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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

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Tanera, Karl: Überlistet, [1]: ein modernes Märchen
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https://doi.org/10.11588/diglit.11055#0335

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Überlistet. Lin modernes Märchen, von Tanera.

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Nun hatte der Fremde seine Besichtigung beendet,
trat hinter den Meister und sah ihm stumm noch einige
Zeit zu.

Endlich begann er: „Herr Professor, Sie find ern
bedeutender Künstler. Schade, daß Sie nicht mit den
Augen eines Tizian oder Fra Angelico sehen. Sie würden
Großartiges leisten."

Der Hieb saß. Schon das lange Herumschauen
des Fremden hatte den Maler geärgert; nun war seine
Geduld zu Ende.

Keineswegs sehr höflich entgegnete er:

„Sie haben ein scharfes Urteil, mein Herr.

Verstehen Sie vielleicht mit den Augen jener
berühmten Meister des Mittelalters zu sehen
und demgemäß zu malen?"

„Ich bin kein Maler. Aber ich ver-
stehe, die Augen der Künstler so zu lenken,
daß sie so gut und noch besser wie die be-
rühmtesten Maler der Vergangenheit sehen,
und daher noch Größeres als jene zu leisten
im stände sind."

„Mein Herr, ich habe keine Zeit, mich
auf Scherze einzulassen. Ich bin beschäftigt."

„Ich scherze nicht, Herr Professor.

Haben Sie meine Visitenkarte gelesen?"

„Gewiß. Sie führen einen sonderbaren
Namen."

„Das ist nicht nur mein Name. Ich
bin der Satan."

In dem Glauben, einen Geisteskranken
vor sich zu haben, trat Paul Döring einen
Schritt zurück und blickte den Fremden scharf
an. Da verwandelte sich dieser im Nu in
einen solchen behaarten Teufel mit Hörnern,

Bocksfüßen und langem Schwanz, wie er
auf mittelalterlichen Bildern hundertfach ge-
malt ist. Die Erscheinung dauerte aber nur
eine Sekunde. Dann stand wieder der ele-
gante Herr vor dem doch heftig erschrockenen
Maler. Da letzterer sich aber schnell wieder
in der Gewalt hatte, so meinte Baron
Satanas lachend: „Sie haben sich als ein
echtes Genie gut aus der Affaire gezogen.

Sie scheinen sich nicht vor mir zu fürchten?"

„Warum sollte ich mich fürchten. Ich
habe ein reines Gewissen und diene mit
meiner Kunst dem allmächtigen Gott, unserem
Erlöser. Ich —"

„Bitte, bitte, lassen wir das. Was
Sie verstehen und leisten, weiß ich ja genau.

Ich habe mich soeben wieder davon über-
zeugt. Aber Sie könnten noch mehr erreichen. Ich will
Sie zum größten Maler der Erde machen. Wollen Sie?"

„Das wird nicht gehen, denn ich male nur Heiligen-
bilder, und dazu wird mir Baron Satanas kaum helfen
wollen."

„Warum nicht? Glauben Sie, ich sei wirklich der
dumme Teufel, als den mich die Menschen früher kannten?
Nein, nein. Ich habe mich auch modernisiert. Ich schätze
jedes Kunstwerk hoch, auch ein Heiligenbild, wenn es
mir zu meinem Zweck hilft!"

„Und was wäre dieser Zweck?"

„Das ist das Einzige, worin ich altmodisch geblieben

bin. Ich biete Ihnen den höchsten Ruhm und die Be-
friedigung jeden Ehrgeizes. Dafür aber verschreiben Sie
mir Ihre Seele."

Als Paul Döring auf diese Worte erschrocken einen
Schritt zurücktrat, fügte Baron Satanas rasch bei: „Oh,
ich will Sie nicht drängen. Überlegen Sie sich die
Sache. Morgen spreche ich wieder vor. Habe die Ehre,
mich zu empfehlen." Damit verneigte er sich graziös
und verließ das Zimmer. Es blieb nur etwas Geruch

Gang;ur Tauft, von Fl. Willems.

nach eau cks lilas zurück, aber nicht zu stark; nur so,
wie ihn etwa das Parfümierte Taschentuch eines eleganten
Modeherrn verbreitet.

Der Maler legte Pinsel und Palette beiseite und
überdachte die soeben erlebte Szene. Seine unsterbliche
Seele dem Teufel verschreiben! Nein, das fiel ihm nicht
im geringsten ein! Aber wie sich den Satan vom Halse
schaffen? Er mußte ihn überlisten. Lange sann er nach.
Dann war er mit sich klar.

„Ich stelle ihm einfach eine für ihn unausführbare
Aufgabe. Er soll in den Himmel fliegen, bis zum Throne
Gott Vaters Vordringen und sich dort so genau Umsehen,

Di- Kunst für Alle X.

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