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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

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Schultze-Naumburg, Paul: Die Frühjahr-Ausstellung der Münchener Secession
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https://doi.org/10.11588/diglit.11055#0288

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Die Frühjahr-Ausstellung der Münchener Secession.

sichtliche Eliteausstellungen — das ist das Hauptziel; ein einseitiges Programm hatte die Secession nie, und
wird sie hoffentlich nie haben, die einzige Losung lautet: Ausleben der Individualität im Werk und Wirken mit
rein künstlerischen Mitteln, wobei nicht nach dem Glaubensbekenntnis gefragt wird, solange jene Bedingungen
erfüllt werden. Es ist übrigens schon einigemal in dieser Zeitschrift in so mustergültiger Weise auf die Wege
und Ziele der Secession hingewiesen worden — ich erinnere an die Aufsätze von B. Becker und v. Berlepsch
— daß es mir schwer werden sollte, etwas Neues hinzuzufügen.

Die Frühjahr-Ausstellung, die die Secession in München einführte, steht in einem schroffen Gegensatz
zur Sommer-Ausstellung. Sie soll und kann nicht das bieten, was die letztere aufweist, denn ein jeder Künstler
wird natürlich seine größeren Arbeiten für die größere Ausstellung aufsparen und nur das wenige, was nach
auswärts geht, vorher in die Frühjahr-Ausstellung senden. Aber meistens hat er an den vielen unverkauften
Bildern — und wer hätte nicht Überfluß an solchen — genug Material, um alle auswärtigen Ausstellungen
zu versorgen. Es bleiben ihm noch die Studien und Skizzen, die er das Jahr hindurch gemacht, die
auf der Sommer-Ausstellung nicht am Platz wären, die er aber in dieser Ausstellung sehen läßt, da sie
seine Kollegen und alle die Laien, welche ein intimeres Verhältnis zur Kunst haben, aufs lebhafteste interessieren.
Wer in der Meinung hingeht, eine Ausstellung wie die Saison-Ausstellung im kleinen Maßstab zu sehen, wird
nicht finden, was er erwartet. So wird es mit der Frühjahr-Ausstellung Wohl stets bleiben, und es ist gut
so. Man wird bei ihr stets das Gefühl haben, daß die Künstler ihre Hauptkraft verhalten, dafür aber einen
Blick hinter die Ateliercoulissen gestatten.

Wenn man über die Secession Berichte liest, so fangen die gewöhnlich mit Stuck an nnd gehen von
da mit Entrüstung zu von Hofmann und Exter über. Und auch im Gespräch ist dann gewöhnlich das

dritte Wort „nein, aber wissen Sie, Exter und Hofmann." Leider hat dieser Künstlerkreis

diesmal dem Publikum weniger Gelegenheit als sonst gegeben, sich aufzuregen. Man sollte es übrigens den
Leuten nicht so übel nehmen, wenn sie jenen nicht stets auf ein Gebiet folgen können, wo nur der Künstler
imstande ist, das wirklich Bedeutsame herauszufinden, und der Laie nur das Extravagante sieht und die roten
Bäume wie eine persönliche Beleidigung aufnimmt, über die er sich durchaus nicht beruhigen kann. Sind
doch thatsächlich noch genug tastende ungefestigte Versuche dabei, die allerdings dem Künstler oft mehr
Interesse abnötigen als die bravsten Bilder. — Aber leider bietet eben unsere Ausstellung in dieser Richtung
nicht viel, quantitativ wenigstens; einige der bedeutenden Namen fehlen ganz. Vorwiegend herrscht die Land-
schaft; dreiviertel von allem Ausgestellten gehört ihr an. Und seltsam, fast alle sonstigen Figurenmalcr haben
zum mindesten auch Landschaften da. Oder auch nicht seltsam; liegt es doch im Entwicklungsgang der neueren
Kunst, in der Lösung koloristischer Probleme begründet, gerade in der Landschaft den geeignetsten Angriffspunkt
zu finden. An die breite Stelle des anekdotischen Genres ist die intime Landschaft getreten, numerisch und der
Wertschätzung nach genommen. Sie ist in allen Formen vertreten, seltener auf großen Flächen als auf kleinen,
im Format der Naturstudie, die sie häufig auch ist. Natürlich ist dabei schwer zu beurteilen, wie weit sich
das Rad vorwärts gedreht, denn mehr oder minder zeigen doch alle Studien einen objektiven Charakter; dafür
offenbart sich überall ein sehr hohes Niveau des Könnens, das die beruhigen könnte, welche in der Phantasie-
malerei, wie sie nicht gerade sehr glücklich genannt wird, einen drohenden Verfall des Erreichten sehen.
Eines ist bemerkbar: Holland ist nicht mehr wie früher das Ziel der Sehnsucht; einige von denen, die
sonst das Gute nur in der Fremde suchten, haben es im Lande gefunden. Gebiete, die die Mode früher ver-
schmähte, werden neu erobert; es gilt gleichviel, ob sie in der Ebene oder im Lande der Romantik liegen.
Blumen und Stilleben sind gleichberechtigt geworden, auch sie werden als ebenbürtiges „Stück Natur" be-
trachtet und rangieren nicht an siebenter Stelle. — Auch das Porträt tritt häufig als Studie auf; das alte
Genrebild, dessen Gegenstand den Beschauer belustigt, ist in einigen, künstlerischen Ansprüchen gerecht werdenden
Exemplaren vertreten. Elendmalerei ist nirgends zn finden; das, was diejenigen, welche über alles reden, auch
ohne es recht gesehen zu haben, den Secessionisten mit Vorliebe nachsagen: Kultivierung des Häßlichen, paßt
hier noch viel weniger wie früher. Armleutbilder wird man hier vergeblich suchen; ich meine jene Bilder, auf
denen das trostlose Milieu nicht aus innerer Notwendigkeit, sondern nach der Mode gewählt war; welche gemalt
wurden, nicht, weil der Maler tief ergriffen von dem Los der Enterbten bei ihnen höchste malerische Aufgaben
fand, sondern weil er Uhde um seine Erfolge beneidete. Manierierte Auswüchse und Gesuchtheiten sind in
verschwindend geringer Anzahl vorhanden und verdanken Wohl nur dem Talent, mit dem sie gemacht sind, ihr
Dasein. Im allgemeinen fiele es dem Berichterstatter ungemein schwer, den Leser als Führer auf die Haupt-
erscheinungen aufmerksam zu machen. Eigentliche Uoints cts resistancs fehlen so gut wie ganz, Schwächen
schließt die Organisation der Ausstellung aus, soweit sie nicht der Saison-Ausstellung gegenüber im Charakter
der Veranstaltung liegen, und so müßte ein Hervorheben einzelner Leistungen bei dem beschränkten Raum dem
subjektiven Geschmack überlassen bleiben. Sonderbare Leute, jene Kritiker, die sich über diesem erhaben glauben.
Unter den Künstlern giebt es sehr viele, die überhaupt nur soviel begreifen oder gar gelten lassen wollen, als
ihr Fach begrenzt — übrigens ein alter Gemeinplatz derer, die dem Künstler die Feder absprechen wollen; es
 
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