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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 9.1893-1894

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Diercks, Gustav: Die moderne Kunst Spaniens, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11970#0230

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1-8

Die moderne Aunst Spaniens.

Seite 184 wiedergegebene Madonnenbild von Serra den Beweis. Auch das Porträt wird nicht ausschließlich
von einzelnen Künstlern kultiviert, es sei denn, daß wir den Direktor des Museums und der Kunstakademie von
San Fernando als Porträtmaler bezeichnen wollten, da er auf diesem Gebiete seine größten Triumphe gefeiert
hat und überwiegend thätig gewesen ist. Die Entwickelung des modernen Lebens, das Überwuchern des Per-
sonalismus im öffentlichen Leben Spaniens im besonderen, der Wunsch der Reichen und Vornehmen, angesichts
der durch die demokratisierende Photographie erzeugten Erleichterung der Herstellung von einfachen Porträtbildern,
für sich etwas Besonderes zu haben, hat ja allerdings auch in Spanien wie in der übrigen Welt gerade in
allerjüngster Zeit der Porträtmalerei zu neuem Aufschwung verholfen; trotzdem sind wirklich bedeutende
Spezialisten auf diesem Gebiete künstlerischer Thätigkeit noch immer nicht zu verzeichnen. Kolorierte Photo-
graphien und mit Hilfe von Photographien hergestellte Porträts müssen bis jetzt noch die lebensvollen, aus
gründlichem psychologischem Erforschen hervorgegangenen künstlerisch bedeutenden Porträts ersetzen, welche in
anderen Ländern von einigen Meistern in diesem Fache geschaffen werden.

Unter den Historienmalern müssen wir in erster Linie Francisco Pradilla nennen, der sich schnell
durch seine mächtig ergreifende „Johanna, die Wahnsinnige" Weltruf errungen hat. Dieses Bild erlangte auf der
Pariser Weltausstellung von 1878 den ersten Preis und wurde dann von der spanischen Regierung für das
Madrider Museum angekauft. Es stellt die unglückliche Gemahlin Philipps des Schönen, Johanna, die Tochter
Ferdinands des Katholischen und die Mutter Karls V. dar, wie sie die Leiche ihres verstorbenen Gatten zu
Fuß durch das Land zu ihrer letzten Ruhestätte geleitet. Das starre, den Wahnsinn spiegelnde Auge auf den
Sarg geheftet, der auf seiner Tragbahre auf offenem Felde niedergesetzt ist, steht die von ihrer Zeit und ihrer
Familie als wahnsinnig behandelte Fürstin neben dem Sarge des geliebten Toten, dessen Züge sie unter der
Hülle, die sie verdeckt, zu suchen scheint. Das Wehen des Windes, die wüste Gegend, der kahle Baum, der
kalte Lufttou schildern vortrefflich die düstere Stimmung, die dem ergreifenden Vorwurf entspricht. Sehr be-
merkenswert ist namentlich die Charakteristik der die Königin umgebenden Personen.

Sein anderes großes Historienbild: „Die Übergabe von Granada" (s. Bilderbeilage zu Heft 11) ist
nicht minder bedeutend und wurde für die Ausschmückung des großen Sitzungssaales des Senats erworben.
Doch nicht ausschließlich auf dem Gebiete der Historienmalerei hat Pradilla Triumphe erzielt. So sind außer-
ordentlich geschätzt die Wand- und Deckengemälde, mit denen er die Paläste mancher Granden Spaniens geschmückt
hat und von denen wir auf dem Vollbilde in diesem Heft, welches ein Deckengemälde des Palastes Murga
darstellt, eine Probe geben. In den letzten Jahren aber hat Pradilla mit einem Erfolge, der den seiner
berühmten großen Historienbilder beinahe in Schatten stellt, die Genremalerei nach Art Fortunys betrieben
und Meisterwerke geschaffen, die sich mit den besten des letztem messen können. Er hat den höchsten Grad
der Virtuosität in verschiedenen außerordentlich figurenreichen Bildern erreicht, die Szenen des Volkslebens
schildern und unter der Lupe gemalt zu sein scheinen. Trotz der beinahe mikroskopischen Kleinheit der Figuren, ist
es dem Künstler doch gelungen, sie treffend zu charakterisieren, und die ganze Lichtfülle und Farbenpracht des
Südens ist in den meist wenig umfangreichen Bildern zu vollster Geltung gebracht und wiedergegeben.

Der große Beifall, den diese Werke in aller Welt gefunden haben, hat die in ihnen angewendete
Technik der Kleinmalerei in Mode gebracht und eine große Zahl von Künstlern hat sich — freilich meist mit
sehr geringem Erfolge — in derselben versucht.

Als Pendant zu dem eben erwähnten Historienbilde der „Übergabe von Granada" wurde am
28. November 1887 im Sitzungssaale des Senats das Bild eines ganz jungen Philippinesen: Luna Novicio
„Die Schlacht von Lepanto" enthüllt.

Dieser junge Künstler wurde allgemeiner bekannt erst durch das in Rom geschaffene Kolossalbild
„Spoliarium", welches auf der Madrider Ausstellung von 1884 den ersten Preis erhielt, allerdings von der
Kritik nicht unbeanstandet blieb. Es stellte auf einer Leinwand von wahrhaft riesigen Dimensionen den Augen-
blick dar, in dem ein im Kampfe gefallener Gladiator aus der Arena in jene furchtbaren Gewölbe geschleift
wird, welche an die Arena grenzten und in welchen die Leichen der Gefallenen ihrer Rüstungen und Kleider
entledigt wurden. Das unbestimmte Licht einiger Fackeln und Laternen beleuchtet schwach diese in dunkelsten
Tönen gemalten Räume. „Die Schlacht von Lepanto" ist ein sehr figurenreiches Bild, dem indessen etwas
mehr Klarheit und Ruhe zu wünschen wären.

Casado del Alisal ist hauptsächlich durch sein furchtbares Bild „Die Glocke von Huesca" (siehe
Seite 165) über die Grenzen Spaniens hinaus berühmt geworden. Dieses durch seine naturalistische Behandlung der
Blutszeue abschreckende Bild stellt den König von Aragon, Ramiro II-, dar, wie er seinen Großen die von ihm
geschaffene „Glocke" zeigt. Die Granden seines Reiches befehdeten ihn so nachdrücklich, daß der König beschloß, sie durch
Gewalt zu unterwerfen und sich eine „Glocke" zu schaffen, die im ganzen Reiche zu hören sein würde. So
lud er seine Großen zu sich in sein Königsschloß von Huesca, ließ sie einzeln eintreten, tötete die ersten sechzehn,
legte fünfzehn der vom Rumpf abgetrennten Köpfe in Kreisform nieder, hing in ihrer Mitte den seines heftigsten
Gegners als „Klöppel" auf und lud die überlebenden Granden dann ein, sich die auf solche Weise geschaffene
 
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