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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

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Tschiedel, Johannes: Ponte Molle: Künstlerleben vergangener Tage in Rom
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von Johannes Tschiede!.

«S


oder minder kecke Freiheitsgesänge, die leiseres oder
lauteres Echo auch jenseits der Alpen fanden, über die
manch frisches Lüftchen in die entsetzlich schwüle Atmosphäre
herüberwehte. Überall keimte im geheimen größere Reg-
samkeit, geistiges Leben und nationale Bewegung, die
zwar das Blut aufregte und die Menschen nicht mehr
zur Ruhe kommen ließ, aber ihnen zunächst Praktisch
nicht viel half gegen die miserablen politischen Umstände,
die auch in Rom auf allen Gemütern wie ein Alp
lasteten. Nicht zum wenigsten in der deutschen Kolonie,
die noch unter armseligen gesellschaftlichen Verhältnissen
seufzte, da die Römer, wenig zuvorkommend gegen Fremde,
schwer intimere Beziehungen anknüpften.

Infolge der ekelhaft betriebenen Spionenriecherei
warf sich, was Geist und Verstand hatte, auf politisch
harmlose Beschäftigungen. Die archäologischen Studien
blühten. Das etruskische Museum des Vatikans wurde
angelegt und Gebeine berühmter Männer (Raphael) identi-
fiziert. Winckelmanns gelehrte Erbschaft traten die
„Römischen Hyperboreer", Stackelberg, Kestner, Ed. Ger-
hard und Panofka an, durch die Rom Brennpunkt der
gesamten archäologischen Arbeit Europas wurde. Den
regsten Anteil an derselben nahm, wie bekannt, Bunsen,
preußischer Ministerresident beim päpstlichen Stuhle, der
auch für religiöse Freiheit kämpfte und damals zugleich
das Protestantische Hospital auf dem Kapitol anlegte, um
die Evangelischen vor den unaufhörlichen Bekehrungs-
versuchen zu schützen, denen sie in katholischen Kranken-
häusern ausgesetzt waren. In seinem Palast ward auch
die Bibliothek der römischen Deutschen aufbewahrt, die
in den dreißiger Jahren durch Schenkungen patriotischer
Verleger zustandegekommen war, und für die auch Ludwig I.
von Bayern durch Überweisung wertvoller Werke seine
Teilnahme bekundete.

Wie das wissenschaftliche Leben Roms sich in den
dreißiger Jahren regte, entfaltete und große Kraft ent-
wickelte, weil es sich konzentrierte und nicht durch poli-
tische Bestrebungen unterbrochen, zerstreut und abgelenkt
wurde, so konzentrierte sich auch das Künstlerleben. Was
in der großen Welt vorging, war jämmerlich genug. So
schloß man sich eng zusammen und lebte einzig der Kunst
und Geselligkeit. Man wandelte die freie Künstlerver-
einigung in einen Militärstaat und schlug so der Vigilanz
ein Schnippchen. Ein Militärstaat war unverdächtig.
Darin liegt der Humor der Sache.

Die Pontemolleritterschaft scharte sich in diesem
Jahrzehnt um ein glänzendes Dreigestirn, drei deutsche
Männer von altem Schrot und Korn, bärenrauh und
knorrig, aber ehrlich und begeistert für echte Kunst und
schönes Leben. Da war vor allem die ehrwürdige Ge-
stalt des Landschafters Johann Christian Reinhart, der
seit 1789 ununterbrochen in Rom lebte, ein Nestor der
Kunst, Mentor der Jüngeren und eifriger Nimrod. Neben
ihm stand Joseph Anton Koch, der Schöpfer der neuen
historischen oder heroischen Landschaft, mit Reinhart zu-
sammen leidenschaftlicher Kämpfer gegen „ungerechte und
unverständigeKunstkritik und aufgeblasene Kunstschreiberei",
über die er den unbarmherzigen Spott seiner „Rumfor-
tischen Suppe" ausgoß. Christian Reinhart schleuderte eine
formvollendete Satire besonders noch gegen vr. Schorn,
Leiter des Kunstblattes in München, der es aber in seiner
Gutmütigkeit mit seinen Urteilen nie böse gemeint hatte.
Beide zusammen mit Catel, Friedr. Riepenhausen, von

Die Kunst fiir Alle X.

Rohden, Thorwaldsen und Phil. Veit erließen dann
noch 1833 aus Rom und zwar aus dem Caf6 Greco,
wo sie damals alle zusammenkamen, wo das Schornsche
Kunstblatt gehalten und zerpflückt wurde und von wo
aus alle diese Pfeile in die Welt geschleudert wurden,
ein drittes Schreiben über „Kunstschreiberei", in dem
bei Gelegenheit des Nachweises, wie schwer es sei, ein
richtiges Kunsturteil zu fällen, sogar Goethe — der übri-
gens schon tot war — einen heftigen Hieb bekam.
Koch war Jahrzehnte lang der Mittelpunkt des Kunst-
lebens in Rom, nicht zum wenigsten in eben den dreißiger
Jahren, von denen hier die Rede ist, obwohl er gerade
damals bittere Not zu leiden hatte. Originell als
Mensch wie als Künstler, eine grundehrliche, aufrichtig
begeisterungsfähige, allem Trug und Schein abholde Natur,
übte er einen mächtigen Einfluß auf seine Umgebung aus.

Als dritter trat zu ihnen Friedrich Nerly, der im
Alter von 16 Jahren „ziemlich groß, obwohl noch unaus-
gewachsen, knabenhaft roh in seinen Manieren, in allem,
was die Kunst betrifft, der größte Neuling", wie Baron
von Rumohr in seinen „Drey Reisen nach Italien" sagt,
von letzterem in dessen Haus ausgenommen worden
war und dessen Schüler in der Kunst hatte werden
müssen. Er war von 1829—35 in Rom und verfaßte
viele Baioccs-Ritterdiplome in schönen Versen und galt
als ein großer Sanges- und Konzertmeister, der gar oft
mit seinem Chor in seinem speziellen „Vogelbauer", so
nannten sie das Kolosseum, Loblieder zum Preis des
Weines, der Liebe und des Vaterlandes ertönen ließ.

Um diese Männer scharte sich die übrige ältere und
jüngere deutsche Künstlerschaft und bildete eine grünende
Gesellschaftsinsel innerhalb des großen Meeres des
sterilen römischen, in sich selbst zurückgezogenen Lebens.
Es war ein Kreis von Männern, die in der Geschichte
der Kunst bekannt und berühmt sind: Thorwaldsen, Catel,
Elsässer, Jos. Führich, Gegenbauer, Bonaventura Genelli,
Kirchner, Phil. Veit, Martin Wagner, Riepenhausen,
Schirmer, Steinle, Emil Wolfs und viele andre.

Noch 1839 feierten die Baioccoritter fröhlich die
25. Olympiade, doch schon sechs Jahre später fiel der Bund
auseinander. Es zweigte sich ein Teil der Künstler ab,
die nichts von den alten Privilegien und Rechten der
Ritterschaft wissen wollten. Mit Hilfe des kürzlich ver-
storbenen Karl Werner wurden nun aber von Martin
Wagner, Fr. Riepenhausen, Nadorp, Hallmann, Kümmel
und Julius Moser Statuten ausgearbeitet und am
6. November 1845 einer allgemeinen Versammlung der
Künstler vorgelegt, aus der als neue Schöpfung der
„Deutsche Künstlerverein" hervorging, der also bald das
erste halbe Jahrhundert seines Bestehens feiern kann.

Metftertypen.

Max Klingen.

Beim ersten Sehen wunderlich
Fremdartig und absunderlich, —

Doch schaust du ihn dir näher an,

So ist's ein echter, deutscher Mann,

In dem aufs schönste sich verband
Lin reicher Kopf mit der Meisterhand.

Die suchen nun mit kühnem Wagen

Auf eigne Art sich durchzuschlagen. A. Stier.

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