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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 14.1898-1899

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Lange, Konrad von: Realismus, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.12049#0112

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Realismus.

-

Isardamm bei Löhring. Hermann Harlwich pinx.

die Natur unter Berücksichtigung dieser „illusionsstörenden Momente" nachahmen und nicht nach etwas streben,
was er mit den Mitteln seiner Kunst doch niemals erreichen kann. Hält er diese Grenze der Naturwahr-
heit fest, so kann er im übrigen die Illusion so sehr zu steigern suchen, wie es ihm überhaupt möglich
ist. Ja es liegt sogar in der Natur der Sache, daß er es thut. Der Kampf des Jllusionstriebes gegen die
illusionsstörenden Momente ist das eigentliche Lebenselement jeder Kunst.

Die Veränderungen, die der Künstler zur Steigerung der Illusion mit der Natur vornimmt, sind wie
gesagt durchaus keine Verbesserungen oder Verschönerungen der Natur, sondern lediglich Anpassungen derselben
an die technischen Bedingungen der Kunst. Und bei all diesen Veränderungen ist das Ziel, dem er zustrebt,
immer in erster Linie die Illusion. Jeder gesund empfindende Künstler wird innerhalb der durch das Wesen
seiner Kunst gegebenen Grenzen nach der denkbar höchsten Illusion streben. Er erreicht dieses Ziel aber nicht
direkt, sondern auf einem Umwege, weil er nur auf diesem Umwege die Hindernisse umgehen kann, die die be-
schränkte Technik der Kunst seinem Jllusionsbedürfnis entgegensetzt.

Danach verstehen wir also unter Realismus diejenige Richtung der Kunst, die unter
Ausscheidung aller fremdartigen, nicht aus dem Wesen der Kunst selbst sich ergebenden
Tendenzen, nur mit Hilfe derjenigen Veränderungen der Natur, die im Interesse der künstle-
rischen Wirkung unbedingt notwendig sind, die denkbar höchste Illusion zu erzeugen sucht.

Vielleicht wäre es praktischer, diese Richtung als „Illusionismus" zu bezeichnen, aber einerseits schließt
auch dieses Wort die Möglichkeit eines Mißverständnisses nicht aus, andererseits kommt es nicht darauf an,
neue Worte zu bilden, sondern mit den alten so zu wirtschaften, daß man einen bestimmten, scharf umgrenzten
Sinn damit verbindet. Und das glaube ich, ist nach dem oben Erörterten mit dem Worte „Realismus" der
Fall. Es handelt sich hier eben um die Wirklichkeitsrichtung in der Kunst, die lediglich auf der psychologischen
Thatsache beruht, daß Illusion Genuß bereitet, und die mit der Kunst nicht mehr und nicht weniger bezweckt,
als Genuß, und zwar ästhetischen Genuß zu bereiten.

Und wenn ich nun den Realismus nach dieser Auffassung als die gesundeste und für die Zukunft
ersprießlichste Richtung unserer Malerei bezeichne, so veranlaßt mich dazu zunächst eine kunsthistorische Erwägung,
nämlich die Thatsache, daß alle großen Künstler der Vergangenheit, die sich über ihre Kunst ausgesprochen
haben, Realisten waren. Allerdings haben sie den wesentlichen Unterschied zwischen wirklicher und künstlerischer
Täuschung in der Regel nicht erkannt, denn sie glaubten die Aufgabe der Kunst darin zu sehen, daß der
Genießende wirklich getäuscht werde. So soll Zeuxis die Vögel mit seinen gemalten Trauben, Parrhasius sogar
den Zeuxis mit einem über sein Bild gemalten Vorhang getäuscht haben. So erzählt Leonardo da Vinci von
 
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