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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 12.1896-1897

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Keyserling, Eduard von: Das Laienurteil
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Ausstellungen und Sammlungen - Personal- u. Atelier-Nachrichten - Preisausschreiben - Denkmäler
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https://doi.org/10.11588/diglit.12050#0099

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Das Taienurrnl.

pon L. v. Keyserling.

ie ästhetische Wirkung eines Kunstwerkes ist auf den
ausübenden Künstler in der Hauptsache dieselbe,
wie auf den empfänglichen Nichtkünstler, denn die Kunst
wendet sich an den Menschen. Der Künstler mag die
Lösung der technischen Aufgabe besser zu würdigen wissen,
er dringt vielleicht schneller in die Feinheiten seiner Kunst
ein; was jedoch ein Kunstwerk zu sagen und zu geben
hat, muß von dem Nichtkünstler ebenso empfunden werden,
wie von dem Künstler, sonst ist der Gedanke in dem
Kunstwerk nicht zu voller, künstlerischer Klarheit ge-
kommen.

Auf das färben- und formgeübte Auge eines Malers
wirken Farben und Formen eines Bildes schneller, inten-
siver; der Maler erkennt sicherer jede Neuheit der Mittel,
jede technische Kühnheit, und dieses nähere Verhältnis
zu der Kunst mag ihm Quellen des Genußes erschließen,
die dem Nichtkünstler verschlossen bleiben. Der Nicht-
künstler ist mehr für die Gesamtwirkung des Kunstwerkes
empfänglich. Technische Vorzüge erhöhen diese Wirkung,
Fehler stören oder vernichten sie, ohne daß Vorzug und
Fehler als solche vielleicht erkannt werden. Der Laie
giebt sich eben dem Eindruck des Kunstwerks hin, meist
ohne sich darüber Rechenschaft abzulegen, durch welche
Mittel die Wirkung erzielt wird. Diese Wirkung aber
ist die vornehmste Aufgabe der Kunst, und ihr dienen

die technischen Mittel. Das Übergehen des vom Künstler
dargestellten Lebens auf den Beschauer, darin besteht
die Aufgabe und das Genießen der Kunst.

Jeder Kritik, lehrt Th. F. Bischer, soll das ruhige
Genießen des Kunstwerks vorhergehen, und in dem un-
befangenen, sozusagen unthätigen Genießen, ist der Nicht-
künstler dem Künstler gegenüber im Vorteil; er vermag
meist länger vor dem Kunstwerk stillezuhalten, die eigne
Persönlichkeit zurückzudrängen, um nur die durch das
Kunstwerk vermittelte Empfindung in sich walten zu
lassen, ohne daß die Frage nach den Mitteln, nach dem
Wie der Mache, nach Fehlern und Vorzügen sich regt.
Je länger vor einem Bilde, einer Statue, dieser Zustand
des ganz passiven Aufsichwirkenlassens dauert, je unge-
störter der Beschauer das dargestellte Leben in sich warm
werden und Macht gewinnen lassen kann, um so voll-
kommener ist das Kunstwerk. Am frühesten stellt die
Kritik sich da ein, wo etwas Mißlungenes dieses Sich-
versenken stört. Wo uns etwas mißfällt, suchen wir
nach dem Grunde unseres Mißfallens; wo wir befriedigt
werden^ genießen wir möglichst lange, ehe wir daran
gehen, uns Rechenschaft darüber abzulegen, warum wir
genießen. Der Nichtkünstler geht eben in seinem Urteil
von einem anderen Standpunkt aus als der Künstler;
er läßt vielleicht manches Verdienst und manchen Fehler

Vildnisstudirn. von Franz von Lenbach.
 
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