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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 13.1897-1898

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Schumacher, Fritz: Aus meinem Londoner Skizzenbuch, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12047#0056

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28

Aus meinem Londoner Skizzenbuch.

des Namens gesetzt, wurde an all ihren großen Affichen
neu gestrichen und mit einer Königskrone versehen.
Ter Glanz dieses huldigenden »Viütoria Le^ina.« er-
streckte sich natürlich sehr effektvoll auf das LO und lill.
In der zweiten Gattung ist die künstlerische Wirkung
um so größer, mit je weniger Mitteln sie erreicht wird.
Darin sind die Franzosen den Engländern noch über-
legen, sie sind frecher, während der Engländer wiederum

den kleineren Maßstab in seiner intimen Wirkung besser
beherrscht: den Umschlag der Zeitschriften. —

Wir besitzen, glaube ich, keine Bibliothek, wo man
den Genuß hat, die Bücher selbst in ihrem endlosen
Dasein vor Augen zu haben. Die Zugänglichkeit der
prächtigen Büchersäle im Britischen Museum hat wohl
nicht wenig dazu beigetragen, den Sinn für den Buch-
einband zu wecken, der hier so weit verbreitet ist und
bei uns erst neu erwacht. —

Es giebt in Deutschland einige Dichter, die man
überall gut eingebunden vorfindet, weil kein Mensch sie
für sich selber kauft, sondern immer nur, um sie zu ver-
schenken. —

Wer seine Lieblingsbücher nicht gut einbindet, ist

nicht geschmackvoller wie derjenige, der edlen Wein aus
irdnem Kruge trinkt. —

Man soll die kunstgewerblichen Massenartikel eines
Landes nicht ignorieren, sie erzählen oft ganz hübsche
Geschichten. Für 2 Schilling kann man hier kleine Büsten
berühmter Männer in allen »fancz-Aoock«-Läden haben;
natürlich immer Pendants. Da bekommt man gekrönte
Häupter und Männer der Feder; nur zwei Musiker sind
vorrätig: Beethoven und Paderewski. —
Wenn man in England ist, wundert man
sich nicht mehr, daß dies Land außer
Sullivan keinen bekannten Komponisten
hervorgebracht hat. Nicht die Melodien,
die man hört, wohl aber gewisse Merk-
male der Architektur können einen mit-
unter in dieser absprechenden Ansicht irre
machen. —

Es ist der Sinn für die leise, kaum
merklich geschwungene Linie, was den Eng-
länder in der Architektur und im Kunst-
gewerbe auszeichnet. Statt der Schnecken-
linien der deutschen Renaissance umfährt
er den Umriß seiner Giebel in leichten
Krümmungen; er läßt den Erker nicht
selbständig ausladen, sondern begnügt sich
mit einer sanften Schwellung der Wand;
er macht kein Flechtwerk in seine Eisen-
gitter, sondern läßt gerade Stäbe mit dis-
kretem Linienspiel wechseln; er verschlingt
die Blumen nicht untereinander in seinen
Mustern, sondern läßt jede in leichten
Linien wachsen; er drechselt die Beine
seiner Stühle und Tische nicht, sondern
erfreut sich an den feinen Kurven des
Chippendale. —

Die meisten Möbelstile sind höfische
Stilarten und darum werden sie in unfern
Häusern nur ein Modedasein führen. Ge-
lingt es, einen Stil aus den bürgerlichen
Bedürfnissen zu entwickeln, so ist er einer
weit größeren Bedeutung gewiß. Darin
liegt die Kraft des Künstlers Chippendale,
der heute die seltsame Ehre genießt, immer
zusammen mit den Namen von Königen ge-
nannt zu werden.

Sheraton, der Zeitgenosse und eben-
bürtige Kollege Chippendales, ist deshalb
viel weniger populär geworden, weil er
sozusagen höher hinaus wollte. Von seinen
kunstvoll eingelegten Arbeiten ist heute vor allein die
schmale, eingelegte weiße Linie am Leben geblieben, ein
feiner künstlerischer Effekt, der an einfachen Formen einer
großen Entwickelung fähig ist. —

Es ist für mich eine Art Trost gewesen, daß die
Herren in all den großen Möbellagern, die ich gesehen,
stets am stolzesten waren auf die Möbel, die nichts vom
geschmackvollen, neuenglischen Stil an sich hatten, sondern
so viel ödes Schnitz- und Formenwerk zeigten, daß auch
ein deutscher Durchschnittstischler sie für Meisterwerke
gehalten hätte. —

Auffallend erscheint es, daß hier, wo sonst in der
Kunst mit so diskreten Nuancen gewirtschaftet wird, im
Theater übertiebene Effekte geradezu verlangt werden.

Tapeten-Zeichnung. Walter Lrane tec.
 
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