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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 15.1899/​1900

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Muthesius, Hermann: Zeichenunterricht und "Stillehre"
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https://doi.org/10.11588/diglit.12046#0505

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JULIUS DIEZ

DEKORATIVER ENTWURF

Ausstellung 1900 der Münchener Secession

ZEICHENUNTERRICHT UND „STILLEHRE"

Von Hermann Muthesius (London)

(Nachdruck verboten)

Kunst in der Schule", das ist es, was mit dem zur Zeit Goethes, so ist heute ein
wir heute brauchen. Unsere Schulen wichtiger Teil der Bildung von damals
strotzen förmlich von Wissenschaftlichkeit. bereits verloren gegangen , nämlich das
Der deutsche Schulmeister sieht in der Kunst Interesse an der schönen Litteratur, das
ein fernliegendes Specialgebiet, das ihn nichts damals unbedingt zur Bildung gehörte. Geht
angeht und wofür die Schule keine Zeit hat. man noch weiter zurück und kommt in die
Ja er sorgt dafür, dass unsere Jungens auch Zeiten der Renaissance, so findet man, dass da-
ausserhalb der Schule genügend durch Schul- mals zur Bildung unbedingt auch ein Verständ-
arbeiten in Anspruch genommen sind, so dass nis für die bildenden Künste gehörte. Ja ein
ihnen, selbst wenn sie Neigung dazu haben, solches war das allererste Erfordernis für
mit dem besten Willen keine Zeit übrig den Gebildeten. Ein Kavalier ohne Anteil-
bleibt, sich künstlerisch zu beschäftigen. Wer nähme an Baukunst, Malerei und Skulptur
selbst als Junge solche Neigungen in sich war gar nicht denkbar. Heute ist weder
gefühlt hat, der blicke zurück auf seine eine Anteilnahme an Litteratur noch an
Schulzeit und erinnere sich, wie sie syste- bildender Kunst für den „Gebildeten" nötig,
matisch durch Ueberbürdung mit Schul- Vielleicht bleibt von den Künsten noch Musik
arbeiten, besonders philologischer Art, unter- und Theater übrig, über die er Bescheid zu
drückt wurden. wissen hat, doch ist man auch in dieser Be-
So ist es denn auch ganz natürlich zuge- ziehung bereits mit seinen Ansprüchen sehr
gangen, dass unsere heutigen „Gebildeten" in bescheiden geworden. Im Grunde ist für
der Kunst die reinen Barbaren geworden den Gebildeten von heute nur eins unerläss-
sind. Man höre in Philologen-, Juristen- lieh: ein gewisser Grad von philologischer
und Offizierskreisen künstlerische Fragen Kenntnis. Die heutige Gesellschaft hat die
erörtern und man wird staunen über die beschränkteste Vorstellung von dem Begriff
gänzliche Abwesenheit jedweden Vorstellungs- Bildung, die je dagewesen ist.
materials über Kunst. Man entdeckt eine Aber es scheint besser werden zu wollen.
Roheit in künstlerischer Beziehung, die nur Man empfindet die Notwendigkeit, etwas für
durch die Kühnheit und Sicherheit übertreffen den Anteil, den die Kunst in der Ausbildung
wird, mit der trotzdem die schärfsten künst- des Menschen haben sollte, zu thun. Man pflegt,
lerischen Urteile gefällt werden. wie die Leser d. Z. aus einer Notiz in H. 9 d. l.J.

Für unsere heutige Gesellschaft ist vielleicht der „K. f. A." (S. 239) erfahren haben, im

nichts so bezeichnend, als die Vorstellung, die sächsischen Ministerium Beratungen, was zu

sie sich von dem Begriff „Bildung" macht. thun sei, und man verfällt auf einen Unterricht

Vergleicht man den heutigen „Gebildeten" in der „Geschmacks- und Stillehre".

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