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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Fuchs, Georg: Friedrich Nietzsche und die bildende Kunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0052

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„Ls war der Rüstkag und der Sabbath brach an."
(8reu;abnahmr). von Louis Lorinth.

Friedrich Oirtzsche und die bildende Aunst.

von Georg Fuchs.

Nachdruck verboten.

^>enn die Macht gnädig wird und herabkommt ins Sichtbare: Schönheit heiße ich solches Herab-
kommen." — „Stellt kleine, gute, vollkommene Dinge um euch, ihr höheren Menschen! Deren goldene
Reise heilt das Herz. Vollkommenes lehrt hoffen." — Diese beiden Sprüche Zarathustras bezeichnen uns die
Brücken, auf welchen wir in der allgemeinen Lehre Nietzsches zu der köstlichen kleinen Insel seiner Ästhetik gelangen.
Der erste Spruch und Steg führt aus seiner Biologie und Psychologie des Individuums herzu, der andere aus
dem über diesen beiden Erkenntnisgebicten von des Meisters Hand errichteten Bereiche des Übermenschen, d. i.
aus der Lehre von der Erhöhung des Typus „Mensch". — Der erste Satz weist uns auf den Wesensgrund
der Auferstehung des Schönen aus der Macht, des großen Kunstwerkes aus dem mächtigen, „prachtvollen"
Ich; der Zweite wertet dieses große Kunstwerk in seinem Verhältnisse zur Höherzüchtuug des Menschen, deutet
an, wie durch die Schöpfung eines Künstlers das Meer des Menschlichen gezwungen, getrieben wird, höher zu
ebben — während es ja wohl den Mächtigen der That Vorbehalten scheint, die erobernden Fluten zu heben
und zu lenken. Den Gedanken des ersten Spruches hat Nietzsche bei anderen Gelegenheiten anders gefaßt,
indem er z. B. das Wesen der großen Kunst als „Dankbarkeit" und „Selbstverherrlichung" des -großen
Menschen pries, wofür ihm die Griechen Zeugen liehen, deren Widerlegung unmöglich ist. Sie verherrlichten
sich selbst, dachten und schufen über sich hinaus: darum bildeten sie Götter, Übermenschen. Und auch dem
Inhalte des zweiten Spruches begegnen wir vielfältig wieder. Er hat vorzüglich in der Gestalt des „Pfad-
finders der europäischen Seele" („Jenseits von Gut und Böse") seine Nutzanwendung auf seines Schöpfers
nächste Absichten gesunden. In dem zweiten Bande „Menschliches, Allzumenschliches", im 99. Aphorismus,
Seite 59, geht daraus „Der Dichter als Wegzeiger für die Zukunft" hervor, wobei man festhalten mag, daß
Nietzsche in grundsätzlichen Erörterungen den „Dichter" für den Künstler schlechthin zu setzen Pflegt. Dort
heißt es: „So viel unter den jetzigen Menschen noch überschüssige dichterische Kraft vorhanden ist, welche bei
der Gestaltung des Lebens nicht verbraucht wird, so viel sollte, ohne jeden Abzug, einem Ziele sich weihen:
nicht etwa der Abmalung des Gegenwärtigen, der Wiederbeseeluug und Verdichtung der Vergangenheit, sondern
— dem Wegweisen für die Zukunft! — und dies wiederum nicht in dem Verstände, als ob der Dichter,
gleich einem phantastischen Nationalökonomen, günstigere Volks- und Gesellschastszustände und deren Ermög-
lichung im Bilde vorwegnehmen solle: vielmehr, wie früher die Künstler an den Götterbildern fortdichteten, so
soll er an dem schönen Menschenbilde fortdichten und jene Fälle auswittern, wo mitten in unserer

Die Aunst für Alle XI, 3. I. November 1895.

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