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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 11.1895-1896

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Schmidkunz, Hans: Der Dilettant
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https://doi.org/10.11588/diglit.12003#0234

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182

vr. vans Schmidkunz.

doch desto üppiger wachsen in der großen Masse dilettan-
tischen Schaffens die Nebenabsichten empor, und desto
regelmäßiger zeigt sich, daß das Interesse, von dem
dieses Schaffen getragen wird, ein geteiltes ist. „Der
Künstler, der ächte Kenner hat ein unbedingtes ganzes
Interesse und Ernst an der Kunst und am Kunstwerk,
der Dilettant immer nur ein halbes"; so Goethe bezüg-
lich der Malerei. Aehnlich sei es beim Dilettantismus
in der Musik mit der falschen Hoffnung, durch kom-
ponierte Volkslieder Nationalsinn und ästhetischen Geist
zu pflanzen; in der Malerei mit der Sucht nach Kunst-
stücken, Manieren, Behandlungsarten, Arkana u. s. w.;
beim Baudilettanten mit der sentimentalischen und
allegorischen Baukunst, durch welche er den Charakter,
den er in der Schönheit nicht zu finden weiß, hinein-
zulegen sucht; in der Schauspielkunst mit dem Umstand,
daß Dilettanten sich nichts Anziehenderes wissen, als die
Komödienproben, während Schauspieler von Metier sie
hassen.

Bei der Baukunst zeige sich dieses Abschweifen der
Dilettanten auch noch darin, daß sie mehr zum Ursprung
der Baukunst zurückzukehren suchen: Rohes Holz, Rinden
u. s. w.; schwere Architektur, dorische Säulen; Nach-
ahmung gotischer Baukunst; Architektur der Phantasmen

Erfüllter Traum, von Ludwig Brunow.

und Empfindungen; kleinliche Nachäffung großer Formen —
es scheint, als hätte Goethe unser Jahrhundert, zumal
seine erste Hälfte, vorausgeschaut. War nun das Gesagte
eine Ausbreitung jenes Verlangens nach Nebenzwecken in
die Verschiedenheiten der einzelnen Künste, so läßt sich
als eine gemeinsame Folge all dieser Eigenheiten die
gemeinsame Charakteristik aufstellen, die in den Goetheschen
Worten liegt: „Alle Dilettanten greifen die Kunst von
der schwachen Seite an. (Vom schwachen Ende.)"

Zum vierten. Wir hatten bisher den Dilettan-
tismus sowohl überhaupt als auch in manchen Be-
sonderungen verfolgt, in die er durch die Eigenart der
verschiedenen Künste gerät. Ebenso wichtig ist es aber,
den Veränderungen nachzugehen, welche diese Eigenarten
durch ihn erfahren. Zunächst kann die Bedeutung solcher
Eigenarten kaum überschätzt werden. Jedem künstlerischen,
wissenschaftlichen und Praktischen Gebiet ist eine bestimmte
Denkart, eine bestimmte Geschicklichkeit der Behandlung
eigen, erworben im treuen Anschluß an den bisherigen
Bestand dieses und nur dieses Gebietes. Der Drama-
tiker, der Physiker, der Landmann: jeder hat eine be-
sondere im Berufsleben allmählich errungene Art und zu-
mal Griffsicherheit, die Dinge um sich so zu betrachten
und so zu behandeln, wie es den Zwecken seines Berufes
entspricht. Der Dramatiker darf nicht mit den Blicken
des Historikers schauen und mit seinen Griffen zugreifen,
der Physiker nicht mit denen des Bildhauers, der Bauer
nicht mit denen des Jägers. Selbst Gebiete, die ein-
ander sehr nahe liegen, wie Malerei und Radierung,
Philologie und Archäologie, Industrie und Handel, bilden
feine und doch so gewichtige Unterschiede ihrer eigentüm-
lichen Behandlungsweisen aus, daß mit dem Beherrschen
des einen noch lange nicht ein Beherrschen der andern
gegeben ist, daß sie auch andere Seiten des Lebens ihrer
Vertreter nach sich bestimmen, und daß es zwischen ihren
Vertretern mindestens zu einem Wettkampf der Me-
thoden, manchmal aber auch zu einem erbitterten Grenz-
kriege kommt.

Und an der Verkennung wie an der Nichtbeherrschung
dieser feinen Eigenarten erkennt man auch wieder den
Dilettanten. Er ist z. B. auf der Bühne Lyriker und
auf der Reise Trinkkünstler. Jnsbesonders wird er,
dem ja nach früher Gesagtem die verschiedenen Künste
ungleich zugänglich sind, die ihm ferneren durch den
Charakter der ihm näheren verderben. So achtet er in
den Künsten vornehmlich auf das sogenannte Poetische,
in den Wissenschaften vornehmlich auf das sogenannte Philo-
sophische. Diese zwei, Poesie und Philosophie, sind es ja merk-
würdigerweise auch, in denen man nicht leicht von
Dilettantismus spricht; und vielleicht wäre es gerade
hier nötiger als sonst. In der lyrischen Poesie findet
Goethe „eine größere Gefahr als bei anderen Künsten,
eine bloße dilettantische Fähigkeit mit einem ächten Kunst-
berufe zu verwechseln, und wenn dies der Fall ist, so
ist das Subjekt übler daran als bei jeder anderen Lieb-
haberei, weil seine Existenz völlige Nullität hat; denn
ein Poet ist nichts, wenn er es nicht mit Ernst und
Kunstmäßigkeit ist."

Trotz dieser Vorliebe des Dilettanten für Lyrik
und für Poesie überhaupt und trotz dessen, daß der
Dilettantismus darin als solcher kaum bemerkt wird,
scheint es doch, daß der Dilettant in anderen Künsten
meist besseres leistet als er selbst, ja sogar als
 
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