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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

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Hann, Pauline: Amerikanische Frühjahrsausstellungen: (American Artists und National Academy of Design in New York)
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https://doi.org/10.11588/diglit.11055#0332

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262

Amerikanische Friihjahrausstellmigen. von j). Kann.

Kenyon Cox' „Versuchung" ist trotz des eifrig
betenden heil. Antonius kein Heiligenbild, sondern eine
gutausgefallene Studie des Nackten. Von H. Oliver
Walker, der voriges Jahr den Preis davontrug, be-
findet sich ein hübsches Gemälde, „Der verzauberte
Wald", bei den Artists; in der Akademie wurde er
Heuer für ein Bild von rührender Naivetät nnd Innig-
keit, „Morgenvision" genannt, mit einem Preise aus-
gezeichnet.

Ein Seestück von E. Simmons, „Bewegte See",
erregt allgemeine Bewunderung. Selten glückte es einem
Künstler vorher, so den in seinem Grunde aufgewühlten
Ozean darzustellen. Vorn fliegt die Gischt über einen
verborgenen Felsen hoch auf, neben und hinter ihr sind
die Wogen in Aufruhr nach einem Sturm. Wir erhalten
den Eindruck des alles bezwingenden Elementes, in ein-
facher Größe, ohne Staffage. Das Meer, und nur das
Meer, uferlos, endlos erstreckt es sich vor dem Beschauer.

Gerade doppelt so reichhaltig wie die Ausstellung
im Fine Arts Building ist die der Academy. Aber man
empfängt von ihr bei weitem keinen so einheitlichen
Eindruck, wie von der ersteren. An Zahl überwiegen
die akademischen Atelierbilder, was sich schon daraus
erklärt, daß jeder Akademiker das Recht hat, so viele
Arbeiten auszustellen als ihm beliebt, während die
Fremdlinge sich einer strengen Aufnahmsprüfung unter-
ziehen müssen. Das Resultat müßte naturgemäß größere
Zahl der Alten, bessere Qualität der Jungen sein, und
es spricht zu Gunsten unserer Akademiker, daß sie, trotz-
dem es ihnen so leicht gemacht wird, dennoch mit einer
ganz ansehnlichen Anzahl guter Bilder erscheinen. Aber
die stärkste Wirkung ist nicht mehr auf ihrer Seite zu
finden. Selbst in ihrem sehr getreuen Publikum macht
sich der Umschwung des Kunstgeschmacks bemerklich. Die
Vorhalle, das Stiefkind der Ausstellung, wurde fast aus-
schließlich dem jungen Element eingeräumt, und nirgends
so häufig wie hier sah ich an den Rahmen das magische
Wörtchen »solck« angeheftet. „Madison Square im
Schneesturm" von einem Neuling, Hy neman, besticht
durch gute Perspektive, Louis Moellers Sittenbild
„Du bist unartig" durch seine Charakteristik, ein Pastell
von Champey, „Erwartung", durch seine Auffassung,
„Kleines Mädchen in Weiß" von Douglas Volk durch
seine Lichtbehandlung.

Der Nordsaal bringt eine Überraschung, der älteste
lebende Akademiker, einst ein guter Sittenschilderer, jetzt
der angesehenste der akademischen Porträtmaler, erscheint
diesmal mit einer stimmungsvollen, Wasser und Nebel
fein behandelnden Landschaft „Lake Minnewaska".
Flagg hat die schuldbeladene Puritanerin aus Haw-
thornes „Der Scharlach-Buchstabe" zum Vorwurf eines
großen Bildes erwählt, das trotz stumpfer Farbe durch
den ergreifenden Ausdruck der Züge wirkt. Waad und
Irwin haben zwei Porträts nahe beisammen hängen,
auf welchen sich die Gegensätze zwischen der alten und
neuen Schule eine blutige Schlacht liefern. Förmlich
glitzernd von Sonnenschein und weißlichen Farbentönen
ist Childe Hassams „Mädchen im weißen Kahn".

Die Ostgalerie weist drei aus den sieben durch
Preise ausgezeichneten Bildern auf. „Legende" von
Edith Prellwitz erhielt den Damenpreis, den ein
Herr Dodge gestiftet; es ist eines jener mystischen Ge-
mälde, wie sie, durch Bastien Lepages großartige

Jeanne d'Arc hervorgerufen, leider wie Pilze nach einem
schwülen Regen aus dem Boden schießen. Die wunder-
vollen Eigenschaften Lepages, die Augen der Jungfrau
zum Beispiel, die den Beschauer wochenlang in seine
Träume verfolgen, fehlen; vorhanden ist nur der krank-
hafte Mysticismus, der einem obendrein bei nüchternen
Amerikanern vorgeschützt erscheint. Larses „Opfer dem
Satyr" hat starke Farbeneffekte, ist aber unerlaubt lang-
gezogen in der Zeichnung. Und endlich „My Lady" von
Will Low, einem Akademiker, eine etwas süßliche
Troubadourszene, die sonst wahrscheinlich ihren wohlver-
dienten mäßigen Anteil Lob erhalten hätte, jetzt aber
heftigen Widerspruch hervorrief, weil ihr ein zur „Hebung
der amerikanischen Kunst" bestimmter Preis zufiel. Im
selben Raume hängt eine hübsche Winterstudie, „Eine
Jagdfährte" von Schreyvogel, einem ehemaligen Mün-
chener Studenten, dann ein treffliches Negerbild, zwei
Schwarze, Baumwolle von einem Karren abladend, von
L. Carr, und endlich „Ein Herbstmorgen" von Minor,
voll melancholischer Stimmung. Der Südsaal weist den
„Scheunenhof" von Walker, ein Bauer zwei abgear-
beitete Gäule ausschirrend, mit guter Abendbeleuchtung,
dann die übrigen Preisbilder auf. „Hügelabhang mit
Schafen" von Shirlaw, gleichfalls zur Hebung der
nationalen Kunst ausersehen, wird, wie ich fürchte, das
Geschäft auch nicht vollbringen; es ist so alltäglich wie
möglich. Von märchenhafter Farbe und Lichtwirkung, die
wie ein feiner Duft über dem Gemälde liegt, ist Francis
Days „Geduld", eine junge Frau neben einer Wiege
mit einem Kinde. CH. Curran erhielt vor zwei Jahren
genau so wie heute einen Preis für ein von sagenhaften
Geschöpfen bevölkertes Strandbild; „Sirenen" hieß es
damals, „Die verzauberte Küste" heute. Mit ihrer
Entscheidung traten die Richter damals wie jetzt bei ihm
und Day auf die Seite der Impressionisten. Gute Por-
träts und Stimmungslandschaften hängen in diesem
Saale. Erstere sind von Brandt, Wood Huntington,
letztere von I. Hart, Eaton, Picknell. Woran
bildet sich immer mehr zu einem Nachahmer des alten
englischen Turner heran, wie sein „Galatag in Venedig"
beweist. Der letzte Saal enthält außer dem schon er-
wähnten Bilde von Chase und einem japanischen Sitten-
bilde „Unterricht im Blumenbinden" von Wores nichts
Hervorragendes.
 
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