen die naturalistischen
Kreuzstichmuster zu ersparen. Museen gab
es noch nicht und wenn eine Stickerei aus
einer alten Kirche oder aus dem Orient
als Schaustück gezeigt wurde, so wunderte

man sich, daß es Zeiten und in fernen
Ländern wenig gebildete Frauen gab, die
so viel Mühe an Arbeit verschwendeten,
deren Technik viel zu mühsam und rätselhaft
für die moderne, hohe Bildung sei. Man
strickte, häkelte und zählte vom Netzpapier,
wie viel Stiche die treppenartig sich auf- l
bauenden Konturen der Rosen und Nasen
und Stirnen der Ritter und Burgsräulein
hatten und schattierte die Rosen und Wangen
mit allen möglichen und unmöglichen Nu-
ancen der Stickwolle und Seide. Auf ein-
mal kam ein frischer Windhauch und fegte
die Kanevasstickerei weg. Der historische
Sinn war erwacht und populär geworden.
Man gründete Kunstgewerbe-Museen und
klassifizierte der Großmütter und der Urgroß-
mütter Arbeite» und zwar mit der Ber-
ebrung, daß das älteste das kostbarste sein
muß. 1869 erschien mein Stickerei-Album,!

dem bald meine Publikation der südslavischen
und ungarischen Hausindustrie-Ornamente
folgte. Die Stuttgarter Gewerbehalle mit
den anregenden Artikeln von Jacob von Falke
hatte schon ein Jahrzehnt hindurch die Saat
ausgestreut, die bald in schönster Blüte
stehen sollte. Nun traten auch die die
Technik studierenden und bald sie beherrschen-
den Damen in die Arena und führten das,
was in stillen Klöstern in Aachen und Wien
verborgen gepflegt war, aus der Kirche ins
Haus und bald auch auf den Markt. Ich
hatte längst die schönen Stickmuster, mit
denen Holbein seine Bilder schmückte, ge-
zeichnet, als die geniale Frau Emilie Bach
in Wien die Holbein-Technik lehrte und den
Nimbus dieses Alt-Meisters durch dieses
neue Wort erhöhte, denn gar viele glaubten,
Holbein habe erfunden, wie man mit der
Nadel treppenartig den ersten, dritten,
fünften rc. Stich macht und dann den
zweiten, vierten, sechsten Stich ec. nachholt.
Mit Fräulein Therese Mirani leitete Frau
Emilie Bach die höhere Stickereischule in
Wien, die mustergültig für alle ähnlichen
Institute wurde und auch noch ist. Es sei
gestattet, dem nachzuspüren, was den Vor-
zug dieses Institutes bedingt. Es war das
große Verdienst des Museumsbegründers
R. v. Eitelberger, daß er den österreichischen
Kaiierhof und die Erzherzöge für die idealeren
Aufgaben des Kunstgewerbes zu begeistern
wußte. Dadurch erzielte er die großen
materiellen Unterstützungen, welche er-
möglichten, daß die kostbarsten Stickereien
entstanden. Der Impuls, klassisch schöne
Jnnen-Dekorationen zu schaffen, ist auf die
berühmten Architekten Hansen, Ferstel und
Schmidt und auf den Maler Lausberger
zurückzuführen. Nirgendwo waren also so
günstige Bedingungen wie in Wien, wenn
auch gewiß höchst bedeutende Leistungen in
anderen Städten zu verzeichnen sind. König
Ludwig II. gab großartige Aufträge, aber
es sind diese Prunkarbeiten sür die Münchener
Entwickelung insofern gefährlich geworden,
als viel zu früh das Rokoko-Ornament die
strengere Renaissance ablöste. Was einigen
Meistern glückte, verwilderte in der trivialen
Nachäfferei. Die Schulen in Karlsruhe,
Nürnberg (geleitet von Frau M. Beeg, geb.
Freiin von Äufseß) und einzelnen Stickerinnen
wie Frau Elise Bender. Frl. Seeliger, Frau
Schiffmann, Frau Meher rc. verbreiteten
den Ruf der deutschen Stickerei auf allen
Ausstellungen. — Von großer Bedeutung
wurden die beiden Modeblätter „Bazar" und
„Modenwelt", die von Berlin aus weit über
die Grenzen Deutschlands hinaus die Vor-
lagen für Handarbeiten verbreiteten. Pro-
fessor vr. Julius Lessing sammelte die
Kreuzstichmnster der altdeutschen Modell-
tüchlein und gab dieselben in der Modenwelt
im Verlag von Fr. Lipperheide heraus.
Es war eine streng wissenschaftliche und
zugleich praktische Publikation. Leider fehlte
die Farbe. Diese veranschaulichte eine Stick-
muster-Publikation, welche die Zwirnerei
Nahsadenfabrik Göggingen bei Augsburg
der Damenwelt gratis bot und »och Jahr
für Jahr fortsetzt. Seit lö Jahren legt
diese Firma ihren Garnpacketen solche Vor-

lagen gratis bei und zwar zirka 1 Million
per Jahr. Als die Anfrage kam, welcher
Art Reklamebildchen der englischen Kon-
kurrenz gegenüber zu bringen seien, schrieb
ich damals: „Bringen Sie das, was eine
Dame für Handarbeiten sich gern sammelt
und nicht das, was nach flüchtigem Schauen
weggeworfen wird." Die fleißigen deutschen
Frauenhände wollen nicht rasier. Das
frühere Spinnen und Weben soll einiger-
maßen durch Sticken und Häkeln ersetzt
werden. Der Handarbeitsunterricht wurde
an allen Mädchenschulen eingeführt, und es
entstanden zahlreiche staatliche, städtische und
Privat-Frauen-Erwerbsschulen, in denen
jede noch so schwierige Technik der Stickerei
gelehrt wird. Doch ist bei so vielem Licht
die Schattenseite nicht zu übersehen. Wenn
etwas „Mode" wird, so stellt sich neben
der Kunst, welche den Idealen zustrebt, die
Gewinnsucht und die flatterhafte Laune,
welche den Prunk, den Wechsel und die
Unsolidität bevorzugen. Große Geschäfts-
häuser bemächtigten sich der Strömung.
Es dauerte nicht lange, so war das am
Gesuchtesten, was von ungeübten Händen
schnell und billig gemacht werden kann.
Der Markt wurde mit angefangenen
Arbeiten überschwemmt, die bequem zu
vollenden sind, denn besonders zu Weihnachten
blühen die Stickerei-Geschenke. Die edlen
Ornamente verlangten zu viel Können und
Ausdauer und machten zu wenig Eindruck.
Blätter, Früchte, Tiere, Kinder und Engel
tollten auch in der Stickerei mit der freien
Kunst wetteifern. Es war nur der Unter-
schied, daß die Trivialitäten, die früher in
farbiger Wolle mit dem Kreuzstich ver-
brochen wurden, jetzt in Leinen mit dem
Stil- und Plattstich blühten. Was schön
und lobenswert, wenn es von geübter Hand
Mtt Geschmack zur Zimmerdekoration ver-
fertigt wild, wird unleidlich, wenn es rohe
Stümperei und an Unrechter Stelle plaziert
ist. Wer ist für diesen Rückschlag verant-
wortlich zu machen? Ich finde den Krebs-
schaden in der geschäftlichen Organisation.
Es stürzt sich die Spekulation auf jeden
neuen Artikel und auf jede künstlerische
Strömung. Ist ein Berufener der Führer,
der mit Kenntnissen, Geschmack, Ausdauer,
Kapital rc. den Markt beherrscht, so gewinnt
die Kunst eine große Förderung, denn ein
solcher Großindustrieller leitet mit Hilfe
tüchtiger artistischer und technischer Kräfte
den Markt. Leider giebt es nur selten
solche Verleger für die kunstindustriellen
Produkte. In der Regel finden wir die
schnelle Gewinnsucht, die in der Kunst nur
die milchgebende Kuh sieht. Nicht was die
Künstler und die feinste Kundschaft bevor-
zugt, sondern die billige Massenware, die
der Ungebildete wählt, wird das Ideal.
Die Zeichner müssen sich überbieten, um
im Trivialen und Billigen, was schnell zu
sticken ist und wenig Geschicklichkeit erfordert,
Sensationelles zu erfinden. „Wie können
Sie uns so Veraltetes einsenden," schrieb
eine Firma, als ihr ein schönes Renaissance-
Muster vorgelegt wurde. Zehn Jahre früher
hätte dieselbe Firma dankend dieses Muster
angenommen. Jährlich Sensationelles, ob
 
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