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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 14.1898-1899

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Schubring, Paul: Ein Bundesgenosse?
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https://doi.org/10.11588/diglit.12049#0061

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Don Paul 5chubring.

kunstgewerblichen Schaffen findet. Man hat Mozarts Ich denke an das Aufsteigen all der einzelnen Wasser-
zierliche Fiorituren und Koloraturen öfter mit den feinen blasen des Rheingoldvorspiels auf dem einen mächtigen

Schnörkeln und niedlichen Arabesken des Rokoko ver- Kontrapunkt es. Jede Blase steigt für sich senkrecht in

glichen; gewiß, das kann man, wenn es auch insofern die Höhe und vereinigt sich erst auf der Oberfläche mit

hinkt, als Mozarts Musik so ein festes struktives Gerüst den Schwestern. Noch besser aber läßt sich das melodische

hat, während das Rokoko in der Unregelmäßigkeit, in Gebilde irgend einer längeren, zu einer Spitze hin-

der Caprice, in der Umgehung der symmetrischen Form strebenden Tonbewegung mit diesem Gasstrom vergleichen;

und geraden Linie ja geradezu seine Mission erblickte, hier wie dort ein langes Eingedämmtwerden, bis dann

Aber der Unterschied läßt sich viel weiter und tiefer plötzlich die Kraft explodiert. Bei beiden wird jeder

fassen. Die ganze vorwagnerische Musik
läßt sich mit dem selbständigen Ornament
vergleichen, indem dort wie hier die selbst-
ständige Behandlung der Linie und der
Farbe das eigentliche Ziel war. Ob die
Dekoration klassisch oder barock, gotisch oder
Zopfstil war, ist dabei gleichgültig; immer
wurde sie getragen von einem festen geo-
metrischen Gefüge, das struktiven Aufbau,

Symmetrie und Wiederholung forderte. Es
hat nicht an Versuchen gefehlt, diese schein-
bare Fessel zu sprengen — ich denke nicht
nur an das Rokoko und die japanische
Hypnose, sondern z. B. an den Sieg, den die
in den Titusthermen aufgefundenen Groteske
über das Kandelaberornament der Früh-
renaissance so Plötzlich und völlig davon-
trug. Aber auch die Groteske kommt nicht
ohne Symmetrie aus; nur vom Architek-
tonischen emanzipiert sie sich. Eine wirk-
liche Abkehr von der formalen Regel be-
deutet erst unsere heutige Richtung. Und
darum eben vergleiche ich sie mit der Waqner-
schen Musik.

Ich möchte das an einigen Beispielen
noch näher ausführen. Lessing stellt in
seinem oben erwähnten Vortrag dem mit
krausen Formen überladenen Wandleuchter,
wie er bisher nach altbewährten Muster-
katalogen aus Babylon, Athen und Rom,
aus Louvre, Sanssouci und Trianon zu-
sammengestellt wurde, den für unsere Zwecke
dienlichen Gasarm entgegen. „Für diesen
Zweck bedarf es keiner dickleibigen Ranken,
sondern nur einer schlanken Röhre, vielleicht
nur eines gebogenen Drahtes, die aus der
Wand herausschnellen. Hier soll uns nichts
erfreuen, als die Linie; sie soll dem Auge, Großvaters Liebling. von A. muesi.

dem Geiste fühlbar machen, daß ein Minimum

von Kraft in feinstem Strome aus der Quelle aufschießt, Abweg vermieden, jede Verdunkelung des drängenden
es darf also diese Röhre sich nur leicht an die Wand Strebens zu gunsten zierlich lauschiger Seitenpfade
ansaugen, darf keinerlei ornamentalen Zusatz erhalten; unterbleibt.

das einzige, wodurch sie wirkt, ist ihre Schwingung und Gerade auch die metallisch leuchtende Materie des

allenfalls ihr Material. Blank leuchtendes Kupfer oder blanken Gasarms hat bei Wagner ihre Parallele. Er

Messing in seinem reinen metallischen Glanz ist hier das ist ja ein Meister der Tonpalette, nicht nur in Bezug

gegebene Ausdrucksmittel." auf die Mannigfaltigkeit, sondern besonders in der

Zu der schmucklosen einfachen, nur durch sich selbst Charakteristik. Der klare Helle Sonnensang der Rhein-
wirkenden Linie dieses metallischen Gasarmes ließen sich töchter ist in L-ciur geschrieben und bleibt ganz in dieser

unendlich viele Parallelen bei Wagner finden, wo dieser Tonart; das wundervolle, majestätisch heilige Walhall-

auch einem einzigen, dem entscheidenden Moment zu- motiv steht in O. Im Lohengrin strahlt der Gral seinen

liebe auf alles Ornament verzichtet. Ich denke daran, heiligen Lichtschein im ungebrochen reinen ^.-ckur aus.

wie der Hirt Tristans über die Fluten späht und die Man hat Wagner wegen solcher Konsequenz ja auch den

sehnsüchtigen Strahlen seiner Augen von den Accorden Vorwurf gemacht, seine Motive seien banal, ohne zu

der beiden Geigen bis an den Horizont getragen werden, bedenken, daß er solche Einförmigkeit zu einer präcisen

Die Aunst für Alle XIV.

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