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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Clifford, Lucy Lane: Die letzten Pinselstriche, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0062

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Nach Mrs. w. A. Llifford.


Wodelchause. von

antwortete er; ,,aber nachher würde ich die Thüre ver-
riegeln, da ich die Art des Menschen kenne, der mög-
licherweise noch draußen steht."

„Es verlangt mich, von dem zu sprechen, was ver-
gangen ist", sagte sie und streckte ihre Hände aus, um
sie schnell wieder zurückzuziehen.

„Aber Sie befinden sich hier in meinem Pariser
Atelier, Madame, und ich habe die Ehre, Ihr Porträt
zu malen. Wenn Sie die Güte haben wollen, wollen
wir unsere Unterhaltung auf die darauf bezüglichen
Dinge beschränken. Da ist ja Ihr Mädchen mit ihrem
Mantel; ich beglückwünsche Sie zu» der Wahl seiner
Farbe, er würde sich gut malen lassen. Also, am
Donnerstag denn, um elf Uhr! Und mit zwei weiteren
Sitzungen wird, wenn wir fleißig sind, das Porträt
vollendet sein. Ich wünsche Frau Gräfin einen guten
Tag."

IV.

Lady Harlekston saß zum letztenmale.

Das Porträt war beinahe fertig. Als Malerei
war das Gemälde vollkommen, als Kunstwerk — war
es nicht von Carbouche? Aber es war ebenso getreu
und ebenso erbarmungslos wie ein Spiegel. Das Ge-
sicht der Frau auf der Leinwand war das Gesicht der
Frau, welche saß; nichts war gemildert. Das Haar hatte
jene Härte, die der künstliche Farbstoff ihm giebt; die
Wangen hatten die Farbe, welche bei dem Original an
die Stelle der natürlichen getreten war. Jede Linie,
welche die Zeit ihr zugesetzt hatte, war wiedergegeben,

Karl Uartmann.

jedes Jahr, das sie gelebt, konnte ihr nachgerechnet
werden; nein, es schien, als ob jeder einzelne Tag und
jede Nacht vor des Malers geistigem Auge gestanden
hätte, während er arbeitete. Sie war in Verzweiflung.
Das sollte in die Welt hinausgehen als ihr Porträt,
gemalt von dem unsterblichen Carbouche I Dieses künst-
lich aufgefrischte Gesicht, von dem man sagen konnte,
wieviele Jahre es über vierzig zählte, sollte bekannt
werden als das ihre; es würde eine Schande, ein Vor-
wurf sein für ihre Nachkommen.

Ein- oder zweimal versuchte sie, Einspruch zu er-
heben, aber Worte machten keinen Eindruck auf ihn; er
war unempfänglich für ihre Winke. Nichts täuschte ihn,
kein Wegwenden vom Licht nützte, keine List erreichte
auch nur für eine Sekunde ihren Zweck. Wenn sein
Auge auf sie fiel, schien er sie durch und durch zu sehen,
bis ihre Wangen brannten, und ihr Hals zitterte; und
sein Pinsel wanderte unbeirrt über die Leinwand und
ohne Mitleid und ohne Bedenken gab er wieder, was er
gesehen hatte.

„Wird es heute fertig?" fragte sie gepreßt.

„Es ist gleich fertig, Madame."

„Und ist jene Farbe wirklich die meine?"

Er blickte überrascht zu ihr auf. „Aber gewiß
doch, Madame."

„Sie haben all' meine Falten eingezeichnet", sagte
sie zaghaft.

„Ich bedauere, aber ich kann sie nicht wegbringen.
Die Jahre lieben es nicht, vergessen zu werden; sie

Die Kunst für Alle XI.

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