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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 13.1897-1898

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Sebaldt, Käte: Lydia Veiteles
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https://doi.org/10.11588/diglit.12047#0434

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Lydia Veiteles.

Lydia Vciteley.

von Niriam Eck.


,^!7 in heißer Sommcrtag. Staub und Asphaltgcruch,
ein Gewirr von Wagen — Hasten, Tosen und
Brausen. Berlin!

Müde, mit halbgeschlossenen Augen schlendere ich
durch die Straßen. Unmutig, willenlos irgend etwas zu
unternehmen. Vier Jahre war ich abwesend und in den
vierzehn Tagen des Wiederdortseins habe ich so viel

Mariä Heimsuchung. Louis Feldmann pinx.

berliner 2<unslausftcllung js898.

nachholen müssen, bin ich so thätig gewesen, daß diese
Abspannung natürlich ist. Zusammenraffen. — Irgend
etwas thun! Die Zeit ist knapp; sic muß ausgenutzt
werden. Mein Wille stemmt sich gegen die Mattigkeit.

„Lydia Veiteles" fällt mir ein, die geschickte kleine
Malerin, für deren Talent und Gewissenhaftigkeit ich
eine so große Verehrung hatte vor den vier Jahren, als
wir zusammen im Museum kopierten; sie — die hol-
ländische kleine Landschaft mit den Kühen. Wie schön
und durchsichtig gelang ihr der goldene Ton — und zum
erstenmal empfand ich, daß die Rückenlinie einer Kuh
von großem Reiz sein kann.

Ein Rat von Lydia Veiteles war mir ungeheuer
wertvoll und in einer verdienten Pause setzten wir uns
wohl, die Palette im Daumen, auf die plüschbezogene
Ruhebank; wir unterhielten uns über Malerei im all-
gemeinen und im besonderen, kamen dann auch auf

Menschen zu sprechen; und ich hatte Muße, die Gestalt
und das Wesen der kleinen Jüdin in mich aufzunehmen.

Sehr klein und unscheinbar, der dunkellockige Kopf
tief in den Schultern sitzend, wie geduckt und scheu.
Die Augen groß und traurig. Ein Zug von unendlicher
Schwermut war über sie ausgegossen. — Ihre Ver-
hältnisse mußten dürftige sein; aber das Aeußere täuscht
bei einer Malerin — sie sucht die Schönheit außer sich.

Ich nehme nieine Erinnerungen zusammen: sie sind
dunkel zwar; doch ich erinnere mich - von „Veiteles"
war der Aufsehen erregende Kopf eines alten Mannes,
vor sechs Jahren in der Ausstellung. Männlich, keck,
genial. Die Zeitungen brachten begeisterte Kritiken von
dem begabten, vielverheißenden, jungen „Künstler". Seit-
dem war alles still. Wohl brachten die Künstlcriuiien-
Ausstcllungen alle zwei Jahre achtunggebietende Leistungen,
wohl die alljährliche akademische ein mehr oder weniger
schlecht gehängtes Bild. Die Professoren in den Abend-
stunden behandelten Lydia Veiteles immer mit ausgesuchter
Achtung. Aber etwas Ungewöhnliches, etwas diesem alten
Mann Achnliches, hat sie nie mehr geleistet. War das
der Grund ihrer Schwermut?! — Sie hoffte das Bild
mit den Kühen zu verkaufen. Ich hoffte es mit ihr.
Sie war peinlich gewissenhaft und arbeitete lang und
ausdauernd.

Wieder saßen wir auf der Plüschbank und ich erzählte
ihr eine kleine Episode aus der Pferdebahn. Es war
von einer älteren Dame die Rede, offenbar Schwester
oder Vorsteherin aus dem Elisabeth-Krankenhaus. Ich
sah plötzlich Lydias Augen dicht vor den meinen auf-
flammen — ihre verschleierte Stimme belebte sich. Hastig
überstürzend kamen die Worte: „Groß, nicht wahr? Blond,
mit grau vermischt. Stark. Ein volles, breites Gesicht
mit stolzem Behagen, ein Kreuz auf der Brust. Graue
Augen. Einen protestantischen Ausdruck. Etwas Sattes
über der ganzen Persönlichkeit? Sie könnte eine Fürstin
sein! Und wo, wo trafen Sie sie? — es ist kein Zweifel
— sie ist cs. Ich kenne sie nicht, — aber was gäbe
ich darum. Die muß ich malen. Können Sie mir sic
verschaffen?!" — Stumm, wortlos saß ich diesem Ent-
zücken gegenüber. Diejenige, die sie schilderte, war die
mir flüchtig bekannt Gewordene, Zug für Zug; aber wie
sie einen Menschen zum Malen begeistern konnte, war
mir völlig unverständlich. Gerade das Gegenteil brachte
mein künstlerisches Empfinden in Bewegung. Eine feine
Schädelbildung, asketisches Profil — Ja, den Rücken der
Kühe begriff ich, aber nur schwer — diesen wohl-
genährten Geschmack. Ich schüttelte den Kopf und sic
sah in weite Ferne — träumerisch, ein liebliches, be-
geistertes Lächeln um die Lippen.

Wie ich die nur zwei Jahre Aeltcre als Künstlerin
verehrte, so achtete ich auch jetzt ihre, von der meinen
abweichende Anschauung. Sie schien mir praktisch und
gesund; ihre kleinen Hände und die ganze kleine Person
war wohlgenährt. Etwas Mütterliches lag in ihrer Art
zu mir; sie nötigte mir manchmal die Hälfte ihres
Frühstücks auf, mit einem mitleidigen Blick auf mein,
offenbar ihrem Kunstidcal sehr wenig entsprechendes, ab-
gespanntes, mageres Gesicht.

O, wie es mich heute beschämt! Ich war nicht
 
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