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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 9.1893-1894

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Fischbach, Friedrich: Die Kunst im Hause
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https://doi.org/10.11588/diglit.11970#0187
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Vie Muster der weiblichen Hsndsrklcilen-

von Friedrich Fischbach (Wiesbaden).

II.»

>t noch so vielen gestickten Pantoffeln
und Zierdeckchcn wird die Kunst im
Hause wenig gefördert. Wer nicht fühlt,
was Harmonie ist, kann durch Prunk
und vielerlei Zier mehr verunstalten als
dekorieren. Wenn erst dasselbe liebevolle
Interesse der Wohnung geschenkt wird als
dem Aufputz des eigenen lieben Jchs, dann
wird auch die Kunst im Hause Herzenssache.
Nur durch hingebendes Studium erlang!
man die Lösung der Frage: Wo und wie
soll oie Handarbeit Sie Wohnung verschönern?
Rezepte für Farbenharmonien taugen nichts,
denn der Kopf soll wohl das Geschaffene
korrigieren, nicht aber das Gefühl ersetzen.
Übung und Nachdenken und Vergleichen
führen zum Ziel. Mißlich ist auch die
Frage nach dem Zukunslsstil. Dis Texiii-
kunst blüht um so mehr, je weniger der
Architekiurstil durchklingt. Die ägyptisch-
griechischen Wirkereien aus den ersten Jahr-
hunderten zeigen unter anderen auch streng-
gotische Ornamente, die also 1000 Jahre
vor der Gotik entstanden sind. Damit ist
aber nicht gesagt, daß das Unslilistische
gelten soll. Man hüte sich nur, wahllos
das zu kopieren, was für andere Lebens-
verhälimsse, die im Gegensätze zu den unsrigen
stehen, erfunden wurde. Die Hausindustrie-
Ornamente der Bauernstuben werden wir
z. B. ummodeln müssen, da wir ja nicht
unsere Wohnung zur Bauernstube machen
wollen. Dasselbe gilt von Kirchenstickereien
und den Prunkschnörkeln der Fürstenhöfe.
Gute Motive finden wir überall. Es ist
doch auch anregender, das eigene Schaffen
zu bethätigen, als nur zu kopieren. Der
jetzt so gepriesene Naturalismus möge für
Einzelbilder von geübten Händen recht sehr
gepflegt werden. Maßgebend ist das japanische
Prinzip, die Plattstichfadenlage nach dem
organischen Wachstum zu richten. So ent-
steht eine natürliche Schattierung, die be-
sonderen Rei) hat. Wo aber die Gesetze
der Wiederholung zu beachten und wo eine
strenge Wahl der Formen und Farben ge-
boten ist, so daß man durch vornehme
Zurückhaltung und Vermeidung des Zu-
fälligen und Bedeutungslosen wirken will,
ist das slrengstilistische Ornament vorzu-
ziehen. Der Naturalismus möge dort nur
durch die Naturblume, sei es in der Vase,
sei es am Kleide, vertreten sein. Jede
Überhäufung durch gewebte und gedruckte
Naturblumen schädigt die Gesamtwirkung.
Leider ist die Symbolik in der Ornamentik
immer mehr zurllckgedrängt worden, seitdem
wir die Poesie gedruckt schwarz auf weiß
besitzen. In ältester Zeit war das anders.
Geht es auch nicht an, die alten Segens-
zeichen und die früheren Kultussymbole zu
sticken (aus welchen die Ornamentik ur-
sprünglich hervorgegangen ist), so sollte doch
das Verständnis der schönsten Formen vor-
handen sein, damit nach und nach wieder
eine moderne Symbolik sich entwickelt.
Japans herrliche Ornamentik besteht ledig-

» I. stehe Heft s.

lich aus Symbolen. Alles das giebt zu
denken, wenn wir den Zukunftsstil ersehnen,
oder aus dem jetzigen Wirrwarr in klarere
Bahnen einlenken wollen. Wir haben keine
führende Macht, welche stabile Ornamente
verlangt. Rechnen wir die Stickereien für
die Kirche und einige Uniformen ab, so
besteht die S'gnatur im stetigen Wechsel.
Was heute die vornehmste Dame trägt,
ahmen in billigerer Ware gleich die Dienst-
boten nach. Was in Seide und Sammt
für Prunksäle gewebt wird, erscheint bald
darauf in Wolle und gedruckt auf Kattun-
Weder Beethoven noch Richard Wagner
würden heute geehrt, wenn ihre Neuerungen
gleich im ersten Jabr hätten siegen müssen.
In dem jetzigen Ornamentverbrauch wird
das Genialste, wie gewöhnlich, am wenigsten
verstanden und sobald es einigermaßen An-
erkennung gefunden, gilt es bereits als
veraltet. Wie schon bemerkt, kann da der
Zeichner weniger eingreifen, als ein Groß-
industrieller, der mit Begeisterung und
großer Kapitalkraft so lange gegen den
Strom schwimmt, bis die bessere Kundschaft
gewonnen ist. Der Staat hat in Österreich
dieses segensreich unterstützt. Dort bekamen
die Gianis, Phil. Haas L Sökne rc. große
Aufträge, und halsen tüchtige Künstler mit.
Im glorreichen Deutschland soll in der
Regel der Paragraph am grünen Tisch
helfen. Unsere Krüik lobt in erster Reihe
das Ausländische und schweigt gern das
Einheimische tot. Die Bedeutung der Hand-
stickerei ist viel zu wenig erfaßt. Eben
weil die Hand die vollendenste, weil freieste
Technik besitzt, schafft sie die Vorbilder für
die Maschinenartikel. Sinkt die Handarbeit,
so fehlen diese Ideale. Reicher als gedruckte
Tapeten wirken gestickte. Wer den Speise-
saal im Hecht-Hotel in St. Gallen besucht,
findet dort das Problem gelöst, alle Wände
mit Stickereien zu bedecken. Der Saal
zeigt 28 reichgestickte Pilaster und oben
und unten ringsumlaufende Friese, welche
die Poesie des Weines und die Symbole
der Musik veranschaulichen. Kein Ornament
wiederholt sich. Der Auftrag des kunst-
sinnigen Hotelbesitzers hat die St. Galler
Kettenstichindustrte mächtig gefördert.

Ein besonderes Kapitel wäre der Teppich-
knüpserei und den Häkelarbeiten zu widmen,
denn diese Beschäftigungen gelten als die
nützlichsten. Die Konkurrenz mit den Er-
zeugnissen der großen Teppichfirmen ist nicht
ratsam, aber sehr zu empfehlen ist das
Knüpfen kleiner Teppiche, welche so hohe
Wolle haben, daß der Fuß wie in einen
Pelz versinkt. Die gehäkelte Spitze ist noch
immer die dauerhasteste und wird für den
Schmuck des Hauses, wie der Toilette, noch
mehr wie früher verwandt. Die farbigen
Garne und die Zwischensätze von Bändern,
sowie das Unterlegen farbiger Hintergrunds-
stofse haben die Toilette sehr bereichert.
Die großen Modeblälter sorgen für gute
Vorbilder, und werden solche auch in den
Garnpacketen Göggingens gratis geboten.

Es war meine Aufgabe, in Vorstehendem
einen Überblick über das Gebiet der Stickerei
zu bieten. Jede Ausstellung zeigt die Fort-
schritte der Technik, aber auch die Ziel-

losigkeit in der Wahl der Ornamente.
Stetigkeit und feinste Technik ist säst nur
in den Klosterstickereien zu finden. Für
diese hat jüngst Or. Bock als Neuerung
emaillierten Metallschmuck anfertigen lassen,
der die Stickereien ergänzt. Er nimmt an,
dieser Art sei das opus angMaiiuin gewesen,
von dem Schriftsteller des frühen Mittel-
alters belichten. Goldgewänder des Alter-
tums zeigten lediglich aufgenähte Gold-
plättchen und Famisgold, da der eigentliche
Goldfaden erst später vorkommt. — Bekannt-
lich ist über jegliche Technik der Stickerei
gar viel Archäologisches zu berichten. Heute
schließe ich mit der Hindeutung, daß die
stickenden Damen nie vergessen mögen, daß
die Spinne zu den wenigen Geschöpfen ge-
hörte, die von den Nekiartropfen naschten,
welche Hebe verschüttete. Hulda-Freya und
die ägyptische Reich (die verschleierte Göttin
von Sais) und die griechische Aihene sind
die schützenden Patroninnen der weiblichen
Handarbeiten. Was früher höchste Kunst
war (man studiere nur die burgundischen
Stickereien) darf nicht zur Trivialüät herab-
sinken. Die Fürsorge der Eltern gestaltet
tausenden vornehmen Mädchen, in freiester
Weise sich diejenige Arbeit zu wählen, die
das Vergnügen würzt und dem Leben Be-
deutung giebt. Die höhere Stickerei bleibt
die Domäne der Frauen, denn nur aus-
nahmsweise tritt die Männerhand in Kon-
kurrenz. Echt weiblicher Kunstsinn hat die
alte Textilornamentik geschaffen) möge er in
der neueren nicht zu spärlich vertreten sein!

Bücherschsu.

o. 8. In der Folge der Vorbilderhefre aus dem
Königl. Kunstgewerbe-Museum zu Berlin, heraus
gegeben von Pros. vr. Julius Lessing, Verlag von
Ernst Wasmuth-Berlin. erschien soeben Hest 14:
Italienische Möbel des XVI. Jahrhunderts.' Bereits
frühere Hefte, so das 1.. 5. und 2. enthalten italienische
Möbel und Holzarbeiten, die durch vorliegendes Heft
eine erwünschte Fortsetzung finden und eigentlich nun
erst eine gewisse Abrundung ausweisen. Aus 13 Licht-
druck- und 2 lithographierten Tafeln mit Einzelheiten
und Profilen wird uns der.Tisch und das Kasten-
möbel iralienicher und verwandter Herkunft in Luxus-
und Gebrauchsstücken aus den lehrreichen Bestünden
des berühmten Museums vorgeführt. Wenn auch in
Italien seit jeher ganz andere Bedürfnisse und An-
forderungen an den Begriff Möbel herantraten, die
besonders in der Verwertung klassischer Vorbilder auch
auf diesem Gebiet stark zum Ausdruck kommen, so
sind doch unzweifelhaft die hier abgebildeten Meister-
stücke selbst für heutige Verhältnisse noch treffliche
Beispiele. Wir dürfen nicht vergessen, daß gerade
im 16. Jahrhundert Italien seine Möbeltypeu nicht
bloß nach Spanien und Frankreich weitergegeben,
sondern z. T. auch auf deutschen Boden verpflanzt
hat. Daß Deutschland in seinen überschwenglichen
Fapadenmöbeln die Sache mißverstand, kann nicht
Italien zur Last gelegt werden, sind doch ganz be-
sonders die hier publizierten Kastenmöbel noch muster-
giltig genug, trotz der Beweglichkeit und Grazie
englischer Möbel, allen voran: vorbildlich durch Auf-
bau, konstruktive Lösung, vornehme Gliederung und
Schnitzerei für alle Zeit zu sein. Wir sollen ja nicht
kopieren, sondern den Kern, das Wesen des Alten
erkennen lernen und in diesem Erkennen im Sinne
unserer Zeit schaffen. — Das Heft enthält auf Folio-
tafeln in guten photographischen Aufnahmen: drei
Schränke, drei Tische, ein Schreibpulr. zwei Bänke,
einen Kleiderhalter und ein Aufsatzstück, sämtlich
italienische Arbeiten; einen Schreibkasten (Kabinett
mit Untersatz) und ein Friesbrett (Füllung) aus
Spanien, und einen Schrank aus Süd-Frankreich
stammend. Dies reichhaltige und schöne Material
für den bescheidenen Preis von M. 10 — wird Lieb-
habern wie Fachmännern, Werkstatt und Schule will-
kommen sein. s2488s
 
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